Erdbebengefahr in Kalifornien:Im Netz der unheimlichen Risse

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In der Bay Area von San Francisco kann der Mangel an Geld für den Katastrophenschutz allenfalls wettgemacht werden durch den Pfadfindergeist von Bürgern, schrieb Peter Sartorius bereits im Jahre 1992.

Peter Sartorius

John Shields ist gut vorbereitet, weshalb er denn auch hinter seinem Haus mit einem Ausdruck von Genugtuung in den Tiefen einer Mülltonne wühlt. Er zieht nacheinander heraus: eine Dose Thunfisch, eine Dose Chili, eine Dose Aprikosen, drei gefüllte Wasserkanister aus Plastik, eine Klarsichtpackung mit einem Instant- Nudelgericht, eine Kollektion Taschenlampen, einen Behälter mit Propangas, einen Kocher, Batterien, ein Transistor- Radiogerät...

Die Pacific Avenue in Santa Cruz nach dem Loma-Prieta-Erdbeben im Jahre 1989. (Foto: Foto: Reuters)

Flink wie ein Vertreter für Camping-Utensilien zaubert Mr. Shields immer neue Schätze aus der Tonne. Zuallererst hatte er jedoch einen Erste-Hilfe-Beutel herausgezogen. 'Er kommt obendrauf', sagt er später, als er alles wieder verstaut, 'griffbereit zu jeder Zeit.'

Also, unvorbereitet wird der Pensionär John Shields aus Sunnyvale nicht ins Unglück stolpern, jedenfalls nicht so unvorbereitet wie viele andere an der Bay von San Francisco.

Stolpern könnte indes auch er. Man kommt schnell aus dem Gleichgewicht, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und daß dies eines Tages geschehen wird, darüber sind sich die Fachleute einig.

Die Häufung mittlerer bis mittelschwerer Erdbeben in den letzten Jahren ist ein deutliches Indiz, daß der Bay Area in absehbarer Zeit ein sogenanntes Big One bevorsteht, ein Beben, so heftig wie keines mehr seit 1906, als San Francisco in Schutt und Asche fiel.

Verkantet und verhakt

Die Zeit ist einfach reif dafür. Genauer: Unter dem Boden von Kalifornien haben sich die aneinander reibenden Kontinentalplatten der Erdhaut so verkantet und verhakt, daß sie sich zwangsläufig bald mit einem kolossalen Ruck wieder voneinander lösen müssen.

Man weiß das. Aber man kennt weder Ort noch Zeitpunkt des Befreiungsaktes. Genaugenommen weiß man gar nichts, was dienlich wäre, die Bevölkerung konkret vor der Katastrophe zu warnen. Oder, wie es Kaliforniens meistgefragter Seismologe ausdrückt, der Professor Allan Lindh, dessen Meßgeräte die kleinsten Zuckungen im nordkalifornischen Boden in Linien und Punkte auf Papier umsetzen: 'Wir wissen, daß die Bilder eine Botschaft enthalten, doch wir können sie nicht lesen.'

Aber rechnen, hochrechnen kann Allan Lindh, der mit seinem rötlichen Vollbart eher in die Komparserie für ein Wikinger-Epos als auf einen Chefsessel der amerikanischen Erdbebenbehörde von Menlo Park bei San Francisco paßt.

Ein Vorbote größeren Unheils

Aber von eben diesem Chefsessel aus hat er den Menschen der Bay Area seine Rechnung präsentiert: Innerhalb von 30 Jahren werde es mit 67-prozentiger Wahrscheinlichkeit zum Killer-Beben kommen, wobei Lindh in jenem heftigen Erdstoß im Oktober 1989, als den Kaliforniern die Anfälligkeit des Landes dramatisch vor Augen geführt wurde, eine Bestätigung für seine These sah: Wie erinnerlich, hatte damals ein Beben mit einer Stärke von 7,1 auf der Richter-Skala in der Bay Area Häuserwände, ein Betonstück der gewaltigen Bay Bridge und reihenweise Autobahnpfeiler bersten lassen und 67 Menschen erschlagen. Laut Lindh nur ein Vorbote noch größeren Unheils.

Das Beben hatte seinen Ursprung 20 Kilometer unter dem Berg Loma Prieta, der sich nahe dem Badeort Santa Cruz über dem berühmtesten aller Risse der Erdhaut erhebt: der in Nord/Süd-Richtung an San Francisco vorbeilaufenden San-Andreas-Spalte.

