Die goldene Stadt:Wie Venedig ohne Gondeln

Lesezeit: 3 min

Die altehrwürdige Prager Karlsbrücke soll renoviert werden - und fällt als Touristen-Attraktion damit teilweise aus.

Klaus Brill

Man sieht schon, was kommt. Wer in diesen feuchten Tagen in Prag die Karlsbrücke betritt, hat nicht nur schmelzenden Schnee und Wasserlachen vor Augen, sondern gleich hinter dem Kleinseitner Brückentor auch einen Drahtverhau, der um ein Rohrgestänge geschlungen ist.

Ort der Sehnsucht - von der Altstadt aus gesehen. (Foto: Foto: dpa)

Dahinter dräut schwärzlich eine Figurengruppe, die hier schon seit 1714 steht und beim Volk einst sehr beliebt war: Eingekerkerte Christen sind zu sehen, ferner ein türkischer Wächter, ein Hirsch, ein böhmischer Einsiedler namens Iwan sowie die Heiligen Johann von Matha und Felix von Valois.

Die steinerne Skulptur wird restauriert, und wie ein Aushang am Maschendraht verkündet, hat das Geld dafür die Vereinigung jener Künstler aufgebracht, die auf der Karlsbrücke jahrein jahraus ihre mehr oder minder kunsthaltigen Erzeugnisse und Fertigkeiten darbieten.

Millionenfacher Ansturm

Es steht noch mehr an. Die Unbilden der Witterung, der Smog der Autos und der Schornsteine, der Druck der Moldau und der millionenfache Ansturm mythenhungriger Touristen haben die weltberühmte Karlsbrücke über die Jahre in einer Weise angegriffen, dass demnächst eine gründliche Renovierung fällig wird.

Der stellvertretende Prager Oberbürgermeister, ein Mann mit dem passenden Namen Jan Bürgermeister, hat wissen lassen, die geplante Sanierung des ehrwürdigen gotischen Bauwerks solle im Juli beginnen. Wie lange die Arbeiten dauern, ist offen, und ob die Brücke derweil gesperrt werden sollte, war eine Zeitlang höchst umstritten.

Dies wundert nicht. Prag ohne Karlsbrücke - es wäre wie Venedig ohne Gondeln oder Paris ohne Eiffelturm, weshalb die Prager Hoteliers und Reiseleiter um Flexibilität flehten.

Von der Altstadt zur Kleinseite oder umgekehrt

Denn kaum ein Tourist lässt es sich nehmen, beim Aufenthalt in Prag den Ort der Sehnsucht zu betreten und von der Altstadt hinüber zur Kleinseite zu schlendern oder umgekehrt.

Nicht weniger als 3,8 Millionen Menschen suchten allein 2005 die tschechische Hauptstadt heim, und auf der Karlsbrücke kam zeitweise der Fußgängerverkehr fast zum Erliegen, wenn in sommerlichen Stoßzeiten sich vor Musikern und Malern verschwitzte Menschentrauben bildeten und nachdrängende Massen zu Tausenden stauten.

Der Rummel entbindet die Prager Denkmalschützer nicht von der Verpflichtung, die Brücke als eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler des Kontinents zu pflegen.

Den Tschechen ist sie besonders teuer, da doch der Bauherr und Namensgeber Kaiser Karl IV. im vorigen Jahr zum größten Tschechen aller Zeiten gewählt wurde, ein Europäer von Format, der fünf Sprachen sprach und in die Geschichte einging mit jener "goldenen Bulle", die für Jahrhunderte die Wahl des römisch-deutschen Königs regelte. Den Grundstein der Karlsbrücke hat er angeblich zu einem von den Hofastrologen genauestens berechneten Zeitpunkt gelegt, am 9. Juli 1357, morgens um 5.31 Uhr.

Schon ganz blank

16 mächtige Bögen überspannten dann später den Strom, und die 15 ebenso mächtigen Pfeiler krönte man nach und nach auf beiden Seiten mit 30 Skulpturen; die bekannteste ist die Bronzestatue des heiligen Nepomuk, von Passanten so sehr an- und abgegriffen, dass sie an zwei Stellen schon ganz blank ist.

Bedenklicher ist, was in sechseinhalb Jahrhunderten die Wasser der Moldau dem Bauwerk angetan haben. Schon früher wurden Sicherungsarbeiten ausgeführt, so nach einer Überschwemmung im Jahre 1890 und auch in den vergangenen Jahren wieder, doch jetzt ist eine gründliche Abdichtung der Fundamente und eine Erneuerung jener Wasserteiler nötig, die dem Schutz der Pfeiler dienen.

Geheimer Steinbruch

Die meiste Zeit wird, wie der Bürgermeister Bürgermeister sagt, wohl ein Austausch schadhafter Steine beanspruchen. Der Ersatz kommt aus einem neu erschlossenen Steinbruch, der eine quasi mittelalterliche Qualität der Quader garantiert, seine Lage wird deshalb geheimgehalten.

Wegen dieser Arbeiten wollte Jiri Toman, der Leiter der städtischen Investitionsabteilung, die Karlsbrücke zunächst für sechs bis acht Monate sperren lassen. Sein Vorgesetzter Bürgermeister hingegen will die Touristen nicht verscheuchen, sondern allenfalls Einschränkungen vorsehen und ansonsten die Sanierung zur zusätzlichen Attraktion machen.

Flanieren beim Sanieren

Man einigte sich jetzt auf einen Kompromiss: Die Bewegungsfreiheit wird nur zeitweise begrenzt, Passagen von vier Metern Breite bleiben ständig offen. Dafür dürfen die Flaneure den Steinmetzen in deren Werkstatt, die unter einem Brückenbogen eingerichtet werden soll, bei der Arbeit zusehen.

Außerdem ist geplant, eine Ausstellung über die Karlsbrücke zu eröffnen. Dort soll auch all das zu sehen sein, was sich bei der Erforschung der Brückenfundamente an Wertgegenständen findet. Sicher hat sich dort seit 1357 so manches angesammelt.

© SZ vom 03.03.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: