Die 1000. Lindenstraße:Der Fluch der Seifenoper

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Till Schweiger hat den Ausstieg geschafft, Benny Beimer nicht. Irgendwie verhält es sich mit der Lindenstraße wie mit der Mafia: Man verlässt sie nur mit den Füßen voran. Oder eben gar nicht. Gell, Benny?

Von Hans Hoff

"Schreiben Sie, dass Mutter Beimer wieder mehr vorkommen soll!" Man kann wirklich nicht sagen, dass Marie-Luise Marjan nicht weiß, was sie will. Sie sagt das auch mit all der ihr eigenen Vehemenz in den Augen.

Naturgemäß liegt ihr die Mutter Beimer am Herzen, immerhin spielt Marjan seit dem 8. Dezember 1985 die Rolle der penetranten Matrone, die ihre wehrlose Umwelt regelmäßig mit naiver Gutherzigkeit zu ersticken droht.

Diese Emotionsattacken kamen nach ihrer Ansicht allerdings vergleichsweise selten zum Zuge im Vorfeld der 1000. Folge, die nun am Sonntag alle aktuellen Darsteller auf dem Bildschirm vereint.

Normalerweise dreht sich eben nicht mehr alles um jene Frau, die zu Weihnachten die Plätzchen schwarz werden lässt und sich Spiegeleier in die Pfanne haut, wenn sie traurig ist. Trotzdem ist Helga Beimer immer noch eine Marke, ohne die Lindenstraße fad wäre. Mutter und Papa Beimer signalisieren Widererkennbarkeit, sind sichere Anker, die auch jene halten, die nur gelegentlich noch reinzappen in das Seifenoper-Sonntagsparadies des Hans W. Geißendörfer.

Da hockt sie nun, die traurige Frau, die vor fast 20 Jahren noch wie eine Glucke auf ihrem Familienglück brütete und nunmehr sucht, was vom Leben übrig blieb. Es ist nicht mehr viel. Nicht selten wirkt es, als sei die Darstellerin dabei, ihrer Rollenfigur den Rang abzulaufen - und häufiger auf irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen aufzutauchen als Mutter Beimer in der Serie.

Generationswechsel im vollen Gange

Dort haben inzwischen zunehmend die jungen Figuren das Sagen, zum Lindennium ist der Generationswechsel in vollem Gange. Wenn man Marie-Luise Marjan so gegenüber sitzt, verliert man gelegentlich aus dem Auge, dass die Lindenstraße ein Produkt von Produzenten und Autoren ist.

Wenn Marjan redet, glaubt man, sie habe diese Figur geschaffen, diese Mutter Beimer, der sie "eine wunderbare Durchschnittlichkeit" bescheinigt. Sie sei "verhältnismäßig einfach gestrickt", urteilt die Schauspielerin über ihre Figur, die ja aus der Naivität komme, inzwischen aber gelegentlich eine durchaus positive Einstellung zum Leben offenbare.

"Das habe ich ihr zugegeben", sagt Marjan und schwärmt von den Zeiten, da sich ein paar hundert Menschen auf der Straße zusammenfanden, um gegen die TV-Trennung von Hans und Helga Beimer zu protestieren: "Die Leute haben immer an Helgas Schicksal teilgenommen." Vom Mann verlassen, vom Liebhaber vernachlässigt, betrogen, wieder verlassen und wieder erobert. Ein Schicksal in Fernseh-Deutschland.

Über die Jahre hat man ein wenig den Überblick verloren über die Geschehnisse, die das Leben der Beimers zur Hölle machten. Man weiß, dass einer ihrer Söhne 1995 bei einem Unfall ums Leben kam und der Schauspieler Christian Kahmann noch heute mit dem Fluch leben muss, der ewige Benny Beimer zu bleiben, egal, was er anstellen mag.

Das nährt den Verdacht, mit der Lindenstraße verhalte es sich ein bisschen wie mit der Mafia, jener ehrenwerten Gesellschaft, die man nur mit den Füßen voran verlässt.

Katastrophen in Hülle und Fülle

Aber natürlich ist die Lindenstraße anders: auf 2500 Quadratmeter Studiofläche ein Hort der politischen Korrektheit, ein Brennglas, mit dem allsonntäglich die größtmögliche Anzahl persönlicher Katastrophen erfasst wird. Else Kling meckert über Schwule und Schwarze, Harry Rowohlt streicht als Penner Harry herum.

Natürlich erinnert man sich auch an schöne Momente. An die peinliche Idylle in der frühen Phase, als die Beimers Hausmusik machten und dabei aussahen wie eine schlecht kopierte Krippen-Idylle. Da war Helga noch "die Taube" und er "der Hansemann".

