Das Wolfskind aus Kambodscha:Zurück aus dem Dschungel

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Der Gang eines Affen, die Augen eines Tigers: Aus dem Nichts ist in Kambodscha eine verwahrloste junge Frau aufgetaucht. Sie gibt viele Rätsel auf.

Angela Köckritz

Das Mädchen hätte bestimmt viel zu erzählen - wenn sie nur einer verstehen könnte. Seitdem am 13. Januar aus dem Nichts eine verwahrloste junge Frau in der Nähe des kambodschanischen Dorfes Oyadao aufgetaucht ist, ergehen sich Medien aus aller Welt in Spekulationen, doch keiner weiß, was ihr widerfahren ist. Keiner außer der ,,Dschungelfrau'' selbst, so nennen sie zumindest die Bewohner des Dorfes.

Am 13. Januar ertappte ein Bauer die Frau dabei, wie sie Essen aus seiner Mittagsdose stahl. Gemeinsam mit ein paar Freunden hielt er sie fest. ,,Sie war nackt und ging vornübergebeugt wie ein Affe, haargenau wie ein Affe. Sie war bis auf die Knochen abgemagert'', erzählt der Dorfpolizist Sal Lou.

Rot seien ihre Augen gewesen, ,,rot wie die eines Tigers'', und er habe sich sehr gefürchtet. Dann aber entdeckte er eine Narbe auf ihrem rechten Arm. Eine Narbe, wie er sie schon einmal gesehen hatte: Am Arm seiner Tochter, die vor 19 Jahren spurlos verschwunden war. Die achtjährige Rochom P'ngieng hatte das Haus verlassen, um Wasserbüffel zu hüten. Sie kehrte nicht wieder zurück.

Für Sal Lou steht seither fest: Die Dschungelfrau ist seine Tochter, die 18 Jahre ihres Lebens im Dschungel gehaust hat. Er brachte sie nach Hause; dort bestaunten sie die Dorfbewohner, die sich vor dem Eingang der Hütten drängten.

Allzu glücklich schien die junge Frau nicht über ihre neue Heimat zu sein. Ein paar Mal versuchte sie zu fliehen, riss sich die Kleider vom Leib und rannte zurück zum nahen Dschungel. Doch Sal Lou holte sie jedes Mal wieder zurück.

Eine Sprache, die keiner versteht

Die meiste Zeit sitze Rochom P'ngieng herum, erzählt der mutmaßliche Vater, ,,sie schaut von links nach rechts und von rechts nach links.'' Allerdings habe es ihr die Karaokemaschine der Familie angetan. ,,Sie starrt auf das Video ohne zu blinzeln. Sie mag es sehr'', sagt Sal Lou. Lange sprach die Frau kein Wort, sie kommunizierte mit den Händen. Wollte sie essen, klopfte sie sich auf den Bauch.

Vor einigen Tagen begann sie dann zu sprechen - in einer Sprache, die keiner versteht. ,,Wir haben Tests gemacht, und sie hat eine gewisse Antwort gegeben. Sie hat einige Worte gesprochen, sogar zu mir, obwohl ich nicht Teil der Familie bin'', berichtet der spanische Psychologe Hector Rifa von der Vereinigung Psychologen ohne Grenzen, der zwei Tage mit der Familie verbrachte, um den Fall zu untersuchen.

Die junge Frau habe sogar ein wenig gelächelt. ,,Sie war etwas verloren'' , sagt Rifa. ,,Es war schockierend, dass so viele Fotografen und Journalisten da waren.'' Schließlich hatte die Nachricht von dem kambodschanischen ,,Wolfskind'' Journalisten aus aller Welt in das kleine Dorf in der nordöstlichen Provinz Rattanakir gelockt. Mittlerweile aber fühle sich die Frau ,, wohler in ihrer Familie'', so Rifa.

Einige bezweifeln allerdings, dass die ,,Dschungelfrau'' wirklich die verschwundene Rochom P'ngieng ist. Mit ihrem Kindergesicht wirke sie jünger als 27, finden einige Dorfbewohner. Auch seien ihrer Hände und Fußsohlen zu weich für ein jahrelanges Leben in der Wildnis.

Andere wundern sich, dass sie mit kurzen Fingernägeln und verfilztem, aber kurzem Haar im Dorf auftauchte. ,,Ihr Haar müsste inzwischen sehr lang sein. Die kurzen Haare haben mich wirklich sehr verwundert'', sagt eine Dorfbewohnerin. Ein DNA-Test soll nun klären, ob die junge Frau wirklich Sal Lous Tochter ist - ihre Geschichte aber wird bis auf weiteres ein Geheimnis bleiben.

© SZ vom 29.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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