E-Mail vom Everest - Teil 8:Tod

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Ein Münchner Arzt erforscht auf dem höchsten Berg der Welt die lebensgefährliche Höhenkrankheit.

Von Klaus Mees

Zunächst hört man Rufe, dann sieht man im Scheinwerferlicht drei Gestalten die Stirnmoräne herunterkommen, die Gestalt in der Mitte wird gestützt. Der junge Mann ist kaum mehr ansprechbar, reagiert aber noch auf Schmerzreize, die Pupillen sind noch annähernd normal. Die Pulsoximetrie bestätigt meinen ersten Verdacht: Höhenhirnödem.

Die Sauerstoffsättigung im Blut beträgt noch 42 Prozent, der Puls geht schnell, mehr als 150 Schläge. Dramatische Werte. Ich lasse sofort Sauerstoff bringen. Nach wenigen Minuten kommt Bewegung in den Mann, zunächst will er sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht reißen, dann gibt er wieder vernünftige Antworten, kann sogar über Witze lachen. Ich gebe ihm Dexamethason, um die Hirnschwellung zu verringern.

Vor zwei Tagen war die Belegschaft eines Betriebs aus Foshan in Lhasa eingetroffen. Dort hatte man Jeeps gemietet und war nach einer Übernachtung am Fuß des Everest angelangt, viel zu rasch, um sich an die Höhe zu gewöhnen.

Während die meisten nur unter Kopfschmerzen litten, hatte es den 28-Jährigen voll erwischt. Nun sitzt er scheinbar normal auf der Rückbank, inzwischen liegt seine Sauerstoffsättigung wieder bei mehr als 95 Prozent.

"Sauerstoff ist illegal"

Aber die Gefahr ist noch nicht vorüber. Der junge Mann muss sofort in eine tiefere Höhenzone gebracht werden, und man muss ihm dauernd weiter Sauerstoff geben. Nun beginnen die Probleme.

Die Reiseleiterin möchte, dass ich sie begleite. "Nicht möglich, illegal!", sagt der chinesische Lageroffizier, der Polizei-Kontrollposten würde mich zurückweisen. Es wird diskutiert, dann steht fest: Die Sauerstoffflasche muss im Lager bleiben.

"Ohne Sauerstoff stirbt der Mann", sage ich. Wieder ziehen sich die Offiziere zurück, viel zu lang, dann die Entscheidung: Die Reisegruppe habe falsch gehandelt, man könne die Sauerstoffflasche nicht mitgeben. Ehe ich verstehe, was passiert, fährt der Konvoi ab. Ohne Sauerstoff!

Verzweifelt stehe ich da. Es war ein Pyrrhussieg. Ihr Freund wird sterben. Schlaflos liege ich im Zelt und denke immer wieder an die Worte des chinesischen Lageroffiziers am Cho Oyu vor zwei Jahren, als ebenfalls eine Rettung verweigert wurde: "Money here is more important than man!"

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