Elizabeth II.:50 Jahre auf dem Thron

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Queen Elizabeth II., eine Monarchin ohne Brillanz und große Fehler, kontrolliert und von eisernem Pflichtbewusstsein - aber eines ist ihr nicht gelungen.

(SZ vom 05.02. 2002) London, im Februar - Ob sich Enkel Harry zur Feier des Tages vielleicht einen besonders dicken Joint dreht? Nein, gewiss nicht, der 17-jährige Prinz hat schließlich Besserung gelobt, will fortan allen irdischen Verlockungen entsagen und überhaupt der Oma nur noch Freude machen.

Das eiserne Lächeln der Monarchin: Seit fünf Jahrzehnten repräsentiert Queen Elizabeth II Großbritannien. (Foto: dpa)

Bruder William wird ähnlich gute Vorsätze gefasst und bereits damit begonnen haben, an seiner Ausdrucksweise zu feilen, auf dass sie noch brillanter werde, als sie ohnehin schon ist. "Fucking piss off, Postlethwaite!" So schrie er unlängst hoch zu Ross einen ihm lästigen Fotografen an, und das war endlich mal ein klares Wort vom zukünftigen König, aber genützt hat es leider nichts, denn kurz darauf verging sich schon wieder einer von diesen verdammten Bilderknipsern an den Royals, diesmal an Williams Onkel Andrew.

Man mag es kaum glauben, aber es ist dies im Kern dieselbe Familie, die vor fünfzig Jahren noch als der Inbegriff von Tugend und Ideal gegolten und so ganz wesentlich zur Aura, zum geheimnisvollen Nimbus des britischen Königshauses beigetragen hatte.

Die blutjunge, schöne Königin, verehrt und bewundert als "the world's sweetheart", die Kinder so niedlich, der Gemahl ein Bild von einem Mann - und dass der seine Frau schon mal als "bloody fool", verdammte Närrin, beschimpfte, war damals noch keine Schlagzeile wert. Wie auch? Die Dienstboten bei Hofe hatten, von der einen oder anderen Ausnahme abgesehen, noch nicht entdeckt, dass sich ihr Wissen versilbern lässt, und medienmäßig befand sich das Land ohnehin noch im Stande der Unschuld, wie sich auch bei jenem Ereignis zeigte, das vermutlich mehr als jedes andere die Königin geprägt hat - auch wenn sie da erst ein Kind war.

Schweigen im Blätterwald

Es gab noch Tabus, und es gab Chefredakteure, die um des guten Rufs der Royals willen Skandalgeschichten pietätvoll unterdrückten, jedenfalls so lange, wie es sich einigermaßen rechtfertigen ließ. Was hätten die Gazetten heute für eine Freude an der Geschichte um den feschen König Edward VIII. und seine unselige Liebe zur geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson, mit welcher Lust würden sie auch noch das letzte intime Detail ausquetschen - damals, Mitte der dreißiger Jahre, herrschte dezentes Schweigen im Blätterwald, und das änderte sich erst, als aus der Affäre eine Staatskrise und aus der Staatskrise ein Thronwechsel geworden war.

Edward VIII. musste abdanken und den Thron seinem jüngeren Bruder überlassen. Der war gehemmt und stotterte, saß am liebsten daheim bei seinen Lieben und häkelte und stickte - und wollte nichts so wenig wie ein König sein. Als klar war, dass es keinen Ausweg gab, brach der Vater der Prinzessin Elizabeth zusammen und schluchzte wie ein Kind.

Luftikus und Lebemann

Elizabeth war da noch keine elf Jahre alt und wird die Zusammenhänge nicht verstanden haben, aber das Leiden ihres Vaters bekam sie mit - und auch, dass es ihr Lieblingsonkel war, der es verursachte. So wurde Edward VIII. in ihren eben noch bewundernden Augen zum abschreckenden Beispiel. Nicht nur das Leben ihres Vaters hatte er verändert, sondern auch ihr eigenes.

Erst betete sie noch, der liebe Gott möge ihr doch einen Bruder schicken, aber dann fand sie sich damit ab, dass sie als die ältere der beiden Töchter irgendwann einmal Königin sein würde. Aber sie fand sich nicht nur ab, sie nahm sich auch etwas vor. Folgt man der Theorie des Autors Robert Lacey in seinem neuen Buch über die Queen, dann waren es der Verrat ihres Onkels an der Tradition sowie dessen schnöde Missachtung der Pflicht zugunsten des Gefühls, die ihren Willen geformt haben, als Königin alles zu tun, um den eingetretenen Schaden wieder gut zu machen und das Trauma der Abdankung zu überwinden.

