Der Papst wird 80:Sinn und Seligkeit

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Auch an seinem 80. Geburtstag merkt man - Papst Benedikt XVI. scheint Freude zu haben am Kreuz seines Amtes. Die Welt dankt es ihm mit Geschenken: Biere, Bücher und ein spätgotischer Heiliger kommen im Vatikan an.

Stefan Ulrich, Rom

Der Bischof von Rom ist angekündigt, und Tausende sind gekommen. Während die Frühjahrssonne an jenem Morgen hochsteigt über den Trabantensiedlungen im Norden der Stadt, drängt sich die Menge immer dichter um den muschelförmigen Bau der Kirche "Santa Felicita e Figli Martiri". Die ein wenig schäbigen, gewundenen Vorstadtstraßen sind verstopft mit parkenden Autos, Ordner mit kahlrasierten Schädeln und den herrischen Gesten römischer Cäsaren dirigieren die Menge.

Papst Benedikt XVI. bei bei der Messe zu seinem Geburtstag (Foto: Foto: AP)

Die meisten Menschen müssen sich mit Plätzen vor der Kirche begnügen, besonders Gewitzte haben die Flachdächer der umliegenden Häuser erklommen. Einige hundert Auserwählte dürfen innerhalb des modernen Gotteshauses auf ihn warten - auf den Hirten der Stadt, den Primas von Italien, den obersten Priester der Weltkirche, den Nachfolger des Apostelfürsten, den Stellvertreter Jesu Christi.

Signora Laura gehört zu den Glücklichen, die Einlass gefunden haben. "Er kommt tatsächlich zu uns", sagt sie immer wieder und schüttelt den Kopf, als könne sie es nicht glauben. "Er besucht uns hier in der Vorstadt, obwohl er so viel zu tun hat, da drinnen in seinem Vatikan und draußen in der ganzen Welt." Er kommt tatsächlich. Ein Tuscheln durchzieht die Kirche, und alle wenden sich dem Eingang zu, als gehe dort gerade die Sonne auf.

Jubelschreie im Gotteshaus

Dann ist er auf einmal da, der zierliche, kleine Mann mit den roten Zeremonienschuhen, einem Relikt aus der römischen Cäsaren-Zeit, und dem weißen Pileolus - dem runden Käppchen aus Moiré-Seide - auf dem silberweißen Haar. Er lächelt tapfer gegen das Meer der erwartungsvollen Gesichter und das Gewitter der Blitzlichter an.

Plötzlich dringt ein Schrei durch das Kirchenschiff: "Viva il Papa." Die Menschen klatschen, die Züge Benedikts XVI. werden weich, seine Augen blitzen heiter, fast amüsiert, und nun geht er beherzt auf die Frauen, Männer und Kinder zu, schüttelt Hände, streicht über Köpfe, schenkt hier ein paar Worte, erteilt dort seinen Segen. Benedikt verströmt nicht diese mitreißende Wucht wie sein Vorgänger Johannes Paul II. Doch er überrascht die Gläubigen mit ungekünstelter Herzlichkeit und mit diesem eindringlichen Blick, mit dem er sich jedem Gesprächspartner zuwendet, als wolle er ihn genau kennenlernen.

Joseph Ratzinger, der lange als strenger, kühler und fast menschenscheuer Kirchenlehrer galt, wirkt nicht nur entspannt beim Bad in der Menge - er scheint es sogar zu genießen. Wer ihn in diesen Wochen vor seinem 80. Geburtstag in Rom beobachtete, bei Messen und Audienzen, dem Gedenken an seinen Vorgänger Johannes Paul oder am Karfreitag auf der Via Crucis am Kolosseum, der bekam den Eindruck: Hier trägt einer mit Freude das Kreuz, das ihm sein Gott im hohen Alter auferlegt hat.

Die Welt darf Joseph Ratzinger wohl glauben, wenn er immer wieder versichert, sich nicht nach dem Papst-Amt gedrängt zu haben. So erzählt sein alter Freund aus München, Thaddäus Joseph Kühnel, er habe Kardinal Ratzinger Anfang 2005 gefragt: "Und was ist, wenn Sie Papst werden?" Der Kardinal habe geantwortet: "Ich hoffe, dass dieses Fallbeil mich nicht treffen wird. Denn für dieses Amt bin ich vollkommen ungeeignet."

In der ersten Zeit nach seiner Wahl vor zwei Jahren sah es so aus, als sollte Joseph Ratzinger recht behalten mit seiner Selbsteinschätzung. Da bewegte er sich geradezu verschreckt durch Menschenmengen und machte mit seinen Armen unbewusst rudernde Seitenbewegungen, als wolle er signalisieren: Bleibt mir bloß vom Leibe. Von dieser Abwehr ist nichts mehr geblieben.

