Ersatzteillager Mensch:"Designer-Baby" soll den Bruder retten

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Weil ihr Erstgeborener an Leukämie leidet, hat ein britisches Paar unter mehreren Reagenzglas-Embryos gezielt ein Kind ausgesucht, dessen Stammzellen den Jungen retten können. Kritiker befürchten eine Entwicklung zum Erstatzteillager Mensch. Ein echtes Designer-Baby, wie von vielen Medien berichtet, ist der jetzt geborene Jamie aber nicht.

Jamie war bereits am Montag per Kaiserschnitt zur Welt gekommen, wie das Royal Hallamshire Hospital in Sheffield am Donnerstag bestätigte. Das Baby könne möglicherweise seinem vierjährigen schwer kranken Bruder Charlie das Leben retten, der dringend Blutstammzellen benötigt.

Umstritten ist der Fall, da Ärzte am Institut für reproduktive Genetik in Chicago nach einer künstlichen Befruchtung mittels Präimplantationsdiagnostik unter mehreren Embryos denjenigen ausgewählt hatten, dessen Gewebemerkmale am besten mit Charlie übereinstimmten. Jamie ähnelt seinem Bruder genetisch, so dass sich Zellen aus seinem Nabelschnurblut zur Transplantation eignen.

98 Prozent statt eins zu vier

Die Chance, dass ein Ehepaar ein geeignetes Kind "zufällig" zur Welt bringt, lag nach Angaben der Ärzte bei 25 Prozent (eins zu vier). Die Eltern, Jayson und Michelle Whitacker, halten ihre umstrittene Entscheidung nach wie vor für richtig. "Alles, was wir getan haben, ist, die Chancen für passendes Gewebe von eins zu vier auf 98 Prozent zu steigern. Es gab keine Auslese hinsichtlich der Augenfarbe, der Haare oder des Geschlechts", sagten sie der Daily Mail. Demnach handele es sich nicht um ein Designer-Baby im eigentlichen Sinne.

Lana Rechitsky vom Chicagoer Institut für Reproduktionsgenetik bestätigte, dass die Forscher nichts Neues schaffen geschaffen hätten: "Wir versuchen lediglich, denjenigen Embryo zu finden, der normal ist und das Leben seines Angehörigen retten kann". Sie wies gegenüber dem BBC-Radio darauf hin, dass in Großbritannien bereits zuvor ein per Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgewähltes Kind geboren wurde.

Außerdem sei Jamie ja nicht ausschließlich zu dem Zweck gezeugt worden, seinem Bruder zu helfen, sondern die Familie habe sich ohnehin ein weiteres Kind gewünscht: "Es ist eine Familie, die ein gesundes Kind will - und wenn dieses gesunde Kind das Leben des anderen Kindes retten kann, ist das doch ein doppelter Segen", betonte Rechitsky. "Es gab keine andere Überlebenschance für Charlie."

Charlie kann bislang nur durch schmerzhafte Bluttransfusionen am Leben erhalten werden. Ohne Stammzelltherapie hat er nach bisherigem Stand der Forschung eine maximale Lebenserwartung von 30 Jahren. Laut Rechitsky wählten die Ärzte zwischen zehn Embryonen aus, um dasjenige mit den passenden Stammzellen zu finden. Die Whitakers werden jetzt sechs Monate warten müssen, bis Charlie mit den Zellen seines kleinen Bruders behandelt wird.

Damit soll abgewartet werden, ob sich bei Jamie dieselbe schwere Blutarmut entwickelt. Laut Rechitsky liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung des Neugeborenen bei drei Prozent. Nach der britischen Gesetzgebung ist die Auswahl künstlich befruchteter Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib zum Zweck der anschließenden Therapie für ein bereits geborenes Kind verboten.

In Großbritannien nicht erlaubt

Die Eltern hatten den neuen Nachwuchs in die USA zeugen lassen, weil die britische Aufsichtsbehörde für Befruchtung und Embryologie (HFEA) im vergangenen Jahr ihren Antrag abgewiesen hatte, durch eine Untersuchung des Embryos vor Einsetzen in die Gebärmutter festzustellen, ob sich das neue Kind als Spender eigne.

Die britische Kontrollbehörde hatte erklärt, dies sei nur möglich, wenn es darum gehe, zu verhindern, dass auch das neue Kind an der Anämie erkranke. Eine Untersuchung des Embryos nur zum Zweck, die Eignung für eine Transplantation festzustellen, sei jedoch nicht zulässig.

Dies, so wurde in Großbritannien diskutiert, käme der Vorstellung von einem genetisch erwünschten "Designer-Baby" zu nahe. Kritiker befürchten, dass auf diese Weise gezielt Kinder als "Ersatzteillager" gezeugt werden könnten.

Im Februar vergangenen Jahres hatte die Aufsichtsbehörde einem anderen Elternpaar erlaubt, die PID anzuwenden. In diesem Fall litt das erste Kind der Eltern an einer Erbkrankheit. Mit der Präimplantations-Diagnostik konnte daher neben der Auswahl der Stammzellverträglichkeit gleichzeitig ausgeschlossen werden, dass auch das zweite Baby mit der Krankheit auf die Welt kommen würde. Dem zuerst geborenen Kind kann der gezielt ausgewählte Nachwuchs nicht helfen.

(sueddeutsche.de/dpa/AFP/AP)

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