England:"Was essen bloß die anderen?"

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Eine britische Studie macht für die Fettleibigkeit vieler Engländer die Dichte von Fish-and-Chips-Läden in ihren Städten verantwortlich.

Von Christoph Schwennicke

London - Obesity ist ein großes Thema in Großbritannien, ein Politikum regelrecht. Obesity ist das englische Wort für Fett- oder Fresssucht.

Kein Vorbild: Englands Premier isst fish and chips. (Foto: Foto: AP)

Die Obesity-Debatte ist eine Art unterdrücktes schlechtes Gewissen der Nation, das sich zyklisch Bahn bricht: Alle wissen, dass es nicht gut sein kann, sich nur von Fish and Chips zu ernähren.

Man verdrängt es aber, und stellt sich unwissend. Zeitungen füllen Seiten mit Bildern von Salat, Vollkornbrot und Obst: "Ist das wirklich gesund?" heißt die Überschrift.

Die Regierung versucht, sich an der Obesity-Obsession zu mästen, indem sie über eine Fettsteuer nachdachte.

Nach einer neuen Studie nun, die sich in den britischen Blättern niederschlug, ist Kingston upon Hull die fetteste Stadt Großbritanniens, wohingegen die Namensschwester Kingston upon Thames im Londoner Großraum die Stadt mit den meisten schlanken Menschen ist.

Zu Grunde gelegt wurden 61 Faktoren, darunter ein Vergleich von lokalen Krankenhauszahlen über Fälle von Diabetes Typ 2, die eine Folge falscher Ernährung und von zu wenig Bewegung ist.

Die Ernährungsstudie ist zugleich eine Klassenstudie: Alle 20 aufgelisteten Fettstädte befinden sich im strukturschwachen Nordengland, wohingegen 17 der 20 Schlank-Städte in einem Speckgürtel um das boomende London herum liegen.

Nur Edinburgh, Glasgow und die Scilly-Inseln fallen aus dem Rahmen. Marc Farr, der Autor der Studie, kommt deshalb zu folgender Erklärung von Kingston (fett) und Kingston (schlank): Die Gegenden Nordenglands, in der die Fettsucht verbreitet ist, seien Arbeitergegenden.

30 Prozent der Bewohner von Kingston upon Hull würden in irgendeiner Form Unterstützung beziehen. Es würde dort mehr geraucht und die Bewohner hätten sehr altmodische Vorstellungen von diet, wobei dies sowohl Diät als auch Ernährung heißt: "Die traditionelle diet in dieser Gegend sind Fish and Chips. Wir haben zehn Fish-and-Chips-Läden im Zentrum von Kingston upon Hull gefunden, aber keinen einzigen in Kingston upon Thames."

Jetzt sollen also ausschließlich Fish and Chips schuld sein. Kürzlich musste das Markenzeichen sogar für die Überfischung des Kanals herhalten. Es steht nicht gut um das Traditionsessen der Briten.

Tatsächlich macht Kingston upon Thames einen mitunter beängstigend gesunden Eindruck. Das Stadtzentrum ist voller Fitnessstudios. Dennoch löste das Ergebnis der Studie in der Vorzeigestadt einiges Erstaunen aus:

Die 20-jährige Victoria Elves etwa sagte, das Ergebnis entspreche nicht ihren Eindrücken. Immerhin lägen zwei Filialen von bekannten Hamburger-Ketten keine 50 Meter auseinander. Es sei ganz bestimmt einfacher, in Kingston upon Thames einen Hamburger zu bekommen als Tofu und Linsen.

"Wenn wir die Dünnsten sind", so Elves, "was um Gottes willen essen dann bloß die anderen?"

© SZ vom 3.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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