Eiserne Queen

Das ist keine schlechte Theorie, denn sie erklärt vieles. Sie erklärt zum Beispiel das eiserne Pflichtbewusstsein, das zum Markenzeichen der Queen geworden ist - als Gegenentwurf nämlich zur lässigen Berufsauffassung ihres Onkels, der als Lebemann und Luftikus so ziemlich alles hasste, was mit Arbeit verbunden war.

Sie erklärt, warum sich die Queen nach dem Tod ihrer Schwiegertochter Diana so unendlich schwer tat, mit einer emotionalen Geste die Welle der Hysterie zu brechen, die das Land ergriffen hatte - gefühlsbetonte, die große Volksseele ansprechende Gesten waren die Spezialität des Verfemten. Und erklärt die Theorie nicht auch das Misstrauen der Monarchin gegenüber allem Neuen? Allem, was irgendwie abweicht vom Althergebrachten? Edward VIII. galt als Modernisierer, als einer, der frischen Wind bringen wollte in das muffige Haus der Windsors.

Aber vieles von dem, was die Queen zur Queen gemacht hat, war schon früh angelegt. Sie soll bereits mit einer stiff upper lip auf die Welt gekommen sein, und als Kind habe sie sich große Mühe gegeben, ihre Schuhe und Spielzeugpferde so akkurat aufzureihen wie Soldaten beim Paradieren.

Später kamen dann die "red boxes", mit denen Tag für Tag der nicht enden wollende Strom von offiziellen Regierungsdokumenten zur Queen geleitet wird - behandelt werden die ebenso gewissenhaft wie einst die Spielzeugpferde. Nichts von all dem Papierkram lässt sie liegen - und das praktisch seit dem ersten Tag.

Dabei war sie da erst 25 Jahre alt, "nur ein Kind," wie Churchill sorgenvoll bemerkte, nachdem George VI. am 6. Februar 1952 gestorben und seine Tochter Elizabeth nachgerückt war - und zwar in Abwesenheit, denn sie befand sich zu dem Zeitpunkt mit ihrem Mann auf Besuch in der afrikanischen Kolonie Kenya.

Eine Safari musste abgebrochen, die Sagana Lodge, ein Hochzeitsgeschenk der Kolonialregierung in Nairobi, überstürzt verlassen werden. Von Entebbe ging es zurück nach London. Das war damals noch ein Flug von 24 Stunden. Einmal, zweimal verließ die, die sie nun Majesty nannten, ihren Sitz, und als sie zurückkam, sah sie aus, als hätte sie geweint.

Dünne Piepsstimme

Sie sprach wenig auf dem Flug, ein Helfer erinnert sich aber an die Frage: "Und was passiert jetzt, wenn wir heimkommen?" Neben der Landebahn standen alte Männer mit langen Gesichtern, und auch die alte Queen Mary war da und knickste und küsste die Hand ihrer Enkelin. Dann noch ältere Männer mit noch längeren Gesichtern, von denen man gar nicht wusste, dass sie noch lebten. Es war die erste Sitzung des Thronrats mit der neuen Monarchin - und Monarchin war sie jetzt, auch wenn sie so klein war und eine dünne Piepsstimme hatte.

So begann es. Im Jahr darauf war die Krönung, und dass im selben Jahr, einen Monat davor, in Edinburgh ein gewisser Tony Blair geboren wurde, war noch ohne Belang. Bevor der am Dienstagabend zur allwöchentlichen Audienz bei der Queen empfangen wurde, kamen neun andere Premiers. Sie kamen und sie gingen, die Queen blieb. Churchill, dreimal so alt wie die Königin, gab den guten Onkel und den großen Lehrmeister, und dann riss sie eines Tages ab, die Serie der mindestens halbaristokratischen konservativen Regierungschefs - und vor der Queen stand in Gestalt von Harold Wilson erstmals ein leibhaftiger Sozi.

Aber wenn es denn ein Kulturschock war, dann löste der sich schnell auf in der demonstrativen Wertschätzung, die der Labour-Mann den Plauderstündchen mit der Monarchin beimaß. Bald wurden sie lang und länger, und das gute Einvernehmen konnte auch Wilsons Postmaster-General, der linke Heißsporn Tony Benn, nicht trüben, der verbissen, aber letztlich erfolglos darum kämpfte, das Porträt der Queen von den Briefmarken des Landes zu verbannen.