"Er hat sich so geöffnet"

Ein hoher Prälat aus Deutschland, der Ratzinger von früher kennt und ihn gerade als Papst bei einer Privataudienz in kleinem Kreis erlebte, zeigt sich verblüfft über diese Verwandlung. "Seine veränderte Körpersprache ist wirklich frappierend", meint der Priester. "Er hat sich so geöffnet. Er sucht ständig Blickkontakt, schaut einem immer wieder in die Augen. Das konnte er früher nicht, da war er sehr scheu." Benedikt bereite das Papstamt inzwischen sichtlich Freude. "Er hat sich in diese Rolle eingelebt und viel gelernt in den letzten beiden Jahren."

Das war auch am gestrigen Sonntag auf dem Petersplatz zu spüren, wo der Papst im goldenen Festtagsornat seinen 80. Geburtstag mit Zehntausenden Menschen bei einer Messe vorfeierte. Da wagte sich der asketische Denker an eine sehr persönlich gehaltene Predigt und traf damit genau den richtigen Ton. Dass er seiner Familie dankte und seinen Vorgänger Johannes Paul würdigte, ist bei den Italienern gut angekommen.

Der Wandel im Auftritt - das ist wohl das Überraschendste und Auffälligste im bisherigen Pontifikat des Papstes aus Bayern. Doch wohin will dieser Pontifex seine 1,2 Milliarden Katholiken eigentlich führen? Was ist sein Hauptanliegen als Papst? Nicht nur viele Gläubige rätseln darüber. Auch die italienischen Vatikanisten, die seit Jahrzehnten jede Regung im Kirchenstaat beobachten, wirken bisweilen ratlos.

Zu Zeiten Johannes Pauls ist noch viel nach außen gedrungen, aus der Entourage des polnischen Papstes und von den unzähligen Besuchern, die er zur Morgenandacht in seine Kapelle oder zum geselligen Mittagessen einlud. Diese, auch journalistisch üppigen Zeiten, sind vorbei.

Ein Freund der Orangenlimo

Benedikt XVI. hat, aus Rücksicht auf sein Alter und seine eher zarte Konstitution, das päpstliche Programm ausgedünnt. Er gewährt viel weniger Audienzen, reist weniger, betet morgens ohne Gäste und speist in der Regel mit seinen beiden Privatsekretären. In seinem deutschen Sekretär Georg Gänswein hat er zudem einen Hüter, der ihm entschlossen Freiräume verschafft. So findet Joseph Ratzinger sogar als Papst Zeit für das, was er eigentlich im Alter tun wollte: das Schreiben. Mit seinem Jesusbuch, das am heutigen Montag auf Deutsch erscheint, hat er sich selbst das größte Geburtstagsgeschenk gemacht.

Der Rest der Welt tat sich dagegen eher schwer bei der Suche nach einem Präsent für Benedikt. Was schenkt man schon einem Papst, einem Mann, der alles hat und wenig braucht? Die einen versuchen es mit 80 Flaschen Bier, obwohl der Pontifex lieber Orangenlimonade trinkt. Andere eröffnen ein Museum, stiften eine Säule, überreichen ein in weißes Ziegenleder gebundenes Evangeliar - oder schreiben selbst ein Buch zu Ehren des Jubilars.

Zu ihnen gehört Alessandra Borghese, die gerade in Italien ein Werk mit dem Titel "Auf den Spuren Joseph Ratzingers" herausgebracht hat. Die Prinzessin stammt nicht nur aus einer Familie, die einst selbst einen Papst hervorbrachte. Sie kennt Joseph Ratzinger auch gut aus dessen Kardinalszeiten. Und sie gehört zu der gar nicht kleinen Gruppe von Italienern, die begeistert darüber sind, einen deutschen Pontifex zu haben, der für Ordnung im italienisch geprägten Kirchenstaat bürgen soll.

"Ich bin immer wieder fasziniert, wie er uns die Einmaligkeit des Glaubens an Jesus Christus vorlebt", schwärmt die Principessa. "Mit seinem hübschen Kindergesicht und den leuchtenden Augen demonstriert er, dass der Glaube uns nichts nimmt, sondern etwas Schönes gibt und Freude bereitet." Die Kraftquelle Benedikts hat Alessandra Borghese in seiner bayerischer Heimat ausgemacht. "Weil er in seiner Erde wurzelt, ist er offen zur Welt."

Tatsächlich hält Joseph Ratzinger auch als Papst in Rom engen Kontakt zur Heimat. Bei der Messe am Sonntag durfte er sich wieder über Gebirgsschützen freuen. "Ich sehe viele bayerische Fahnen und Trachten. Das tut mein Herz auf und ich freue mich", sagte er. Auch für die Bescherung an diesem Montag haben Bayern für besondere Geschenke gesorgt. Rudolf P. Koletzko etwa, der lange Sekretär des früheren Augsburger Bischofs Josef Stimpfle war, hatte die Idee zum "größten, umfangreichsten, teuersten und exklusivsten" Buch zum Papstgeburtstag - ein Werk über die Identität Europas illustriert an seinen Kathedralen. 5000 Euro kostet ein Exemplar für Nicht-Päpste.

