Deutschlands skurrilste Autobahn:"Ein deutscher Ingenieur baut alles"

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Warum auf einer Autobahn im Thüringer Wald in schöner Regelmäßigkeit alles stehen muss - und jetzt womöglich auch noch eine Ampel installiert wird.

Die A 71 durch den Thüringer Wald birgt eine Besonderheit. Alle 14 Tage samstags muss die Trasse bei Meiningen für jeweils 20 bis 30 Minuten voll gesperrt werden. Grund: Einige Pfeiler der Talbrücke Schindgraben stehen mitten in einem Steinbruch.

Aus Sicherheitsgründen darf die Brücke zeitweise nicht befahren werden, weil in einem Steinbruch darunter gesprengt wird und Steine fliegen könnten. Polizisten sperren so lange die Autobahn. Gut möglich, dass dort bald sogar eine Ampel gebaut wird. Ein Novum in Deutschland.

Mit ihrem Geburtsfehler lebt die Autobahn seit gut zwei Jahren. Noch halten sich die regelmäßigen Samstags-Staus in Grenzen. Doch wenn die Thüringer-Wald-Autobahn zum Jahresende von Erfurt bis Schweinfurt durchgängig befahrbar ist, die Strecke somit ans deutsche Fernstraßennetz angeschlossen wird, werden rund doppelt so viele Autos erwartet wie bisher.

"Normal ist das nicht"

Die Trasse wird dann zu einer wichtigen Süd-Nord-Verbindung im deutschen Autobahnsystem. Eine der teuersten ist sie durch ihre vielen Brücken und Tunnel ohnehin schon.

Bekanntestes Bauwerk ist der knapp acht Kilometer lange Rennsteigtunnel, Deutschlands längster Straßentunnel, wenige Kilometer nördlich.

"Normal ist das nicht", sagt Eberhard Wagner, Sprecher der Polizeidirektion Suhl.

Auch das Wort "Schildbürgerstreich" fällt ihm zu der ungewöhnlichen Sperr- und Spreng-Situation ein. Wie die Safety-Cars in der Formel 1 setzen sich an jedem zweiten Samstag gegen 15.00 Uhr Streifenwagen der Direktion in beiden Richtungen vor das Fahrerfeld und bremsen dessen Geschwindigkeit allmählich ab, damit unter der gut 460 Meter langen Brücke gefahrlos gesprengt werden kann.

Lange hatte die Steinbruchfirma NUS (Fulda) erfolglos gegen die Trassenführung der Autobahn gekämpft. Auch um möglichen Ansprüchen auf Schadenersatz aus dem Weg zu gehen, wurde ihr später im Planfeststellungsbeschluss das Recht zum weiteren Abbau ausdrücklich eingeräumt.

"Ein Witz", meint Betriebsleiter Bernd Petersen. "Aber wir können im Gefahrenbereich unter der Brücke noch 15 bis 20 Jahre Kalkstein abbauen." Ist die Autobahn erst mal bis Schweinfurt frei, werde wohl eine Ampel an der Talbrücke aufgestellt.

"Wir waren zu schnell"

Dies wollte die zuständige Bundesgesellschaft Deges nicht bestätigen. "Wir versuchen noch eine Lösung zu finden", berichtet Deges-Bereichsleiter Gundolf Denzer. Versuche der Deges, den Steinbruch zu kaufen, seien gescheitert. Einen mechanischen Abbau lehnte die NUS GmbH aus Kostengründen ab.

"Ärgerlich" und "unschön" sei das Ganze, sagt Denzer. Letztlich sei das Problem aber auch dadurch entstanden, dass man mit dem Bau der Thüringer-Wald-Autobahn - dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 16 - deutlich schneller voran gekommen sei, als geplant. Bis die Strecke fertig sei, habe sich das Steinbruch-Problem längst von selbst gegeben, war wohl die Vorstellung. Denzer: "Man könnte sagen: Wir waren zu schnell oder der Steinbruch zu langsam."

Eine Gefahr für die Standsicherheit der Talbrücke stellen die Sprengungen nicht dar. Das Bauwerk darf ein bisschen wackeln, vorgeschriebene Grenzwerte würden jedoch bei weitem nicht erreicht, hieß es. Petersen berichtet, dass dies Argument auch bei der Planfeststellung überhaupt nicht zog: "Da wurde uns nur gesagt: Ein deutscher Ingenieur baut alles."

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