Aber die Stelle, wo die Erdnarbe vor drei Jahren aufgebrochen ist, liegt mehr als 100 Kilometer von der Stadt am Golden Gate entfernt, und die Befürchtung der Seismologen ist nun, daß der nächste Schlag der Erde an der Bay selbst erfolgen und die Millionenbevölkerung ungleich härter treffen wird.

Die kritischen Stellen sind längst ausgemacht, und man hat dabei nicht nur einzelne Segmente der San-Andreas-Spalte im Auge. Die auf der Ostseite der Bay verlaufenden Bruchlinien im Netz der Risse, vor allem die zweigeteilte Hayward-Spalte, sind genauso bedrohlich.

Ruckartiges Brechen

Überall könnte das große, ruckartige Brechen erfolgen, und das Beben würde dann je nach Ort, Stärke und Stoßrichtung spezifische Wellenbewegungen im Erdboden auslösen.

Wenn man Glück hat, rennen sie sich fest an felsigem Grund oder verlaufen sich in wenig besiedeltem Gelände wie zuletzt im Juni dieses Jahres östlich von Los Angeles. Als dort ein Stück vernarbte Erdhaut mit Urgewalt aufriß, schnellte der Zeiger auf der Richter-Skala zwar auf die Katastrophenmarke 7,5, in Los Angeles ging gleichwohl nichts Wesentliches zu Bruch.

So ist nicht ausgeschlossen, daß man auch an der Bay von San Francisco mit einem blauen Auge davonkommt, aber wahrscheinlicher ist, daß die Schockwellen des Bebens durch den Untergrund der Bay Area rasen, ihn zerknittern wie Pappendeckel und Zehntausende, vielleicht Hunderttausende von Menschen ins Unglück reißen.

Auf Sand gebaut

Dabei wäre es mit einiger Sicherheit gar nicht San Francisco, das am meisten in Mitleidenschaft gezogen würde. Die Stadt erhebt sich zum großen Teil auf festem, widerstandsfähigem Fels. Aber bereits die Schwesterstadt Oakland ist größtenteils auf Sand gebaut, ebenso wie eine ganze Kette kleinerer Städte im Osten der Bay - Hayward etwa oder das benachbarte Fremont, auch Sunnyvale, vor allem aber San Leandro, dessen Ruhm darin besteht, der gefährlichste Fleck überhaupt zu sein.

Die Städte stehen auf Schlamm, der vor 8500 Jahren aus den Rocky Mountains in die Bay geschwemmt worden war und noch weich ist - der richtige Platz für einen Großangriff aus den Tiefen der Welt und damit für alle Horrorvisionen.

Lokaltermine. Zuerst in Oakland, wo das Loma-Prieta-Beben die Stelzen des doppelstöckigen Zypressen-Freeways geknickt hatte, so daß die Autos auf der unteren Fahrbahn mitsamt ihren Insassen wie in einem Sandwich zerquetscht wurden.

Damals, als es passierte, notierten wir, daß die Arbeiterstadt Oakland im Vergleich zum eleganten, reichen San Francisco ihren Bewohnern nicht nur das härtere Leben bietet, sondern sie auch den böseren Tod erleiden läßt.

Verrammelt

Jetzt also Stippvisite in der City Hall. City Hall? Die Eingangstür zum weißen, würdigen Rathausturm mit seinen 15 Stockwerken ist verrammelt. Einsturzgefahr seit dem Beben im Jahr 1989!

Die Ironie, sagt Hank Renteria, der Katastrophenschutzbeauftragte der Stadt, den man in einem Behelfsbüro auf der anderen Straßenseite auftreiben kann, die Ironie sei, daß ein Rathausneubau billiger käme als eine Restaurierung, man jedoch das Gebäude nicht abreißen dürfe, weil es unter Denkmalschutz stehe.

Für die Restaurierung und Erdbebensicherung andererseits hat man in den drei Jahren seit dem Loma-Prieta-Beben kein Geld gehabt - und damit ist auch schon das Hauptproblem der Bay Area im Umgang mit der Gefahr neuer Beben genannt: die katastrophale Not der Öffentlichen Hand.

Kein Geld für Klopapier

Überall ist es so. Die Städte, klagt zum Beispiel Sarah Natha vom Bay Area Regional Earthquake Preparedness Project, einer staatlichen Katastrophenschutzorganisation für die Bay, die Städte hätten ja noch nicht einmal Geld fürs Klopapier ihrer Schulen.