Der Schwanz des Corgi

Nicht, dass die Audienzen von politischer Bedeutung wären - die Queen hat ja keine Macht, sondern nur das Recht, zu warnen, zu ermutigen und konsultiert zu werden. Andererseits aber sagt es natürlich ein bisschen was aus, wenn zum Beispiel bekannt wird, dass sich zur Zeit der Regierung Thatcher die Rollen verkehrten - die Krämerstochter mit ihrem aufgeblähten Ego immer pompöser und majestätischer, die Queen dagegen nüchtern und sachlich.

Dass sich die beiden Frauen nicht leiden konnten, war offen-sichtlich. Für die Thatcheraner war der Palast irrelevant und dekadent, umgekehrt empfand man im Palast die rechten Revolutionäre als vulgär, wenn man nicht sogar ein bisschen alarmiert war.

Dass die das Commonwealth, den von der Queen so sorgsam gehegten letzten Rest der imperialen Familie, als unnützen Ballast empfanden, dass sie mit ihrer Innenpolitik große soziale Verwerfungen in Kauf nahmen - das alles schien die Herrin im Buckingham Palace nicht wenig zu irritieren. Zeitweilig sah es so aus, als stünde sie links von ihrer Premierministerin.

Aber dann ging auch die Thatcher, es kam Major, es kam Blair - nur eine war konstant in diesem Reigen, und die machte weiter so wie immer, ein bisschen steif, ein bisschen langweilig, stets kontrolliert, es sei denn, jemand trat einem ihrer Corgies auf den Schwanz. Eine Frau ohne besondere Eigenschaften, ohne Brillanz, aber auch ohne große Fehler, intelligent, aber nicht intellektuell - so war es ja schließlich von ihren Eltern auch geplant gewesen, denn wenig fürchten die britischen Royals in ihren Reihen so sehr wie Blaustrümpfe.

Prosa statt Poesie, und wie prosaisch die Queen ist, das bekam schon sehr früh einer ihrer Redenschreiber zu spüren, der für einen Besuch in der Stadt Kingston upon Hull eine Ansprache entworfen hatte. "Ich freue mich sehr, heute in Kingston zu sein," begann der Text. Die Queen las ihn und strich das Wort "sehr". Sie werde sich freuen in Kingston zu sein, so ihre Erklärung - "aber ich werde mich nicht sehr freuen."

Als sie noch nicht Queen, aber schon verheiratet und Mutter (ihres ältesten Kindes und Thronfolgers Charles) war, da hat sie mal auf Malta gelebt, wo ihr Mann als First Lieutenant und zweiter Kapitän auf dem Zerstörer "Chequers" stationiert war.

Ihren kleinen Jungen ließ sie daheim bei den Großeltern in Sandringham, wo er sein zweites Weihnachtsfest verlebte. Nach fünf Wochen kam die Mutter zurück nach England - in sehr großer Vorfreude auf das Wiedersehen mit ihrem Kleinen? Oder nur in großer?

Die Frage stellt sich, denn die Prinzessin verbrachte nach der Rückkehr erstmal vier Tage damit, in London den in der Zwischenzeit aufgelaufenen Berg Post abzuarbeiten sowie in der Grafschaft Surrey ein Pferderennen zu besuchen, wo mit Monaveen einer ihrer Vollblüter am Start war - ehe sie schließlich den Weg nach Sandringham fand zu ihrem Sohn.

Die Frage, ob die Queen ihren vier Kindern und speziell dem Thronfolger Charles eine gute Mutter war, ist schon oft gestellt worden. Es gibt Fotos vom jungen Charles, die sind zum Erschrecken - so traurig, so unendlich verloren sieht er darauf aus.

Dass die Queen für Tiere ein Herz hat, weiß man. Einmal, da verlor sie einen Corgi und war davon so berührt, dass sie einer flüchtigen Bekannten einen sechsseitigen Brief schrieb - einen gefühligen, vom Gemüt formulierten Brief. Ein andermal hatte ihr Rennpferd Aureole ein wichtiges Rennen in Ascot gewonnen, und da sah man die Monarchin auf dem Absattelplatz, schier elektrisiert vor Glück, wie sie das Pferd tätschelte und umarmte - ein Gefühlsausbruch, schreibt Queen-Biograph Ben Pimott, den sie Menschen gegenüber "nur selten zeigt." Hunde, Pferde - und die eigenen Kinder?

Die Geschwindigkeit, mit der die Queen nach den vier Geburten zu ihren "red boxes" zurückkehrte, ist Legende. Kaum Königin, da brach sie zu einer fast sechsmonatigen Weltreise durch Staaten des Commonwealth auf - Charles und seine Schwester Anne blieben zurück. Mag schon sein, dass da das Pflichtgefühl und der Schatten des ruchlosen Onkels als Triebfeder gewirkt haben - aber was so kalt und wenig mütterlich wirkt, ist wohl auch Spiegelbild einer Familie, wo man sich zum Nachteil der beiden älteren Kinder nie wirklich nahe gekommen ist.

