Fauna:Die Delikatesse, vor der Washington graut

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In China ist er heimisch, doch nun bewohnt der Schlangenkopf-Fisch Gewässer der US-Hauptstadt - und frisst sie einfach leer.

Von Wolfgang Koydl

Das Grauen geht um in den Wiesen und Wäldern rings um die amerikanische Hauptstadt. Diesmal ist es kein schattenhafter Heckenschütze und kein stiller Anthrax-Killer, kein Terrorist und noch nicht einmal ein Zikadenschwarm.

Wildert in Washingtions Gewässern: Der Schlangenkopffisch (Foto: Foto: dpa)

Doch die Bedrohung scheint fast endzeitlichen Charakter zu haben: "Es erschreckt mich zu Tode", sagt der Frührentner Herman Williams, "ich will nicht, dass hier alles Leben ausgelöscht wird." Kämpferischer gibt sich der 70-jährige Roby Johnson: "Ich schlage ihm den Schädel ein, ich bringe ihn um, dass er toter ist als die Hölle."

Das Grauen lauert wenige Zentimeter unter der anscheinend friedlich ruhigen Wasseroberfläche, und deshalb stehen die beiden Männer gewissermaßen an der vordersten Front im Kampf gegen die tödliche Gefahr.

Denn Williams und Johnson sind Sportangler, bei denen früher oder später der Horrorfisch anbeißen wird, der Washington und Teile der angrenzenden Bundesstaaten Virginia und Maryland in Atem hält: der nördliche Schlangenkopf-Fisch.

Es ist eine reichlich bizarre Fischart, die eigentlich nur in Teilen Asiens beheimatet ist und in den Vereinigten Staaten bislang lediglich in Tiergeschäften oder chinesischen Supermärkten vorkam. Denn der Northern Snakehead gilt in China als Delikatesse, auf die auch Exil-Chinesen in Amerika nicht verzichten wollen.

Das erste Exemplar, das vor zwei Jahren in freier Wildbahn in einem Teich auftauchte, war denn auch von einem Feinschmecker ausgesetzt worden, der das Schuppentier in New Yorks Chinatown geordert hatte, doch dem dann offenbar der Appetit vergangen war.

Um den ersten Snakehead zu fangen, legten die Behörden den Teich einfach trocken, den der Fisch zu diesem Zeitpunkt fast schon leergefressen hatte. Doch diese Methode eignet sich aus naheliegenden Gründen nicht für den mächtigen Potomac und seine Zuflüsse, in denen man neuerdings immer häufiger Snakeheads auffischt.

"Wir wissen, dass der Fisch auf einer Länge von zehn Meilen vorkommt, was selbstverständlich unseren Alarmpegel erhöht", sagt Steve Early von der Naturschutzbehörde in Maryland. Und Bill Harris von der Vereinigung der Flussbarschfischer pflichtet ihm bei: "Ich glaube, wir werden hier im Potomac ein echtes Problem haben." Schützenswert ist der Schlangenkopf freilich nicht.

Denn der Fisch, der bis zu 50 Zentimeter lang werden kann, ist ein gefräßiges Raubtier, das von der Insektenlarve über den Frosch bis hin zum Flussbarsch alles vertilgt, was ihm vor die messerscharfen Zahnreihen schwimmt. Weil er in Amerika keine natürlichen Feinde - außer Anglern und chinesischen Köchen - hat, könnte der Snakehead über kurz oder lang die gesamte Tierwelt im Potomac vernichtet haben.

Noch nicht mal am Ufer ist man vor dem Untier sicher, denn der Snakehead kann sogar kurze Strecken an Land zurücklegen. Er stellt die Seitenflossen senkrecht wie eine Art von miniaturisiertem Tragflächenboot und robbt auf ihnen über den Boden.

Wenn er sich still verhält, kann er sogar bis zu drei Tage lang außerhalb seines Elements auf dem Trockenen überleben. Diese unheimlichen Fähigkeiten haben ihm den Spitznamen Frankenfish eingetragen, was freilich nichts mit Bayerns Norden sondern mit dem Monster Frankenstein zu tun hat.

Örtliche Ordnungskräfte haben einen veritablen Steckbrief an Angler verteilt: "Haben Sie diesen Fisch gesehen" prangt über einem Foto des bizarren Flusstieres. Nicht einmal die Alternative "tot oder lebendig" gibt es für den Snakehead. "Bitte setzen Sie ihn nicht wieder aus", fleht das Flugblatt. "Bitte töten Sie diesen Fisch durch Ausbluten oder Einfrieren."

Maryland und Virginia haben schnelle Eingreiftruppen, wissenschaftliche Beiräte und Koordinierungsräte geschaffen, die grenzüberschreitend dem Monster-Fisch zu Leibe rücken sollen. Douglas Duncan, oberster Verwaltungschef des Bezirkes Montgomery in Maryland, hat gar von seinen Notstandsvollmachten Gebrauch gemacht und per Dekret den Besitz oder Verkauf lebender Schlangenkopffische unter Strafe gestellt. Es droht eine Geldbuße von 500 Dollar.

Noch ist nicht gewiss, ob alle der aus den Fluten des Potomac gefischten Exemplare von Tierfreunden oder verhinderten Feinschmeckern ausgesetzt wurden, oder ob es sich bereits um den Nachwuchs von Snakeheads handelt, die sich bereits in freier Natur fortpflanzen. Für eine Antwort ist den Behörden kein Labor zu gut und zu teuer: Die renommierte Smithsonian Institution wurde mit einer vergleichenden Gen-Analyse der gefangenen Schlangenköpfe beauftragt.

Für Louie Galeano freilich ist die Antwort schon klar - und sie lässt nichts Gutes für die berufliche Zukunft des 32-Jährigen erwartet, der seinen Lebensunterhalt durch die Vermietung von Booten und Anglerzubehör bestreitet. Den hungrigen Northern Snakehead kennt er aus eigener Anschauung, seit er vor ein paar Jahren vier Exemplare in einem Zoogeschäft erstanden und im Aquarium studiert hatte.

"Sie sind so aggressiv, die töten alles, was sich bewegt", erklärte er einem Reporter der Washington Post. "Die machen mir Angst", fügte er hinzu, nachdem er einen langen, sorgenvollen Blick hinaus über die grünlich-braunen Wasser des Potomac geworfen hatte. "Ich weiß es: Sie pflanzen sich fort."

© SZ vom 29.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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