Erdbebenopfer in Italien:Leben im Trümmergrab

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Momente der Hoffnung: Vereinzelt ziehen Hilfskräfte in den Abruzzen Lebende aus den Trümmern. Nun schildern sie die Stunden in der Dunkelheit.

Stefan Ulrich, Rom

Bei den Helfern schwindet die Hoffnung: Noch immer suchen Rettungskräfte in Italien nach Überlebenden. Doch immer wieder muss der Zivilschutz die Zahl der Opfer nach oben korrigieren - inzwischen sind mindestens 251 Menschen unter den Trümmern ums Leben gekommen. Die Helfer kämpfen gegen die Zeit, gegen Müdigkeit.

Der Moment der Rettung nach 23 Stunden im Trümmergefängnis: Rettungskräfte bergen die Studentin Marta Valente. (Foto: Foto: dpa)

Doch es sind Geschichten, die ihnen Hoffnung geben. Geschichten wie die von Marta Valente.

Die 24 Jahre alte Ingenieursstudentin hat nicht mehr die Zeit, aus dem Bett zu springen, als am Montagmorgen die Erde bebt und das Mehrfamilienhaus in der Via IV Novembre in L'Aquila, in dem sie lebt, über ihr zusammenstürzt. Sie schafft es nur noch, sich ein Kissen auf den Kopf zu drücken, während Putz- und Mörtelteile auf sie herabfallen.

23 Stunden im Trümmergefängnis

Ein umstürzender Schrank klemmt ihre Beine ein. Knapp über ihrem Kopf verkeilt sich ein Stahlbetonträger und verhindert, dass sie erschlagen wird. Dann wird es ganz still. Anfangs hört sie noch ihre Freundinnen Federica und Serena. Sie machen sich gegenseitig mut. Doch dann ersterben diese Stimmen.

"Ich war eine endlose Zeit da drinnen, ich wusste nicht, was geschehen würde, ich hatte Todesangst", erzählt sie später ihren Rettern. 23 Stunden verbringt sie in ihrem Trümmergefängnis. Matteo, ein junger Mann, wird einige Stunden vor ihr gerettet und informiert die Einsatzkräfte sofort darüber, wo ungefähr Marta liegen muss.

Es wird eine äußerst schwierige Rettungsaktion, in der die Helfer und Marta ständig in Gefahr schweben, von abrutschenden Trümmern erschlagen zu werden. Einigen Höhlen-Spezialisten des Bergrettungsdienstes gelingt es schließlich, sich bis zu der Studentin vorzuarbeiten. Sie schneiden das Bett, auf dem Marta liegt, von unten auf und befreien die Studentin. Als sie ans Tageslicht getragen wird, empfängt sie der Applaus der umstehenden Menschen. Sie bittet um Wasser und fragt nach ihren Freundinnen.

"Wieder Mut fassen"

Oder die Geschichte von Ines D'Alessandro. Fünf Jahre ist war sie, als ein entsetzliches Erdbeben ihr Heimatdorf Castel di Ieri vernichtet. Das war 1915. Sie überlebt. Drei Jahre darauf stürzt das Haus ein, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Zwei ihrer Schwestern sterben, Ines überlebt wieder.

Nun wird sie erneut von einem Erdstoß getroffen, in ihrer Wohnung in L'Aquila, und konnte wieder gerettet werden. All den andere Opfern in den Abruzzen sagt die 98 Jahre alte Frau nun: "Ich selbst habe mein ganzes Leben lang gekämpft, und jetzt heißt es, wieder Mut zu fassen."

Ebenfalls 98 Jahre alt ist Maria D'Antuono, die am Montag in dem Örtchen Tempera verschüttet wird. Sie wartet 30 Stunden auf ihrem Bett, und als sie gerettet wird, sagt sie: "Ich habe gearbeitet, gestrickt."

Am späten Dienstagabend kann dann, nach 43 Stunden im Dunklen, Eleonora Calesini in einer Nische zwischen den Trümmern gefunden werden - lebend. Der Feuerwehrmann, der sie als Erster entdeckt, sagt: "Eine solche Rettung wiegt ein halbes Jahr freiwilliger Arbeit auf."

Es sind solche Geschichten, die die etwa 7000 in den Abruzzen arbeitenden Hilfskräfte, darunter 1500 Soldaten, 2000 Carabinieri und viele Freiwillige anspornen, rund um die Uhr weiterzuarbeiten, weiterzusuchen. Der italienische Innenminister Roberto Maroni sagt, die Suche nach Überlebenden werde bis Ostern fortgesetzt.

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