Eschenlohe:Die Heimat als Kraterlandschaft

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Nach dem Hochwasser versuchen die frustrierten Bürger von Eschenlohe ein weiteres Mal den Neuanfang.

Christine Burtscheidt

Eschenlohe - Jakob Mangold sitzt auf einem Stuhl vor seiner Einfahrt. Über seine Gummistiefel fließt zäher Schlamm. Stehen kann Mangold nicht mehr besonders lange. Das lassen seine alten Knochen nicht zu. Mit stoischer Ruhe reinigt er das Pflaster mit einem Wasserstrahl. Ab und an wandert sein Blick zur Loisach hinüber und sein Gesicht verfinstert sich.

In Eschenlohe haben die Aufräumarbeiten begonnen. (Foto: Foto: AP)

Kraftvoll fließt das Gewässer an seinem Haus vorbei. Mangold scheint mit dem Fluss zu hadern. Wie ein Zank zwischen einem alten Ehepaar, weil einer nicht lassen kann, was der andere nicht mag. "Angst haben wir gehabt", sagt Jakob Mangold. "Angst, dass uns der Strom mitreißt." Eine lange Nacht saß Mangold mit seiner Familie im ersten Stock seines Hauses: "Das war brutal."

Dennoch will er hier bleiben: "Seit der Pest im Jahr 1600 lebt meine Familie hier. Das ist unsere Heimat." Helfen sollen andere: "Die da müssen was ändern!", sagt er und zeigt an das Ende der Ortschaft, wo sich Häuser geschützt an einem Berghang ducken. "Die Gemeinderäte wohnen sicher da oben und schauen herunter, wie wir da unten untergehen."

Mittendrin schwebt eine Garage

Das Hochwasser kam am Dienstag und ging am Mittwoch. Es dauerte nur einen Tag. Doch es hinterließ in der idyllischen Alpengemeinde eine Schneise der Verwüstung. Am Donnerstagmorgen herrscht in Eschenlohe immer noch der Ausnahmezustand. Lastwagen holen Sperrholz ab - Stühle, Tische, Couchgarnituren, aufgeschichtet vor Wohnungstüren.

Sandsäcke stapeln sich noch am Ufer und zeugen von dem erfolglosen Versuch, dem Unglück Einhalt zu gebieten. 100, 200 oder 300 Anwesen sind vom Wasser massiv betroffen. Vielleicht auch mehr. Besonders schwer hat es die Bürger entlang der Loisach erwischt, in der Mühlstraße und der Garmischer Straße, dort wo Jakob Mangold sitzt. Gleich hinter seinem Haus war vor drei Tagen noch eine Straße. Sie führte in ein schönes Viertel mit blühenden Gärten. Jetzt klafft dort eine Kraterlandschaft.

Drähte führen ins Nichts, Leitungen sind gekappt, die Kanalisationsrohre aufgebrochen. Mittendrin schwebt eine Garage, das Tor noch offen, zwei Betonpfeiler stützen sie ab. Dahinter wird der Blick auf einen Schuppen frei. Übrig geblieben ist das Dach. Nur die Häuser trotzten der Flut. Wie kleine Inseln heben sie sich vom grauen Matsch ab. Im ersten Stock blühen die Geranien wie ehedem.

Zu Anton Weingand führt nur mehr eine Brücke. Aus einer Leiter und zwei Brettern hat er sich das Provisorium zwischen dem Wohnhaus und seiner Schreinerei zusammengebaut. Vier Mann wuchten soeben schwere Maschinen aus der Werkstatt heraus. "Ich sag nichts mehr. Was soll ich auch noch sagen? Das war die kleine Schreinerei. Alles ist kaputt", klagt der Senior. Seine beiden Söhne stehen daneben.

Einer meint: "Das muss alles raus!" Das Wohnhaus haben die Weingands retten können. Mit Platten und Dichtungsmasse haben sie rechtzeitig Fenster und Türen gesichert. Doch in der Werkstatt stieg das Wasser 1,30 Meter hoch. Auf eine Entschädigung geben sie wenig. "Die Politiker machen doch nur quak quak", sagt der Vater.

Klein und unscheinbar ist die Brücke. Wie eine Heft-Klammer hält sie die Ortschaft diesseits und jenseits der Loisach zusammen. Doch wenn das Wasser anschwillt, wird sie zum gefährlichen Hindernis. Die Eschenloher konnten sich bislang nicht auf einen anderen Übergang einigen. Oder waren es die Leute vom Wasserwirtschaftsamt? Bürgermeister Peter Stahr (SPD) kurvt in seinem roten Jeep durch das Dorf, stöhnt angesichts der "Schäden, wo man nur hinsieht" und sagt: "1997 waren wir mit den Planungen einverstanden, der Freistaat hätte sie nur umsetzen müssen."

Hoffen auf Entschädigung

Der Streit geht also weiter, nur hilft er den Betroffenen nicht. Marina Pomponio steht am feuchten Tresen ihrer Pizzeria "da Michele", zieht an einer Zigarette und sagt: "Diesmal war es doppelt so schlimm wie vor sieben Jahren." Seit drei Tagen hat sie die selben feuchten Klamotten an. Das Parterre stand unter Wasser. Die Wirtsstube gleicht einer Gerümpelkammer. Teller, Töpfe, Kissen, Krüge sind auf den Tischen gestapelt.

Das vergammelte Essen aus drei Tiefkühltruhen ist schon entsorgt. Ob der Herd jemals wieder funktionieren wird, weiß ihr Mann Michele nicht. Immerhin war Innenminister Günter Beckstein am Mittwoch zu Besuch. "Kopf hoch! Ihr schafft das schon!" hat er dem Ehepaar Mut gemacht. Doch sie wissen nicht wie. "Wenn die Versicherung nicht zahlt, gebe ich hier den Schlüssel ab", sagt Michele Pomponio.

Wer nicht mehr weiter weiß, findet sich dort ein, wo zurzeit das Herz des Ortes schlägt, am Platz vor dem Pumphaus der Freiwilligen Feuerwehr. Seit zwei Tagen sind 20 Helfer pausenlos im Einsatz, haben 61 Keller ausgepumpt und den gebrochenen Damm am Flussufer wieder verbaut. Eine ältere Frau schlurft in viel zu großen Gummistiefeln herbei. Sie sagt, vor ihrem Haus stünde noch das Wasser bis zu den Knien. Der Öltank drohe auszulaufen. Zwei Mann machen sich sofort auf den Weg.

© SZ vom 26.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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