Ein Leben wie ein Roman:Der ganz kleine Lord

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Englands bekanntester Hochstapler lüftet endlich seine Identität - und ist nur ein bürgerlicher EDV-Spezialist.

Wolfgang Koydl

Ein Leben wie aus einem spannenden Actionthriller hat der blasse 42-Jährige mit dem teigigen Allerweltsgesicht wohl nie geführt. Wenn man sich von Berufs wegen um die Hard- und Software einer Schweizer Versicherung kümmert, dann erschöpfen sich die Abenteuer in einem Virus oder einem abgestürzten Laptop.

Ohne Fragen zu stellen hatten britische Behörden dem US-Amerikaner Charles Albert Stopford diesen Pass ausgestellt. (Foto: Foto: AP)

Und doch trug das Leben des Hochstaplers Christopher Edward Buckingham Züge eines Romans - bis jetzt, da die Wahrheit in ihrer ganzen Banalität ans Licht getreten ist.

Hinter dem vermeintlichen Lord Buckingham, dessen wahre Identität wochenlang Behörden und Medien in Großbritannien beschäftigte und der sogar der Spionage verdächtigt wurde, versteckt sich der US-Bürger Charles Albert Stopford aus Orlando in Florida.

Vor 23 Jahren hatte er die USA fluchtartig aus Angst vor einer Haftstrafe verlassen - und war seitdem für seine Familie spurlos verschwunden gewesen. Stopford diente damals als Geheimdienstler bei der US-Marine und soll versucht haben, eine Bombe im Auto seines Vorgesetzten zu platzieren - eine Art grober Scherz, wie einer seiner Brüder heute beteuert.

Was Stopfords Eltern und seine sieben Geschwister nicht wissen konnten: Ihr Sohn und Bruder führte all die Jahre ein unauffälliges Leben mit Ehefrau und zwei Kindern auf der anderen Seite des Atlantiks. Er ging einer geregelten Beschäftigung nach, verdiente Geld, zahlte Steuern, besuchte Elternabende in der Schule und pendelte zwischendurch jahrelang zwischen der englischen Grafschaft Northamptonshire, einem Wohnort im Allgäu und der Schweizer Bankenmetropole Zürich hin und her.

Stopford stahl die Identität eines toten Säuglings

Alles andere als unauffällig war freilich der Titel, den er trug: "Lord Buckingham" prangte auf seinem schweren, handgeschöpften Briefpapier, Löwenwappen und Familienmotto ("Templa sunt dilecta" - "Wie schön sind deine Tempel") inklusive. Der Schönheitsfehler dieser konstruierten adligen Existenz: Der Name und der Titel der Herzöge von Buckingham sind seit dem 17. Jahrhundert ausgestorben. Sie leben nur noch in der Londoner Residenz von Königin Elisabeth und in ganz normalen bürgerlichen Kreisen fort.

Bürgerlicher Herkunft war denn auch der echte Christopher Edward Buckingham, der 1963 im Alter von acht Monaten starb. Nach dem Vorbild der Titelfigur in Frederick Forsyths Roman "Der Schakal" stahl Stopford die Identität des toten Säuglings. Den falschen Adelstitel verlieh er sich wenig später dann quasi von eigenen Gnaden. Anstandslos stellten ihm die britischen Behörden auf den Namen Buckingham einen Pass, einen Führerschein und eine Krankenversicherungsnummer aus.

Ein besonderes Verhältnis hatte Buckingham zu Deutschland, wo er seine Frau, die Kanadierin Jody Doe, kennen lernte. Das Paar, aus dessen Ehe die beiden heute 19 und 17 Jahren alten Kinder Lindsey und Edward stammen, lebte bis zur Scheidung 1997 in Hohentengen am Hochrhein. Dort erinnert man sich heute gut an den "Herrn Lord", der seine Miete immer pünktlich überwiesen hatte.

"Er war besessen von allem Englischen", erinnert sich sein Vater

Das alles hätte jahrelang so weiter gehen können, wenn den Einwanderungsbehörden in England bei einer Routineüberprüfung seines Passes 2003 nicht die falsche Identität aufgefallen wäre. Weil er sich auf einen falschen Namen einen Pass hatte ausstellen lassen, wurde Buckingham Ende vergangenen Jahres zu einer Haftstrafe verurteilt und aufgefordert, seine wahre Identität preiszugeben.

Als er sich weigerte, landete er in Abschiebehaft, wobei es freilich ein Problem gab: Solange man nicht wusste, woher der falsche Lord stammte, wusste man auch nicht, in welches Land man ihn ausweisen sollte. Die meisten Fährten verliefen rasch im Sand, so auch die Theorie, wonach es sich bei Buckingham, der fließend Deutsch spricht, um einen nach der Wende im Westen gestrandeten DDR-Spion handeln könnte.

Nun aber wird Stopford bald im Flugzeug nach Florida sitzen, nachdem die Familie den verlorenen Sohn über das Internet wiedergefunden hat. "Das sind irre gute Neuigkeiten", sprudelte es aus Schwester Becky hervor. "So eine Erleichterung, nach über 23 Jahren." Dass sich das schwarze Schaf der Familie als englischer Adelsmann ausgab, hat Eltern und Geschwister nicht überrascht. "Er war besessen von allem Englischen", erinnerte sich sein Vater. Schon als Teen hatte er sich einen britischen Oberklassenakzent antrainiert, der ihm später nutzte. Denn eine gequält gepresste Aussprache ist noch immer Grundvoraussetzung, wenn man als Adeliger in Britannien akzeptiert werden will.

© SZ vom 10.05.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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