Engländer begießen Wegfall der Sperrstunde:"Cheers!" nach Mitternacht

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Noch einmal drehten die Wirte in England und Wales am Mittwochabend pünktlich um 23 Uhr die Zapfhähne zu. Doch anders als sonst blieben die Gäste einfach sitzen und warteten auf Mitternacht - denn von da an durfte der Alkohol wieder fließen.

In England und Wales haben in der Nacht zum Donnerstag tausende trinkfreudige Briten den Wegfall der Sperrstunde gefeiert. Mit Trinksprüchen und guter Laune stießen die Gäste zahlreicher Pubs auf die gesetzliche Neuregelung an, die pünktlich um Mitternacht in Kraft trat.

"Endlich werde ich wie ein Erwachsener behandelt", freute sich mancher Pub-Besucher. (Foto: Foto: Reuters)

Da die bisherige Sperrstunde um 23.00 Uhr am Mittwoch zum letzten Mal galt, mussten die Kneipenbesitzer mit dem Kuriosum fertig werden, dass sie ihren Gästen eine Stunde lang nichts nachschenken durften.

"Endlich werde ich wie ein Erwachsener behandelt", sagte der Werbefachmann Rob Morris, der die historische Stunde im "Agricultural" im Londoner Szene-Bezirk Islington verbrachte. "Ich muss jetzt nicht mehr darauf achten, dass ich kurz vor elf noch einen letzten Drink bekomme."

Die Barkeeperin Tina Davies war weniger erbaut. "Ich fühle mich eher wie 'Mist, jetzt muss ich länger arbeiten'", sagte die 24-Jährige. "Aber was kann ich machen? Ich bekomme mehr Geld, und ich brauche es!"

Arbeiter sollten Kriegsgüter nüchtern produzieren

Gastwirt Nigel Jones im "Railway Hotel" im südwestenglischen Blandford Forum hängte am Mittwoch zum letzten Mal um 23.00 Uhr die Handtücher über die Zapfhähne. Den traditionellen Rausschmeißer "Habt Ihr denn alle kein Zuhause?", den er sonst immer nach der letzten Runde ausgesprochen hatte, konnte Jones sich in dieser Nacht ersparen.

Seine Gäste vertrieben sich die einmalige einstündige Wartezeit, bis der Ausschank um Mitternacht aufs Neue begann. "Ich glaube nicht, dass die Neuregelung dazu führt, dass die Leute rund um die Uhr trinken", sagte Jones.

Die Aufhebung der Sperrstunde hatte die Labour-Regierung bereits 2003 beschlossen. Der Ausschank-Stopp eine Stunde vor Mitternacht war 1915 während des Ersten Weltkriegs verfügt worden. Damit sollte verhindert werden, dass Arbeiter in kriegswichtigen Fabriken angetrunken zur Frühschicht erschienen.

Der 24-Stunden-Verkauf von Alkohol ist nun im Prinzip auch in Supermärkten und anderen Geschäften erlaubt. Jedoch nur, wenn sie eine besondere Lizenz erhalten haben. Allerdings bemühten sich zunächst recht wenige Kneipen und Läden um die bei Kritikern verschrienen "24-Stunden-Sauf-Lizenzen".

Angst vor ausufernden Alkohol-Krawallen

359 Pubs und Clubs wurde die entsprechende Genehmigung erteilt. Zehntausende weitere erhielten wunschgemäß Lizenzen für nur leicht verlängerte Öffnungszeiten, meist um jeweils zwei bis drei Stunden von Freitag bis Sonntag.

In der Millionenmetropole London werden Touristen und Einheimische nach Angaben des "Evening Standard" künftig in bis zu 5000 Pubs, Bars und Clubs bis nach Mitternacht Alkohol trinken können. Die oppositionelle Konservative Partei hatte dennoch argumentiert, dass es bei einer Aufhebung der Sperrstunde noch mehr jener Alkohol-Krawalle geben würde, für die das Insel-Königreich berüchtigt sei.

Die Labour-Regierung erklärte, dass sich künftig weniger Pub-Besucher durch eine Sperrstunde gedrängt fühlten, rasch betrunken zu werden. Die Liberalisierung der Kneipenöffnungszeiten helfe, das verbreitete "Koma-Trinken" einzudämmen.

Im nordenglischen Newcastle haben sich die Rettungskräfte für extrem trinkfreudige Nachteulen etwas Besonderes einfallen lassen: In einer Art Auffanglager für Betrunkene stehen an Wochenenden mitten im historischen Quayside-Viertel Liegen zum Ausnüchtern bereit. Dort kümmert sich medizinisches Personal um mögliche "Schnapsleichen".

Parallel zur Aufhebung der Sperrstunde startete die Polizei aber auch eine "Weihnachtskampagne gegen Trunkenheit und Rowdytum". Ausgestattet mit einem Sonder Budget von umgerechnet 3,7 Millionen Euro will sie "massiv" gegen betrunkene Randalierer vorgehen. Ihnen drohen Geldstrafen von 80 Pfund (knapp 120 Euro). Im vergangenen Jahr mussten während einer ähnlichen Kampagne mehr als 3600 Menschen Bußgelder zahlen.

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