Ein Anruf bei Lolette aus Berlin:Spätberufen als Hure

Lesezeit: 3 min

Lolette ist erst mit 51 Jahren in die Prostitution eingestiegen - und zufriedener als in ihrem alten, bürgerlichen Leben. Die reife Rotlicht-Dame über den Kinofilm "Irina Palm", neues Selbstbewusstsein und Fußerotik.

Interview: Claudia Fromme

Die eine lebt nur im Film, die andere in Berlin. Die eine nennt sich Irina Palm und wird von Marianne Faithfull im gleichnamigen Film gespielt, der an diesem Donnerstag in den Kinos anläuft. Die andere nennt sich Lolette und schafft in Mitte an. Und doch haben die Frauen eines gemeinsam: Sie sind mit mehr als 50 Jahren in die Prostitution eingestiegen. Ihre Motive dafür sind so verschieden wie ihre Spezialgebiete, für die sie beide Stammkunden haben.

Lolette stieg erst mit 51 Jahren ins Rotlichtmillieu ein. (Foto: Foto: SZ)

SZ: In "Irina Palm" braucht eine Witwe Geld für die Behandlung ihres kranken Enkels. Deshalb fängt sie als Prostituierte an. Wie oft ist Ihnen eine Frau wie Irina Palm schon begegnet, Lolette?

Lolette: Im normalen Leben sind die Geschichten weniger heldenhaft. Oft geht's um Geld zum Leben, um die eigene Existenz. Viele ältere Frauen arbeiten heimlich, empfangen Freier tagsüber in der Wohnung, damit die Familie nichts mitbekommt. Abends erzählen sie irgendwas von Aushilfsjobs. In dem Film ist das eine literarische Geschichte, da gibt es den kranken Enkel, um die Frau zu entschuldigen. Für viele ist Prostitution immer noch unanständig. Wenn man das macht, um anderen zu helfen, wäscht man sich rein.

"Meine Kinder wissen Bescheid"

SZ: Wie ist Ihre eigene Geschichte?

Lolette: Die Medien wollen immer dramatische Geschichten; die armen Huren aus dem Osten, die zur WM kommen sollten, aber gar nicht gekommen sind. Die, die unter Zwang arbeiten. Ich muss Sie enttäuschen: Bei mir ist das nicht so. Ich bin 57 Jahre alt und habe mit 51 angefangen - aus freien Stücken.

In meinem alten Leben hatte ich keine Beziehung zur Prostitution. Ich habe geheiratet, Kinder bekommen und als Sekretärin gearbeitet. Weil ich mich unfrei fühlte, habe ich mein Leben radikal geändert, mich scheiden lassen. Nun arbeite ich als Prostituierte - auch, um meine Sexualität auszuleben. Das Finanzielle spielt nicht die wichtigste Rolle. Ich habe nur zwei oder drei Freier am Tag. Davon kann ich die Miete zahlen.

SZ: Weiß Ihre Familie eigentlich, womit Sie Ihr Geld verdienen?

Lolette: Mein Exmann weiß nichts, um Gottes Willen! Auch die Nachbarn nicht, das ist so eine Sache mit der Doppelmoral. Viele gehen zu Prostituierten, aber keiner will eine kennen. Meine Kinder wissen Bescheid. Das geht für sie in Ordnung.

SZ: Wie steigt man mit 51 Jahren noch ins Gewerbe ein?

Lolette: Ich bin im Internet auf Hydra gestoßen, die Selbsthilfeorganisation für Prostituierte. Ich habe die gefragt: Was kann man so machen in Berlin? Erst waren die verwundert, weil es ungewöhnlich ist, wenn man in meinem Alter einsteigt. Hydra nannte mir ein Bordell, wo ältere Frauen arbeiten und jüngere, die nicht so hübsch waren. Man muss ehrlich sein: In Edelpuffs haben nur hübsche Junge bis 30 eine Chance. Wo Ältere arbeiten, ist das mit dem Aussehen nicht so wichtig.

SZ: Wie reagieren die jungen Kolleginnen auf ältere Prostituierte wie Sie?

Lolette: Ich hatte da nie Probleme, weil ich keine Konkurrenz für die bin. Seit vier Jahren arbeite ich ja nur noch von zu Hause aus. Auf dem Straßenstrich mag das anders sein, da kenne ich eine ältere Frau, die für 20 Euro Sachen macht. Ich würde da nie arbeiten. Viel zu gefährlich!

"Ich fühle mich sehr begehrt"

SZ: Wer kommt zu Ihnen?

Lolette: Es gibt jüngere Männer, aber vor allem sind es Männer in meinem Alter. Die fühlen sich oft besser aufgehoben bei einer gleichaltrigen Frau. Man hat körperlich ähnliche Voraussetzungen, redet mehr, schmust mehr. Es ist ja nicht nur der Sex allein. Viele sagen: Wir kommen lieber zu dir als zu so einem jungen Huhn.

SZ: Hat Ihnen auch schon jemand mal gesagt: Du bist mir zu alt?

Lolette: Direkt nicht, aber es ist schon vorgekommen, dass jemand in der Tür stand und sagte: Nee, das ist nicht so mein Ding. Das ist nicht angenehm, gehört aber dazu. Aber ich krieg schon Komplimente, weil ich auch sehr auf meine Figur achte. So fühle ich mich sehr begehrt; das ist in meinem Alter keine Selbstverständlichkeit. Das gibt mir ein Selbstbewusstsein, was ich früher nie hatte. Auch wenn es nur eine Illusion für den Moment ist.

SZ: Irina Palms Spezialität ist Handentspannung. Sie gilt als die "beste rechte Hand Londons" Was ist Ihre Spezialität?

Lolette: Die Füße! Ich habe schöne kleine Füße mit schönen kleinen Zehen. Etliche Männer mögen die. Feinfühlige Männer, die sich für Fußerotik interessieren. Studierte Leute, mit denen ich mich unterhalten kann. Das habe ich ausgebaut, habe mir Bücher zum Thema geholt, schöne Strümpfe und Schuhe. Ich mache aber anderes auch, wie es so gebraucht wird.

SZ: Haben Sie sich schon überlegt, wie lange Sie das noch machen wollen?

Lolette: Gestern war ich bei der Bank, um über ein Vorsorgeangebot zu reden, 55plus hieß das. Ich war denen aber zu alt. Der Berater sagte: In drei Jahren können Sie ja in Rente gehen. Ich weiß nicht. Solange Kunden kommen, mache ich weiter.

© SZ vom 14.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: