Der Fall Jackson:Manege frei für die Justiz

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Im Verfahren gegen Michael Jackson hat die Verhandlungsphase begonnen. Die Medien reden schon von einem Jahrhundert-Prozess und zeigen sich phantasiereich.

Von Andrian Kreye

Was soll einer wie Michael Jackson schon zum Gerichtstermin tragen? Soll er sich einen seriösen Anzug kaufen? Das könnten ihm die Geschworenen als Heuchelei auslegen. Oder doch eines seiner Phantasiekostüme?

Einige Vorwürfe wirken harmlos, andere gravierend. (Foto: Foto: AP)

Vor dem Provinzgericht in Santa Maria in einem der reichsten und wertkonservativsten Landkreise dieses Planeten ebenfalls ein Risiko, das die Verteidigung nicht unterschätzen darf. Solche Details diskutierten die amerikanischen Medien am Abend des ersten Tages einer Gerichtsverhandlung, die Nachrichtenchefs und Programmdirektoren hoffnungsfroh als "Prozess des Jahrhunderts" behandeln.

Die Verhandlungsphase hat früher begonnen als erwartet. Richter Rodney Melville ist seinem Ruf als Mann gerecht geworden, der im Gerichtssaal Wert auf größte Disziplin legt, und hat die Anwälte mit strengen Vorgaben veranlasst, zwölf Geschworene und acht Ersatzleute in kürzester Zeit zu wählen.

Das Schicksal des trotz Hautbleichung nach Rassenkriterien der US-Behörden schwarzen Sängers wird nun von einer Jury verhandelt, der kein Schwarzer angehört.

Der erste Tag begann mit Regen. Mit ein Grund, dass die Schar der Fans, die Jackson, seine Anwälte und Begleiter erwartete, viel kleiner war als die Mengen, die in den letzten zwei Jahren vor dem Gericht für Jacksons Unschuld demonstriert hatten. Dafür haben sich rund 1100 Journalisten in der kalifornischen Kleinstadt Santa Maria versammelt. 28 Anklagepunkte trug die Staatsanwaltschaft in ihrem Eröffnungsplädoyer vor.

Staatsanwalt Tom Sneddon verlas Auszüge aus dem britischen Dokumentarfilm von Martin Bashir, der das Verfahren auslöste. Die schwerstwiegenden Anklagen: sexuelle Belästigung eines Minderjährigen und Verabreichung von Alkohol an einen Minderjährigen.

Einige Vorwürfe wirken harmlos. Jackson soll in seinem Haus nackt herumgelaufen sein. Er habe sexuell eindeutige Magazine herumliegen lassen. Solche Schlamperei kann in einem Verfahren wegen sexueller Belästigung von Minderjährigen jedoch als Straftat interpretiert werden.

Nation für fünf Monate vor die Mattscheiben

Der Leiter des Verteidigerteams Thomas Mesereau stellte dagegen die Mutter des minderjährigen Klägers als Gaunerin dar, die nur Geld aus dem Verfahren schlagen will. Die Verteidigung wies darauf hin, dass die Mutter schon einmal ein Verfahren angestrengt hatte und eine höhere Summe Geldes von der Kaufhauskette J.C. Penney erstritt, weil Ladendetektive, die sie beim Ladendiebstahl erwischten, sie befummelt hatten.

Die Sender nutzten den Prozessauftakt vor allem, um ihre Zuschauer zu erinnern, dass sich ein Gerichtsdrama entspinnt, das die Nation für geschätzt fünf Monate an die Mattscheiben holen soll. Das Problem: Mangels Bildmaterial werden sich die Sender auf Gespräche mit Experten und Kommentare beschränken müssen. Eine Form von meinungsgeladenem Journalismus, der schon die Berichterstattung zur Präsidentenwahl verzerrte.

Im Fall Jackson birgt dies die Gefahr von Vorverurteilung, die Einfluss auf die Verhandlung haben könnte. Auch wenn die Geschworenen, wie vom Gesetz verlangt, von Außeneinflüssen und Berichterstattung isoliert werden.

"Shocking! Shocking! Shocking!

Da veröffentlichte die Webseite smokinggun.com Protokolle von Anhörungen der Vorverhandlung. Das Fernsehmagazin 20/20 brachte ein Interview mit Ex-Kinderstar und Jackson-Freund Corey Feldman, das statt angekündigter Enthüllungen zweifelhafte Erinnerungen zutage brachte.

Weit aus dem Fenster lehnte sich der CNN-Kurznachrichtenkanal Headline News, wo zur besten Sendezeit eine Dame namens Nancy Grace mit angeekelter Schnute Experten befragte, die ihre Position mit Zwischenrufen wie "Bye, bye Michael" deutlich machten. Die Gerichtsreporterin an Ort und Stelle sekundierte dazu: "Shocking! Shocking! Shocking!" und meinte abwechselnd die Vorwürfe der Anklage und der Verteidigung.

Unübertroffen die Methode, mit der der auf Klatsch und Tratsch spezialisierte "E! Entertainment News" über den Prozess berichten wird. Das tägliche Prozessgeschehen soll mit Schauspielern und Jackson-Imitator Eddie Moss in einer Nachbildung des für Kameras gesperrten Gerichtssaals nachgestellt werden.

CNN will nicht nachstehen und inszenierte Protokolle aus Verhören mit der Mutter des angeblichen Opfers als szenische Lesung. Ausgerechnet Fox News, Spezialist für rechte Hetzpropaganda, präsentierte ausgewogen Experten, die Theorien beider Lager vertraten.

Sonst wird vor allem in die Zukunft spekuliert. Höhepunkte werden die Aussagen unzähliger Prominenter sein, die sowohl Anklage wie Verteidigung einbestellen wollen. Elizabeth Taylor, Diana Ross, Quincy Jones und Stevie Wonder sollen für Jackson aussagen. Entscheidende Phasen werden die Kreuzverhöre des minderjährigen Klägers, seiner Mutter und Jacksons selbst sein. Dann wird die Jury entscheiden.

Der Angeklagte entschied sich übrigens für einen schwarzen Anzug, den er mit Brosche und roter Armbinde trug.

© SZ vom 2.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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