Deutsche Sprache:Deutsch macht Karriere

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Für EU-Politiker ist die deutsche Sprache neuerdings Pflicht, auch Kommissare nehmen Unterricht.

Cornelia Bolesch

Siim Kallas ist als EU-Kommissar zuständig für eine transparente Verwaltung. Der Ex-Premier aus Estland geht auch persönlich mit gutem Beispiel voran.

Er ist einverstanden, sich in einer Situation beobachten zu lassen, die für einen Erwachsenen nicht einfach ist. Der 57-Jährige ist dabei, eine neue Sprache zu lernen, die es lange schwer hatte, sich in den EU-Institutionen zu behaupten, aber dort inzwischen immer mehr Anhänger findet. Siim Kallas paukt Deutsch.

Es ist vier Uhr nachmittags, als die Sprachlehrerin des Goethe-Instituts, Margit Pfaender, das Büro des Kommissars betritt. Auf dem Schreibtisch steht eine Wasserflasche neben Papieren.

Zwei leere Kaffeetassen sind von einer Besprechung übrig geblieben. Aus der Normalität seines Arbeitstages zieht Siim Kallas an den großen Holztisch in der Mitte des Zimmers um.

Die europäische Führungskraft wird kurzfristig wieder zum Schüler. Er räuspert sich, blickt aufmerksam auf seine Lehrerin. Seine 12. Deutschstunde beginnt.

Individuelle Deutschstunden für leitende Beamte

"Die Erweiterung hat die deutsche Sprache aufgewertet", stellt der Leiter der Sprachabteilung im Brüsseler Goethe-Institut, Johann Greimel, zufrieden fest. Dank der neuen Staaten aus Mittel-und Osteuropa steht Deutsch in der Europäischen Union jetzt hinter Englisch an der zweiten Stelle der am meisten gebrauchten Sprachen.

Das strahlt auch nach Brüssel aus. Seit das Goethe-Institut den Zuschlag für die Deutschkurse bekommen hat und der deutsche EU-Botschafter sich mit Verve für die Sprache Goethes ins Zeug legt, ist Margit Pfaender rund um die Uhr beschäftigt.

Die zierliche blonde Lehrerin übt nicht nur mit Kommissar Kallas. Sie trainiert auch den lettischen Energiekommissar Andris Piebalgs und die polnische Regionalkommissarin Danuta Hübner. Zusätzlich gibt sie individuelle Deutschstunden für 15 Mitglieder aus den Führungsstäben der Kommissare und Kurse für weitere neun leitende Beamte.

Das neu erwachte Interesse an Deutsch in der EU-Zentrale geht auch auf eine neue interne Karriere-Vorschrift zurück. So muss hier jeder Beamte, der etwas werden will, in mindestens zwei Fremdsprachen fit sein.

Siim Kallas kann außer seiner Heimatsprache Englisch und Russisch. Er hat auch Französisch gepaukt. Nun ist Deutsch dran. Er ist in Estland mit Deutsch aufgewachsen, ohne die Sprache zu begreifen "Die Eltern haben es häufig gesprochen", aber ihn haben die deutschen Begriffe als Kind nur umschwirrt.

40 Jahre danach will er diese Wort-Wolke bändigen. "Ich habe decided zu entwickeln ein System." Er will deutsche Bücher lesen können und "ein paar Worte mit Günter Verheugen wechseln", dem Industriekommissar aus Deutschland.

Margit Pfaender hat ihm die Namen bekannter Deutscher auf einen Zettel getippt, die alle im Februar Geburtstag haben. Kallas soll sagen, was ihm dazu einfällt. Erich Kästner - "ich weiß nicht".

Hans und Sophie Scholl? "Kämpfer gegen Nazismus", sagt Kallas. "Weiße Rose, na ja, das ist ein Film. Ich habe gelesen - earlier - über diese Scholl." Kallas hat eine kräftige Stimme. Sie singt und schwingt, wenn er spricht. Er hantiert mit den Wörtern wie an einer Werkbank.

44 Prozent aller Europäer sprechen nur eine Sprache - die eigene

Das Büro des Kommissars wird beherrscht von zwei Riesenfotos seiner Heimatstadt Tallinn. Vor dem Fenster ragen die großen Kräne der Dauerbaustelle Brüssel empor.

Wer Kallas transparente Deutschstunde für keine große Tat hält, der hat sich in späten Jahren wohl noch nie unbeholfen gefühlt beim Versuch, aus unvertrauten Worten Sätze zu formen. Laut der neuesten Eurobarometer-Umfrage haben die meisten Europäer immer noch wenig Lust, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern. 44 Prozent aller Europäer können keine andere Sprache als die eigene.

Umso mehr gilt Margrit Pfaenders ganzer Stolz ihren Schülern. Etwa dem schwedischen Beamten aus der Generaldirektion Soziales, der häufig Vorträge in Deutschland hält und sich nicht hinter einem fremden Idiom verstecken will, wenn er dort über Arbeitslosigkeit sprechen muss. Besonders gerne erinnert sich die Lehrerin an ihren Schüler Frits Bolkestein.

Ex-Kanzler Schröder hat den früheren Binnenmarkt-Kommissar den "unsäglichen Holländer" genannt, weil er der Bundesregierung immer dazwischenfunkte. Pfaender aber lässt nichts auf diesen "großen Freund der deutschen Sprache" kommen. Bolkestein habe Schiller und Kleist geliebt und zweieinhalb Jahre "geduldig mit dem Dativ und dem Akkusativ gekämpft".

Das ist Vergangenheit. In der neuen EU-Kommission geht im zwölften Stock die Unterrichtsstunde für Siim Kallas zu Ende. Heißt es die, der oder das Märchen? Der Kommissar verheddert sich. "Warum diese Artikeln?" klagt er. Immerhin: "Es ist gut, dass Sie keine Angst haben zu sprechen", lobt die Lehrerin. Siim Kallas lässt das nicht gelten: "Ich habe Angst vor Französisch."

© SZ vom 09.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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