Wo Persönliches nicht beredet und Liebe nicht gezeigt wird. Wo man Kinder nicht umarmt und Emotionen unterdrückt. "Wenn sich die Queen", so zitiert Graham Turner, ein anderer Queen-Biograph, einen ehemaligen Privatsekretär der Monarchin, "mit dem Aufziehen ihrer Kinder halb so viel Mühe gegeben hätte wie mit der Zucht ihrer Pferde, dann wäre es heute um die Königsfamilie nicht so schlimm bestellt."

Die Presse, das Monster

Drei Scheidungen, eine Beerdigung - das ist eine reichlich deprimierende Bilanz, ein schriller Widerhall der einst für tugendhaft und vorbildlich gehaltenen Familie, die in den fünfziger Jahren - um nur ja nicht angesteckt zu werden von den Übeln dieser Welt - Geschiedene noch systematisch von ihren Gartenpartys und Empfängen fernhielt. Heute steht die Thronfolge in Frage, weil der geschiedene Prinz Charles eine geschiedene Geliebte hat - und das ist vielleicht die größte Ironie im Leben der Queen, dass sie, die ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet hat, die Sünden von Edward VIII. abzuarbeiten, die Monarchie zu stabilisieren und ihre Zukunft zu sichern, ausgerechnet den Erben emotional vernachlässigt, zu seinem Unglück und damit letztlich zur Gefährdung einer über tausend Jahre alten Linie beigetragen hat. Den Geist der Wallis Simpson wollte sie vertreiben - und hat doch geholfen, ihn in Gestalt der Camilla Parker Bowles wieder heraufzubeschwören.

Aber auch ohne die familiären Kalamitäten stünde das House of Windsor heute schwächer da als vorher. Wecken die Namen Elizabeth I. und Victoria glanzvolle Bilder von Macht und Aufstieg und sich weitenden Horizonten, so wird mit Elizabeth II. auf ewig der Verlust des Empire verbunden sein. Längst Geschichte, die seligen Zeiten, da sich die Zeitungen als höfische Cheerleaders verstanden, heute sind sie auf der Jagd nach königlichen Schmutz und Dreck - je dreckiger umso schöner. Irgendwann haben die Royals den Vorhang ein Stück gelüftet in der naiven Hoffnung, dass sich das Monster Presse durch soviel Entgegenkommen vielleicht gnädig stimmen ließe.

In Wahrheit hat man ihm dadurch erst Appetit gemacht, und als sie erst einmal begonnen hatte, die königliche Peepshow auf dem Boulevard, da war kein Halten mehr. Im Februar 1983 brachte die Sun unter der Rubrik "Queen Koo poussiert im Palast" eine Geschichte über die Liaison von Charles' jüngerem Bruder Andrew ("Randy Andy") mit dem Softpornosternchen Koo Stark.

Die Queen war nicht amused und leitete - ein Novum - gerichtliche Schritte gegen das Blatt ein. Eine größere Freude hätte sie der Sun nicht machen können. In der Chefredaktion knallte ein Champagnerkorken, und dann sangen sie "Happy Days Are Here Again". Die Auflage stieg.

So sind sie, die modernen Zeiten - und eine Antiquität wie das Königshaus sucht etwas verwirrt ihren Platz darin. Noch steht er nicht wirklich in Frage. Eine republikanische Bewegung, die diesen Namen verdiente, gibt es nicht.

Nicht, dass es an Kritikern fehlte - gerade zum Beispiel hat Natasha Walter im Independent den von den Royals symbolisierten Hang der Briten zu allem Traditionellen als die entscheidende Bremse für gesellschaftlichen Fortschritt angeprangert.

Doch dann kam auch schon der königstreue Daily Telegraph mit einer Umfrage, derzufolge eine klare Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, die Queen habe in den vergangenen fünfzig Jahren einen guten Job gemacht.

Früher hieß es, wenn Briten von den Royals träumen, dann träumen die Frauen, dass die Queen zum Tee kommt, und die Männer, dass sich ihre Schwester Margaret in sie verliebt. Prinzessin Margaret ist heute nach mehreren Schlaganfällen eine vom Tod gezeichnete Frau, und was die Queen betrifft - naja, abweisen würde sie vermutlich keiner, wenn sie überraschend vor der Tür stünde.

(sueddeutsche.de)

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