Ansturm der Barbaren

Natürlich weiß Benedikt längst um das wertvolle Präsent - wie um die meisten anderen Geschenke. Eine Überraschung aber dürfte Thaddäus Joseph Kühnel gelingen. Der Direktor der Münchner Bank Hauck & Aufhäuser kennt Joseph Ratzinger seit Jahrzehnten und hat ihm immer wieder im Urlaub als Chauffeur gedient. Auf der Suche nach dem Geschenk wurde er bei einem Pfarrer im Allgäu fündig.

Dort entdeckte Kühnel eine 92 Zentimeter große spätgotische Plastik des heiligen Augustinus. Ihm war sofort klar: Das muss es sein. Schließlich ist der Papst ein großer Verehrer des aus Nordafrika stammenden Bischofs, Philosophen und Kirchenvaters. Immer wieder flicht er Gedanken des Augustinus in seine Predigten ein. Ein Monsignore im Vatikan meinte einmal: "Der Papst berät sich lieber mit dem heiligen Augustinus als mit seinen Kardinälen."

Kühnel überzeugte die Gemeinschaft der "Mallersdorfer Schwestern", die wertvolle Plastik als Geschenk für den Papst zu kaufen. Mit dem Papstsekretär verabredete er, dass die Sache bis zum Geburtstag geheim blieb. "Die offiziellen Termine sind ja bekannt", sagte Gänswein vor ein paar Tagen über die Geburtstagsfeier. "Was dann zum privaten, intimen Programm gehört - das ist Geheimnis, das weiß der Heilige Vater selber noch nicht."

Augustinus lebte in einer Zeit, als die römische Ordnung unter dem Ansturm der Barbaren in Brüche ging. Benedikt dürfte da Parallelen zur Gegenwart ziehen. Unermüdlich, und in den vergangenen Monaten immer vehementer, zieht er gegen die Auflösung des christlich geordneten Europas zu Felde. Bei aller Herzlichkeit im Auftreten bleibt er dabei der eiserne Glaubenshüter, der er als Kardinal immer war.

Das bekommen nun besonders die Italiener zu spüren. Erstaunt erleben sie, wie sich der Papst in ihre Innenpolitik einmischt und den Politikern bei Themen wie dem Umgang mit nichtehelichen Lebensgemeinschaften Vorgaben macht. Manche fragen sich, ob der 80 Jahre alte Benedikt nun, nach eher verhaltenem Beginn des Pontifikats, mit der Reconquista Europas loslegt.

Geheimnisse des Vatikans

Eine Antwort können am ehesten die verschwiegenen Monsignori in Rom geben. Sie lassen sich nicht gerne mit Namen zitieren, aber bei einem Mittagessen in einer der versteckten Trattorien der Altstadt geben sie schon einmal Einblicke in die Strategien des Vatikans.

"Der Papst ist ein Mann wie aus einem Guss, der genau weiß, was er will", erzählt ein Geistlicher. "Er hat die Kirche darauf festgelegt, nicht mehr einfach im Konzert der pluralistischen Gesellschaft mitzuspielen, sondern sich bei den ethischen Grundthemen notfalls auch gegen die Gesellschaft zu stellen." Benedikt wolle Europa für das Christentum zurückgewinnen, ohne dabei aber Kompromisse einzugehen. ,,Im Zweifel bevorzugt er eine kleine Kirche der reinen Lehre.''

Nicht alle sehen das so. "Der Papst hat gewiss seine ganz festen Prinzipien, aber er ist kein Fundamentalist", meint ein anderer Geistlicher. "Deshalb glaube ich nicht, dass er die Kirche der Gesellschaft entgegenstellen will. Er sucht vielmehr den Austausch mit Kirchenkritikern. Allerdings ist er felsenfest überzeugt, dabei die besseren Argumente zu haben."

Federico Lombardi, der diskrete Sprecher des Papstes, versichert, unter Benedikt XVI. werde es "keinen Kreuzzug" geben. Dem Papst gehe es vielmehr darum, "Jesus Christus als Mitte des Glaubens in der säkularisierten Welt lebendig zu halten". Er wolle keine Macht über die Gesellschaft erringen und diese kontrollieren, sondern ihr dienen, indem er das christliche Menschenbild verteidige.

Das klingt defensiv, doch es sollte nicht täuschen. Joseph Ratzinger hat Freude am Kreuz seines Amtes gefunden. Sein neuer Draht zu den Menschen gibt dem 80 Jahre alten Papst viel Kraft. "Wir sind hier versammelt in Gedanken an die Vollendung eines langen Abschnittes meines Lebens", sagte ein frisch und hochgestimmt wirkender Benedikt XVI. am Sonntag bei strahlendem römischen Frühjahrswetter auf dem Petersplatz. Zugleich ließ er keinen Zweifel aufkommen, dass es nun mit dem nächsten Abschnitt weitergeht.

© SZ vom 16.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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