Und der Staat Kalifornien ist ohnehin pleite, wie man spätestens seit dem Sommer weiß, als angekündigt wurde, man werde wohl die Gefängnisse schließen (besser: öffnen) müssen, weil man sich die Haftanstalten finanziell nicht länger leisten könne.

Was die Stadt Oakland betrifft, so treibt man jetzt bei Hausbesitzern 50 Millionen Dollar durch eine als Anleihe getarnte Erdbebensteuer ein, um sich wenigstens ein stoßsicheres Katastrophenzentrum zulegen zu können. Und vielleicht bleibt auch noch etwas übrig, um Straßen zu befestigen, so daß ein Desaster wie am Zypressen-Freeway nicht mehr passieren kann.

Zähes Vorankommen

Aber die Freeways sind nun einmal Sache des Staates. Und weil dessen Kassen leer sind, bleibt als Haupteindruck nach dem Besuch bei Hank Renteria, daß alles ungeheuer zäh vorangeht - im übrigen auch drüben, auf der anderen Seite der Bay, in San Francisco, wo die wichtigste Stadtautobahn seit dem Loma-Prieta-Beben wegen Einsturzgefahr gesperrt ist. Man quält sich seitdem Stoßstange an Stoßstange durch die Innenstadt.

Also läßt man San Francisco gern rechts liegen und fährt für den Lokaltermin Nr. 2 von Oakland aus ein paar Meilen nach Süden, in die Stadt San Leandro, deren Konturenlosigkeit in einem seltsamen Kontrast zu dem Schreckensbild steht, das bisweilen von der Stadt gezeichnet wird und das sie irgendwie sogar zu genießen scheint.

Wo immer die Erde zuschlägt - San Leandro kriegt es unbarmherzig zu spüren. Bruch der San-Andreas-Spalte auf der Gegenseite der Bay - regelrecht anbranden würden dann die Schockwellen.

Omnipräsente Gefahr

Riß eines Nordsegments der Hayward-Spalte - wieder eine Breitseite gegen die Stadt, genauso wie beim Bruch eines Südsegments, denn die Stadt grenzt an beide Teile. Und wenn beide zugleich reißen sollten - dann gute Nacht, San Leandro, es wäre der GAU.

Und mittendrin im Schnittpunkt der Gefahren ein Mensch, dem die trüben Aussichten die Laune nicht verderben können. Dave Karp, der Bürgermeister, ist ein sturmerprobter Mann, der an der Küste Neu-Englands aufwuchs, so daß ihm die Wirkung anbrandender Wogen nicht fremd ist. Ganze Hausbalken, sagt er, habe er schon ins Wohnzimmer segeln sehen; nein, so ein bißchen Beben könne ihn nicht schrecken.

Andererseits muß Dave Karp aber doch zugeben, daß seine eigene City Hall nicht nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zusammenstürzen wird beim großen Schlag, sondern daß die Trümmer vielleicht auch noch drei Meter unter Wasser liegen werden, denn an den Hängen über der Stadt erhebt sich ein Staudamm, der natürlich brechen kann.

Und das ist noch nicht alles: Wälder reichen bis in die Stadt hinein - strohtrocken und durchzogen von Gasleitungen, die die Hayward-Spalte kreuzen und beim Beben vermutlich reißen.

Man muß wohl Dave Karps Seelenpanzer haben, wenn man da nicht von Alpträumen geplagt werden will: eine Unterstadt, die zur Unterwasserstadt werden kann, eine Oberstadt, die von Waldbränden verschlungen wird - und ansonsten Trümmer, Tote und Verletzte.

Mahnungen

Nicht, daß San Leandro die Gefahr ignorieren würde. Nein, gewiß nicht. Die Stadt hat, wie Oakland, einen Katastrophenschutzbeauftragten eingestellt, einen tüchtigen Geologen mit Namen Patrick McClellan, der die Bevölkerung immer von neuem ermahnt, sich auf den Tag X einzustellen und private Vorsorge zu treffen.

Doch zu viel mehr als der Bezahlung des Warners reicht das Geld nicht. Zwangsanleihe bei den Bürgern - auch diese Idee wollte man von Oakland übernehmen. Der Stadtrat legte aber sofort sein Veto ein, die Volksstimmung durchaus richtig einschätzend. Denn die Städte an der Bay stehen, vorsichtig gesagt, nicht in sonderlich gutem Ruf, was den Umgang mit Geldern ihrer Bürger angeht.

Man braucht sich nur die Rathäuser anzuschauen. Oaklands zugesperrte City Hall - gut, als man sie baute, mag biegsamer Spannbeton noch ein Fremdwort gewesen sein.

Dilettantisch

Aber nebenan in Hayward hat man sich mächtig angestrengt, sich so dilettantisch wie nur irgend möglich anzustellen. Skandal, schreien noch heute die Bürger. Mitten durch Haywards Downtown verläuft der Erdriß und verbiegt Bordsteine, zerbricht Betonbeläge, reißt an Hausmauern, weil sich Jahr um Jahr die gebrochenen Kontinentalplatten gegenseitig um sechs Millimeter verschieben.

Und genau auf die Naht, als wollten sie sie mit einem Bauwerk zusammenhalten, haben Haywards Stadtväter ihre City Hall gestellt, ein verschnörkeltes Gebäude, das heute, nach einer Wanderbewegung des Untergrunds von, sagen wir mal, einem Viertelmeter, längst zur unbrauchbaren Bruchbude geworden ist.

Schilda in Kalifornien: Unerschrocken machte man sich daran, mit einer zweiten City Hall der Natur zu trotzen. Eine nahe gelegene High School erklärte man für erdbebengefährdet, schloß sie ersatzlos, riß sie ab, stellte auf das Gelände einen teuren Betonklotz - und war erstaunt, als schon das erste Rütteln, das Loma-Prieta-Beben vor drei Jahren, die neue City Hall ebenfalls zur Bruchbude machte. 'Benutzbar allenfalls noch als Lehrbeispiel, wie man nicht bauen darf', sagt mit einem Unterton von Schadenfreude der Katastrophen-Warner McClellan aus San Leandro, der mit der Auflistung der Fehlplanungen noch nicht zu Ende ist.

Zerreißprobe im Boden

Fremont! Die dritte der Kleinstädte im Osten der Bay. Dort, sagt McClellan, habe man gemessen und gerechnet, bevor man mit dem Bau der City Hall begann. Aber beim Nachmessen und Nachrechnen mußte man dann verblüfft feststellen, daß das Gebäude doch wieder mitten auf einem Riß im Boden steht - ebenfalls dem Tod geweiht, ein Opfer der unentwegten Zerreißprobe im Boden, wenn nicht schon zuvor des Big Ones.

Und das Rathaus von San Leandro? Eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die gute: Der Flachbau steht auf keinem Riß. Jetzt die schlechte: Der Flachbau selbst zeigt Risse, im Keller hinterlassen von Loma Prieta, dem Boten des Unheils.

Stabilisiert werden könnte der Bau nur durch Eisenstangen, die man in die Wände einzieht. Doch dafür ist, das alte Lied, kein Geld vorhanden. Und so sitzt der Bürgermeister Dave Karp ziemlich ratlos, wenn auch fröhlich, vor seinen Flaggen im Amtszimmer und beantwortet die Frage, was denn im Falle eines Big One zu tun sei, ganz unprosaisch: 'Rennen, einfach losrennen!'

Geklebt und wieder aufgestellt

Im übrigen ist beim Beben vor drei Jahren im Bürgermeisterzimmer unter anderem ein Porzellanteller, ein Geschenk aus dem portugiesischen Ponta del Gade, vom Bücherbord gefallen und zersprungen. Karp hat ihn geklebt und wieder aufgestellt - an seinem alten, angestammten Platz.

Alles geht eben weiter, als wäre nichts geschehen, und Dave Karp räumt ein, daß er selbst auch nicht gerade ein leuchtendes Vorbild des Katastrophenschutzes abgebe. Aber immerhin habe er, was seinen eigenen privaten Bereich angehe, die Familie angewiesen, sie solle bei einem Beben in der Garage das Gas abdrehen.

Realität und Wahrnehmung

Aber viel Hoffnung hat Dave Karp nicht, daß die Empfehlung auch befolgt wird: 'So wie ich meine Frau kenne, wird sie das Photoalbum schnappen und in Panik auf die Straße rennen.' Es ist mehr als nur ein Eindruck, daß die Gefahr in dem Maße weniger wahrgenommen wird, wie sie wächst.

Patrick McClellan hat es sogar schwarz auf weiß - das Ergebnis dreimaligen Nachbohrens bei den Bewohnern der Bay. Ob sie in den nächsten fünf Jahren mit einem katastrophalen Beben rechneten, waren die Menschen 1986 nach einem Beben der Stärke 6,0 gefragt worden. 62 Prozent der Befragten antworteten mit Ja.

