Fernsehen:Die Beine des Sonntags

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Ein TV-Ritual: Sabine Christiansen trägt Kostüm und die Geier der Apokalypse fliegen.

Von Willi Winkler

Wenn sie am Anfang dasteht, hat man das Gefühl, man sieht die Tagesthemen. "Guten Abend, meine Damen und Herren, Deutschland am Abgrund, wie schlimm ist es wirklich?" Wo? Am Abgrund, wirklich?

von rechts: Sabine Christiansen 1998, 2001, 2003. (Foto: Fotos: AP/ dpa)

Vielleicht sind ja doch ihre schönen langen Beine Schuld. Bei Sabine Christiansen werden Sonntag für Sonntag alle Probleme durchgesprochen, damit sie auch bestimmt bleiben und sich bloß nichts ändert. Der Zuschauer hört und sieht, wie sich IHKBDICDUDGB-Vertreter - und als Geschmacksverstärker gelegentlich ein grüner Funktionär - gegenseitig ihre Positionen aufsagen, und es redet immer gleich aus dem Fernseher heraus.

Der Abend verschwimmt im herrschaftsfreien und gern auch hirnlosen Gesabbel, im Gedächtnis bleiben nur diese Beine, die Sabine Christiansen meistens leicht schräg hält.

Manchmal aber, und das sind Höhepunkte der politischen Abendunterhaltung, manchmal wechselt sie die Haltung und schlägt diese Beine anders herum übereinander. Deutschland hat dann noch mal die Kurve gekriegt und ist dem Abgrund knapp ausgewichen.

Doch schon am nächsten Sonntag sind sie alle wieder da. Kann es denn sein, dass Herr Henkel, Herr Westerwelle und Herr Eichel ihre Plätze nie verlassen und die ganze Woche eisern ausgeharrt haben, nur damit der Nebel der drohenden Apokalypse wieder so dicht wolkt wie am Sonntag zuvor?

"Wenn es am Sonntag 21.45 Uhr wird in Deutschland, dann beginnen bei der ARD die Geier der Apokalypse ihren Flug", hat der WDR-Autor Walter van Rossum fein beobachtet. Für sein Buch Meine Sonntage mit 'Sabine Christiansen' (Kiepenheuer & Witsch) hat sich der Bedauernswerte über Monate der immergleichen Veranstaltung ausgesetzt, in der der Zuschauer "niemals durch eine überraschende Analyse aus der Routine seiner Sonntagsschlacht gerissen wird", wie er schreibt.

Selbst als einmal kurz über die zahllosen Beraterjobs des Dauergastes Günter Rexrodt gesprochen wird, versteht es dieser grundlos heitere Politik-Darsteller, unterstützt selbstverständlich von der um den guten Ton besorgten Moderatorin, über diesen einen kostbaren journalistischen Augenblick hinweg dampfzuplaudern.

Das scheint ein Grundgesetz dieser zurecht in der Abteilung Unterhaltung ressortierenden Sendung zu sein: Bitte nichts Neues.

Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern wurde vom Fernsehen schon immer als vornehmster Bildungsauftrag begriffen: "Die Wahrnehmung der Redaktion beschränkt sich einzig und allein darauf, das wahrzunehmen, was die Pressestellen der parlamentarischen Vernunft lancieren", so van Rossum.

Er weiß auch, woher der Erfolg dieser gepflegten Unterhaltungsshow kommt: "Allerdings nehmen Politiker nur die Krisen wahr, die sie glauben lösen zu können." Und darum, muss man ergänzen, nehmen unsere verwöhnten Politiker Sabine Christiansen so gern wahr.

Sogar wenn sie zeitweise am Abgrund stehen wie Hans Eichel, dürfen sie sich da als kompetent und dynamisch präsentieren. Paradoxerweise hat Sabine Christiansen ihren Nimbus aber nicht eingebüßt, weil jemand ihr Dauerschwatzen analysierte, sondern weil sie ausnahmsweise Interesse an den Antworten ihres Gastes zu zeigen schien.

Unglücklicherweise hieß der Gast Bill Clinton und hatte zufällig keine Lust, sich dem Klatschbedürfnis von Frau Christiansen zu fügen. Plötzlich geht es der Unicef-Botschafterin im vorgeschriebenen Blond nass rein. Selbst in der sonst so loyalen Bunten stehen mittlerweile herbe Zensuren für die "sonst so eloquente Christiansen". Die "Quotenqueen" (Bunte) entschied sich nach dem Clinton-Fiasko "für die Methode Augen-zu-und-durch".

Bei Walter van Rossums Buch muss zumindest einer das eine oder andre Auge aufgemacht und bemerkt haben, dass nicht stimmt, was auf Seite 183 über den Berater von Hans Eichel behauptet wird: "Schmidt-Deguelle ist zugleich Berater von Sabine Christiansen, wo er für die Auswahl und 'Beschaffung' von Gästen zuständig ist."

Das war er nämlich nach Christiansens Darstellung nicht, und im März 2004 endete auch das Beraterverhältnis; da hatte Rossum sein Manuskript allerdings längst abgegeben. Die Firma TV 21, mit der die Miteigentümerin Sabine Christiansen Sabine Christiansen produziert, hat eine Unterlassungserklärung erwirkt - der Verlag wird die Aussage in der kommenden Auflage zumindest im Präsens nicht wiederholen. Bei TV 21 hat man etwas verstört auf das Buch reagiert, will diesen Vergleich aber "nicht großartig kommentieren".

Der Autor - und wann gäbe Sabine Christiansen je Anlass zu solcher Gefühlsexaltation - hat über das Unterlassungsbegehren "laut gelacht". Bild, sonst nicht unbedingt der Gesellschafts- oder sogar der Fundamentalkritik verdächtig, zitierte einen Satz aus van Rossums Buch ("Eine der Glanzleistungen dieses Sonntagspalavers besteht darin, die politischen Realitäten hinter einer Orgie von Geschwätz zu verdecken"), um dann so knapp wie brutal zu schließen: "Gegen diese Behauptung ist Sabine Christiansen nicht vorgegangen."

Gut, dass wir drüber geredet haben. Aber lesen Sie selber.

© SZ vom 28.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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