Ermittlungen auf Jersey:Kokosnuss statt Kinderschädel

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Spektakuläre Wende bei den Ermittlungen auf Jersey: Die Morde im Waisenhaus auf der Kanalinsel haben offenbar nicht stattgefunden.

Wolfgang Koydl, London

Es war eine Geschichte, die das Blut in den Adern gerinnen ließ: Dunkle Kellerverliese, Misshandlungen und gar Morde - die grausigen Einzelheiten, welche die Polizei im ehemaligen Kinder- und Waisenheim Haut de la Garenne auf der britischen Kanalinsel Jersey zutage förderte, schockierten die Öffentlichkeit.

Verdächtigungen unhaltbar: Die Polizei rudert im Jersey-Fall zurück. (Foto: Foto: AFP)

Nun aber scheint sich herauszustellen, dass zumindest die schwersten Verdächtigungen unhaltbar sind. "Es gibt keine Beweise, dass Kinder ermordet oder Leichen zerstört wurden", erklärte der stellvertretende Polizeichef von Jersey, David Warcup. Vorwürfe von Kindesmisshandlungen würden indes weiter verfolgt. Die Inselregierung bestätigte zugleich, dass der Leiter der Polizeibehörde, Graham Power, vom Dienst suspendiert wurde. Seine Rolle während der Ermittlungen soll untersucht werden.

Monatelang hatten die Behörden angeblich Kellerräume des Heimes ausgegraben und vermeintliches Beweismaterial gefunden. Die Ermittlungen, die mehr als vier Millionen Pfund kosteten, schienen durch Aussagen ehemaliger Bewohner des Kinderheimes bestätigt zu werden: Sie hatten davon gesprochen, selbst in Kellerräumen gefangen gehalten worden zu sein. Polizeioffizier Lenny Harper, der die Nachforschungen leitete und inzwischen im Ruhestand ist, verteidigte sein Vorgehen: "Ich habe nie behauptet, dass wir Beweise für Morde hatten."

Dennoch wurden einige von Harpers Behauptungen entkräftet. So handelte es sich lediglich bei drei der 170 gefundenen Knochenfragmente um menschliche Überreste; zwei von ihnen waren zudem mehrere hundert Jahre alt. Ein Knochenrest, der als Teil eines Schädels beschrieben worden war, wurde von Experten des Britischen Museums als Kokosnussschale aus dem 19. Jahrhundert identifiziert. Die vermeintlichen Hand- und Fußschellen entpuppten sich als unverfängliche "Metallstücke". Selbst die angeblichen Verliese waren offensichtlich nichts anderes als Löcher im Boden.W. Koydl

© SZ vom 13.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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