Im Jahr 1990, nach dem Loma-Prieta-Beben mit seiner Stärke von 7,1, waren es erstaunlicherweise nur noch 48 Prozent. Und zuletzt, im Juni 1992, nach dem schweren Beben bei Los Angeles, als die Stärke 7,5 gemessen worden war, sogar nur noch 28 Prozent - und dies, obwohl sich nicht nur die Schlagfrequenz der Beben dramatisch steigert, sondern auch deren Stärke, wobei man wissen muß, daß sich die zerstörerische Kraft von Erdstößen mit jeder vollen Ziffer auf der Skala gleich um das Zehnfache erhöht.

Es wird also nicht mehr lange dauern, bis jene katastrophale Stärke von 8,1 erreicht ist, die Kraft, die 1906 San Francisco vernichtet hat.

Wohltrainierte Nachbarn

Und darauf ist nun kaum einer vorbereitet - es sei denn, er lebt in Sunnyvale und ist vom Schlage eines John Shields. Glückliches Sunnyvale, wo es noch Bürger gibt, die Pionier- und Pfadfindergeist in sich tragen und die die Gefahr zusammenschweißt.

Lokaltermin Nr. 3. Die Stadt im Herzen des Silicon Valleys mit seinen Computerfirmen wird gepriesen wegen SNAP, einer Bürgerinitiative, deren Initialen für Sunnyvale, Nachbarschaft, Aktivität und Vorsorge stehen.

Generalstabsmäßige Planung

Die Initiative, heißt es allgemein, sei die allerbeste Waffe gegen den unsichtbaren Feind. Gruppen von jeweils etwa 50 Haushalten haben sich zusammengeschlossen, um sich in Nachbarschaftshilfe gegenseitig beizustehen. Captains hat man ernannt und Komitees eingesetzt. Konferenzen hält man, und generalstabsmäßig plant man, und einer von denen, die die Idee tragen, ist eben dieser John Shields, der Rentner, der nicht nur seine Überlebensvorräte in der Mülltonne gut ordnet, sondern auch seine Gedanken an den Ernstfall.

Woran man nicht alles denken muß: Es gibt in der Nachbarschaft Menschen, die von Arzneien abhängig sind, Menschen, die gebrechlich sind, Menschen, die gegen dies und das allergisch sind.

Mit Verstand gegen die Zerstörungswut

Man muß, wenn sich die Erde aufwölbt und die Wände bersten, sofort präsent sein, der Zerstörungswut der Erde den menschlichen Verstand entgegensetzen.

John Shields hat, so wie die Captains anderer Nachbarschaftsorganisationen auch, den seinen bemüht, hat seine Nachbarschaft so trainiert, daß jeder weiß, was er zu tun hat. Man weiß, wer welche Hilfe brauchen könnte. Man weiß, wer wo zu suchen ist. Jeder hat in einem Nachbarhaus einen buddy, einen Partner, um dessen Schicksal er sich zu kümmern verpflichtet ist. Man weiß, wo im Nachbarhaus der Gashahn ist, der abgedreht werden muß.

Niemand soll in Panik mit dem Photoalbum auf die Straße rennen. Man hat ein Haus, das stabilste in der Nachbarschaft, als Lazarett vorgemerkt, und wer ein Wohnmobil hat, der weiß, daß man seinen Generator für den Notstrom braucht. Die Kabel liegen schon bereit.

Mitglieder der Initiative, die in Erster Hilfe ausgebildet sind, werden sofort zu Sanitätern. Man hat einen Baukontrolltrupp aufgestellt, der in Trümmer eindringen soll. Man hat eine Botenbrigade ausgesucht, die, kräftig zu Fuß, die Kommunikation mit der Stadtverwaltung herstellen wird. An alles hat man gedacht, sogar an ein Katastrophenzentrum: eine hölzerne Kinderhütte, die zu leicht ist, als daß sie bersten könnte.

Die Abwehr wird stehen

Und davor steht John Shields und studiert die Einsatzpläne. Irgendwann wird das Beben kommen. Das glaubt er, und darauf ist er vorbereitet. Vielleicht wird er stolpern, aber die Abwehr gegen den Feind wird gleichwohl stehen. Fest, wie er meint. Bebenfest.

© SZ vom 26.09.92 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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