Der Pate:Il Professore

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43 Jahren lang versteckte sich Bernardo Provenzano. Dreizehn Jahre lang war er Chef der sizilianischen Mafia. Jetzt wurde er festgenommen. Im Juli 2002 erschien im im SZ-Magazin ein Porträt des meistgesuchten Italieners.

Lars Reichardt

Der Mann, der sich am liebsten "der Professor" nennt, musste die Schule schon in der zweiten Klasse verlassen. Sein Vater brauchte ihn bei der Feldarbeit. Dass man sich heute über Grammatikfehler und simple Wortwahl in seinen abgefangenen Briefen belustigt, dürfte dem Professor missfallen.

Seiner ansonsten unscheinbaren Erscheinung gestattet er nur eine markante Note: "fantastische braune Lederschuhe mit der Abbildung einer bunten fliegenden Ente auf der Schuhzunge", wie ein ehemaliger Mafioso als Zeuge der Staatsanwaltschaft berichtete.

Die Aussage dieses "Pentito" lieferte der italienischen Justiz vor eineinhalb Jahren die ersten konkreten Hinweise auf das aktuelle Aussehen jenes Mannes, der seit 39 Jahren untergetaucht ist: Bernardo Provenzano, 69, ergrautes Haar, gelbes Poloshirt, klein kariertes Sakko.

Die italienische Polizei konnte vergangenes Jahr drei seiner engsten Vertrauten fassen, darunter auch seinen Hausarzt. Im Januar verhaftete sie den Finanzberater des Professors, im April mit Nino Giuffrè die Nummer zwei der sizilianischen Cosa Nostra.

Er war für Geschäfte in Siziliens Nordosten zuständig. Zuletzt konnte sogar der Namenscode im Briefverkehr des Professors endlich geknackt werden: Es war der von Julius Cäsar, A = 4, B = 5, C = 6 usw.

Doch von Bernardo Provenzano selbst fehlt jede Spur. Obwohl der längstgesuchte Mafiaboss in der Geschichte Italiens, so viel steht fest, irgendwo in der Nähe Palermos leben muss. Seit 1963.

In der Karibik wäre er sicherer. In Sizilien ist er mächtiger. Mächtig genug, um sich unentdeckt an der Prostata operieren zu lassen.

Mit dem Krankenwagen in die Stadt

Wahrscheinlich in einem ordentlichen Krankenhaus. Laut Zeugen bevorzugt der Professor für Landausflüge eine Vespa, für Stadtfahrten einen Krankenwagen. Auch seine Geschäfte laufen bestens.

Im Sommer überweist die EU neun Milliarden Euro aus ihrem Ausgleichsfonds nach Sizilien. Ein Großteil wird wieder bei Provenzano landen, da ist sich die Staatsanwaltschaft sicher: für Trinkwasseranlagen und Autobahnteilstücke, die nie fertig gestellt werden, Giftmüll, der im Meer entsorgt wird, oder Denkmalpflege, die nie vollzogen wird.

Der Professor ist der heimliche Herrscher Siziliens. Ein Leben auf der Flucht stellt man sich eigentlich anders vor. Zumindest außerhalb Italiens.

Bagheria, zehn Kilometer vor Palermo. 60000 Einwohner hat der im 18. Jahrhundert von Häftlingen erbaute Villenvorort. Mit Palästen, von denen schon Goethe und Schinkel schwärmten. Seit den siebziger Jahren beherbergten die unübersichtlichen Parkgrundstücke die Heroin-Laboratorien der berüchtigten Pizza-Connection: Istanbul - Bagheria - New York.

Der prächtigste und älteste Palazzo in Bagheria, die denkmalgeschützte Villa Valguarnera, besaß einen zwanzig Hektar großen Park, bevor im Jahr 1989 innerhalb weniger Tage die drei Meter hohe Palastmauer über einen Kilometer Länge aufgerissen wurde. Sechs Hektar Pinien und Olivenbäume wurden abgeholzt und drei Einfamilienhäuser am Rande des Parks errichtet.

Rachsüchtig, aber ein gottgläubiger Pate

Diese Schwarzbauten bekamen auch Strom- und Kanalisationsanschluss sowie eine betonierte Zufahrtsstraße. Proteste der Besitzer wurden ignoriert. Zwei Mitarbeiter Provenzanos zogen ein: Giacinto Di Salvo und Gino Scianna.

Sie waren mit dem Gutsverwalter der damals gerade verstorbenen Prinzessin Saretta befreundet. Die Erben der Prinzessin fragten sich jahrelang vergeblich, welche dubiosen Gäste der ehemalige Gutsverwalter auf ihrem Grundstück wohnen ließ.

Am 10. November 1998 nach der Razzia Grande Oriente bestätigte der Staatsanwalt ihren Verdacht: Bernardo Provenzano lebte dort und veranstaltete regelmäßig größere Zusammenkünfte. Mindestens sieben Jahre lang unentdeckt.

Ein paar Fanta-Büchsen ließ er zurück. Und Spielkarten. Provenzano fand allerdings noch genügend Zeit, Kühe und Wildschweine in den Palazzo zu lassen. Die Tiere zerstörten Fresken und machten den Seitenflügel für die Besitzer unbewohnbar. Außerdem fanden sich an drei Wänden des riesigen Seitentrakts aufgeklebte Votivbildchen des heiligen Kapuzinermönchs Padre Pio. Der Professor mag rachsüchtig sein, aber er ist sicherlich ein gottgläubiger Pate.

Auf dem Platz vor der Villa Valguarnera steht seit der Razzia vor drei Jahren ein Schild: "Villa der Opfer der Mafia". Den Präsidenten des örtlichen Fußballvereins kann Provenzano zwar nicht mehr ernennen. Sein Einfluss ist allerdings immer noch spürbar: Der Regisseur Giuseppe Tornatore aus Bagheria musste vergangenes Jahr mit den Dreharbeiten zu seinem jüngsten Spielfilm von Sizilien nach Marokko ausweichen; Provenzanos Männer beharrten gegenüber dem Oscar-Preisträger darauf, jeden einzelnen Komparsen und Techniker zu besetzen.

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