Die Müllbären der Karpaten:Container als Imbissbuden

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Die rumänischen Karpaten gelten als Bären-Hochburg. Nirgendwo sonst leben Menschen und derart viele Braunbären auf engstem Raum zusammen. Vorwiegend ernähren sie sich vom Müll der Bewohner.

Beate Wild

Es dämmert in der siebenbürgischen Stadt Brasov (Kronstadt). Gemächlich trottet ein Braunbär aus den dichtbewaldeten Karpatenhängen hinunter zur Plattenbausiedlung Racadau. Langsam schwingt er sich über eine Betonmauer, schiebt den Deckel einer Mülltonne auf und verschwindet fast komplett in der Blechkiste. In der Siedlung schlägt ein Hund an. Nach einer Weile taucht der Bär mit einer weißen Plastiktüte wieder auf und trottet zufrieden wieder von dannen.

Die sogenannten Müllbären der Karpaten sind nachts aktiv. Sie sind gar nicht menschenscheu und kommen bei Dunkelheit in die Ortschaften, um vorwiegend in den Mülltonnen nach etwas Essbarem zu suchen. Seit bald 30 Jahren durchstöbern sie nun schon die Abfallplätze in Racadau, denn wo der Mensch isst und trinkt, findet sich auch immer was für Bären. Dabei nehmen sie fast alles mit und probieren davon - manchmal auch einen Schluck aus einer Pulle Alkohol.

"Bären sind kluge, neugierige und lernwillige Tiere", erklärt der deutsche Wildtierexperte Peter Sürth, der sich zusammen mit rumänischen Kollegen um die Pelztiere der 300.000-Einwohner-Stadt Brasov kümmert. Das Öffnen und Durchsuchen der Tonnen haben sie schnell gelernt.

Und weil niemand sie bislang groß beim Plündern störte, kamen immer mehr von ihnen. Im vergangenen Jahr waren es in Racadau um die 40 Tiere. "Die Bären geben ihre Nahrungsquellen auch von Generation zu Generation weiter", weiß Sürth. Für die pelzigen Karpatenbewohner sind die Container wie Imbissbuden.

Sürth findet, es sei unwürdig, dass ein solch erhabenes Tier Müll fresse. Und gefährlich dazu. Denn viele Tiere verschlängen mitunter ganze Tüten und verletzten sich dabei.

Tödlicher Zwischenfall

In den vergangenen Jahren etablierte sich ein regelrechter Bärentourismus in Racadau. Fremdenführer boten ausländischen Gästen geführte Abende zu den Fressplätzen der Tiere an. Bei Jugendlichen wurde es zur Mutprobe, den Bären möglichst nahe zu kommen und sie zu ärgern.

Doch dann kam es im Oktober 2004 zu einem schrecklichen Zwischenfall: Ein wütender Bär zerfleischte zwei Menschen, die ihn provoziert hatten. "Eine Gruppe, die beim Grillen war, lockte den Bär mit Fleisch an", erzählt Sürth. "Sie haben ihn geärgert und sogar verletzt, bis der Bär ausgerastet ist."

Es wurde Zeit, etwas zu unternehmen. Die Polizei patrouilliert seither durch die Straßen von Racadau und versucht die Menschen von den tierischen Imbissplätzen fernzuhalten.

Auch die Bären sollten von den Straßen vertrieben werden - doch diese ließen sich nicht so leicht beeindrucken. Als sie trotz aller Verscheuchungsversuche immer wiederkamen, drohte der Bürgermeister sogar damit, die Tiere abschießen zu lassen. Doch Tierschutzorganisationen und Peter Sürth konnten die Abschüsse gerade noch rechtzeitig verhindern. "Es wäre ein falsches Zeichen gewesen", sagt Sürth.

Seither werden mehrmals täglich die Mülltonnen geleert und die Bären verstärkt von den Tierschützern überwacht. Sürth rüstete sieben von ihnen mit GPS-Peilsendern aus, um bessere Kontolle über sie zu haben und um mehr über ihr Verhalten zu erfahren. Die Daten sollen Aufschluss darüber geben, welche Wege die Braunbären zurücklegen, wie oft sie die Mülltonnen aufsuchen und wie sich ihr Verhalten von ihren wildlebenden Artgenossen unterscheidet.

"Man muss die Bären auch langsam von den Müllcontainern entwöhnen, damit sie es wieder lernen, in der Natur ihre Nahrung zu suchen", sagt Sürth. Geplant ist, die Abfallplätze in den nächsten drei bis fünf Jahren ganz versiegen zu lassen. "Würde man es von heute auf morgen machen, dann könnte es schon passieren, dass die Bären sogar in die Fußgängerzone kommen", befürchtet Sürth. Und die Älteren und Schwächeren würden wahrscheinlich verhungern.

Bis dahin hofft der Wildtierexperte auf eine weiterhin gute Kooperation mit der Stadt und den Behörden. Den Bärentourismus konnte man bisher schon eindämmen, Fotografieren und Filmen der Pelztiere ist mittlerweile verboten.

Ob man das Müllbärenproblem aber endgültig lösen wird, bezweifelt Sürth. Aber zumindest hat man es heutzutage besser im Griff.

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