Marjan reportiert: "Gottschalk hat gesagt: Diese Frau hat die Lindenstraße groß gemacht." Sie erzählt stolz, wie ihr die Kinder auf der Straße nachhänseln: "Lin-den-stra-ße, Lin-den-stra-ße". Keine Frage, diese Frau braucht die Lindenstraße, und die Lindenstraße braucht sie.

Wer aber sonst braucht die Sendung?

Sicher der WDR, der so sonntäglich fünf Millionen Zuschauer bindet. Auch wenn die öffentlich-rechtliche Anstalt der Lindenstraße gerade eine dreijährige Nullrunde bei den Produktionskosten verordnet hat, bleibt die in München spielende Serie mit der Aloisius-Stub'n doch eine Kölner Hausmarke. Der Vertrag läuft bis 2008, bis zur 1219. Folge.

Als das Ewig-TV nach dem Vorbild der Coronation Street (BBC) startete, war der WDR noch Innovator. Nirgends sonst konnte man so etwas sehen wie hier: Geschichten, die auserzählt wurden in staubtrockenen Kulissen. Der Sender hatte den Mut, zur Serie zu stehen, auch wenn viel Kritik niederprasselte.

Der Ewige Hans

Einer, der sein Schicksal früh mit der Serie verbunden hat, ist Joachim Herrmann Luger, der Hans Beimer der Lindenstraße, ein Mann der ersten Stunde. Der mochte nicht fliehen, als es fast ein Jahr lang ganz dicke kam. "Ich wollte nicht aus einer Serie aussteigen mit solch einem schlechten Image", berichtet er. "Ich dachte: Wenn es scheitert, gehe ich mit unter."

Papa Beimer ist nicht gescheitert, man hat sich an die Lindenstraße in all ihrer Mittelmäßigkeit gewöhnt - vor allem, weil so viel Schlechteres folgte. Fürs Aussteigen dürfte es nun eh zu spät sein, weshalb Luger wohl der ewige Hans bleiben wird, einer, der zwar den Absprung von Glucke Helga geschafft hat mit seiner neuen Partnerin Anna, der aber auch nicht so recht auf den grünen Zweig kommt.

"Hans Beimer ist der Gutmensch in dieser Serie", skizziert Luger seine Figur: "Er ist kein Mensch zu dem man aufsehen kann, er ist eher ein Weichei, ein Zerbrechlicher, ein Zögerer, aber er bewahrt beim Verlieren Haltung."

Verlieren muss Hans, den alle Hansemann nannten, häufiger. Das Schicksal schlägt heftig zu. "Wenn wir das, was uns da passiert ist, wirklich erlebt hätten, wären wir alle schon in der Klapsmühle", so Luger. Da werden Menschen erschlagen, betrogen und gedemütigt, und wenn doch mal Glück auftaucht, ist es von kurzer Dauer.Schlimmer als die ewigen Katastrophen wirkt gelegentlich der Bierernst. Es wird politisch korrekt gehandelt. "Den Humor vermisse ich manchmal ein bisschen", klagt Luger. Besonders wenn politische Botschaften ans Publikum gebracht werden sollen, gehe es manchmal schon arg trocken zu.

Luger ist so ziemlich das Gegenteil zu Marie-Luise Marjan. Er ist zurückhaltend, hält Distanz und spricht so, dass man ihm nicht unbedingt Überpräsenz vorwerfen müsste. "Ich bin nicht gegen den Typ besetzt, aber ich bin auch nicht Hans Beimer", wehrt er aber jeglichen Verdacht verschmolzener Identität ab.

Trotzdem sorgt er sich um seine Figur. Sie hatte es zuletzt sehr schwer. Hans Beimer wurde nicht nur arbeitslos, er wurde auch von der Liebsten betrogen und muss allein dahinvegetieren. Das Übliche halt, das einem so widerfährt, wenn man als Lindenstraßen-Einwohner den Kapricen des Übervaters Geißendörfer ausgesetzt ist. Sieben Schauspieler sind seit der Premiere 1985 dabei.

Aber Luger, dem ewigen Hans, reicht es langsam. "Hans hat jetzt genug gelitten", sagt er und formuliert gleich seinen Wunsch an die Drehbuchschreiber: "Der Hans könnte mal wieder eine Phase haben, in der es ihm besser geht. Ich würde mir wünschen, dass der sein Leben auch mal in die Hand nimmt."

© SZ vom 28.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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