Dan Brown vor Gericht:Er würgt, gähnt und verdreht die Augen

Lesezeit: 4 min

Der Medienrummel um den "Sakrileg"-Prozess in London kommt Erfolgsautor Dan Brown zugute - und den Klägern auch. Im Zeugenstand kämpft der Amerikaner eher gegen Langeweile und Irritationen an als gegen die Plagiats-Vorwürfe.

Wolfgang Koydl

Eigentlich wäre es ja passend gewesen, wenn man mit dem Verfahren hinüber auf die andere Straßenseite gezogen wäre - hinaus aus dem nüchternen Neubau des Thomas More Buildings der Londoner Law Courts mit dem blassen Kiefern-Furnier und dem unnachahmlichen Mangel an Charme, der Verwaltungsgebäuden aus den siebziger Jahren gemeinhin anhaftet.

Denn die Örtlichkeiten gegenüber wären dem Verhandlungsgegenstand in der Tat angemessener gewesen: Dort steht, inmitten des verwinkelten Gassengewirrs der Temple Inn, die geheimnisvolle, mehr als 800 Jahre alte Kirche der Tempelritter mit den Steinbildnissen längst verblichener Ordensherren.

Und um Geheimnisse und Mysterien geht es schließlich in jenem Buch, das seit Wochen einige der best bezahlten Anwälte des Vereinigten Königreiches sowie den ehrenwerten Richter Peter Smith in den Royal Courts beschäftigt:

Ganz schön aufregend

Im "Da Vinci Code" (deutscher Titel "Sakrileg") behauptet der amerikanische Thriller-Autor Dan Brown, dass Jesus Christus nicht am Kreuz starb und dass er mit Maria Magdalena Kinder hatte, deren Nachkommen noch heute leben. Die Tempelritter wiederum hätten zu den Bewahrern dieses explosiven Geheimnisses gehört, eines Geheimnisses, das - so es sich denn bewahrheiten würde - nichts weniger als die Grundlagen des Christentums zerstören würde.

Das klingt ganz schön aufregend, zumindest für jene 45 Millionen Menschen auf der Welt, die Browns Buch bereits gekauft haben. Neu sind die Theorien freilich nicht, und deshalb muss sich Brown vor Gericht des Vorwurfs erwehren, die entscheidenden Kernthesen seines Romans abgeschrieben zu haben.

Quelle seines Werkes sei demnach ein Anfang der achtziger Jahre erschienenes Sachbuch mit dem eher unsachlichen Titel "Holy Blood and the Holy Grail" ( Heiliges Blut und der Heilige Gral). Geklagt haben zwei Mitglieder des dreiköpfigen Autorenkollektivs, der Amerikaner Richard Leigh und der Neuseeländer Michael Baigent. "Sakrileg", so machen sie geltend, sei lediglich ein billiges Plagiat.

Wenn man bedenkt, dass Brown mittlerweile umgerechnet an die 300 Millionen Euro mit seinem Buch verdient hat, und dass die Multi-Millionen-Dollar-Verfilmung mit Tom Hanks in der Hauptrolle im Mai weltweit in die Kinos kommen soll, dann kann man erahnen, wie viel bei diesem Copyright-Verfahren auf dem Spiel steht.

Erahnen, aber nicht erkennen, denn die Situation im Gerichtssaal erinnert eher an eine Klausur in englischer Literatur denn an einen Megaprozess mit astronomisch hohen Einsätzen. Das mag daran liegen, dass britische Anwälte in Zivilverfahren geradezu aufreizend gesittet miteinander umgehen. Sie springen nicht theatralisch von den Bänken hoch und rufen "Einspruch, Einspruch Euer Ehren!", wie man das aus Filmen kennt.

Wenn John Baldwin, Browns Verteidiger, einen Einwand gegen eine Behauptung des Anklagevertreters Jonathan Rayner James vorzubringen hat, dann schraubt er sich eher widerwillig halb vom Sitz hoch und rückt dann befangen die Perücke zurecht, bevor er sich räuspernd mit einem schüchternen "Also eigentlich möchte ich sagen" zu Wort meldet.

Quälend lange Viertelstunden verschwinden die beiden Anwälte zusammen mit dem Richter gleichsam im Unterholz grammatikalischer Finessen, debattieren über Apostrophe und Parenthesen, Ellipsen und Abkürzungen. "Sakrileg" mag eine pralle, bunte mittelalterliche Märchenwelt mit Codes und kryptischen Texten, Merowingern, Kreuzrittern und Geheimbünden heraufbeschwören; im Gerichtssaal schrumpft sie zusammen auf eine blutleere, mikrometerfein sezierte Probe, die man unters Mikroskop schieben kann.

Glatt rasierter Nobody

Brown sitzt derweil im Zeugenstand und tut sein Bestes, um seine Langeweile und seine Irritation nicht so deutlich zu zeigen, dass er damit den Unwillen des Gerichts erregt. Das fällt nicht immer leicht, zumal dann nicht, wenn Rayner James ein paar Seiten des Romans mit der verächtlichen Bemerkung überspringt: "Hier ist nichts von Interesse für uns, nur Action".

Da schwellen die Stirnadern des Action-Autors denn doch ein bisschen an. Meist aber will nur sein Hals zerspringen, so mühsam würgt er das Gähnen hinunter; unmerklich schüttelt er den Kopf, leicht verdreht er die Augen, und manchmal sucht er hilfeheischend Blickkontakt im Publikum: Wo, scheint dieser Blick zu sagen, wo bin ich hier nur hingeraten!?

Die Anrede "Mylord" für den Richter geht dem Yankee gar nicht über die Lippen, und überhaupt kostet es ihn Mühe, nicht die Geduld zu verlieren mit dem Vorsitzenden, der nichts zu wissen scheint vom Beruf eines Autors. "Ich bin Schriftsteller. Deshalb reise ich mit einem Computer", presst Brown zwischen den Lippen hervor, und man merkt, dass er sich jede weitere Silbe verkneift, weil er sich keine Verwarnung wegen Beleidigung des Gerichtes einhandeln will.

In der Tat weist das Verfahren zuweilen Elemente eines transatlantischen Zusammenpralls der Kulturen auf. Mit seinem blauen Business-Anzug, der gepunkteten Krawatte und den streng zurückgekämmten Haaren ist der Erfolgsautor der Prototyp des glatt rasierten amerikanischen Nobodys. Ein wenig wirkt er wie der unauffällige Englischlehrer, der er einmal war, oder wie ein Beamter in der Steuerbehörde seines Heimatstaates New Hampshire.

Kaum vorstellbar, dass hinter dieser blassen Stirn und den wässrigen Augen ein Vulkan an Phantasie brodeln soll, der mehrere Bestseller hervorgebracht hat. Brown gegenüber stehen, gleichsam auf der europäischen Seite dieses Prozesses, kleinlich-penible Beckmesser, deren Äußeres freilich eher in einen Roman passen würden. Mit ihren Perücken und Roben scheinen Baldwin und Rayner James geradewegs einem Druck von Honoré Daumier entstiegen zu sein.

Richter Smith, der mit seinem kugeligen Kopf und dem Schnurrbart ein wenig an den Stummfilmkomiker Oliver Hardy erinnert, hat die Angewohnheit, seine Perücke vom Haar zu ziehen und sie ein paar Augenblicke lang hasserfüllt anzustarren, bevor er sie resigniert wieder auf das Haupt stülpt. Auch er, so scheint es, hat Momente, in denen ihn Zweifel an seinem Wirken in diesem Verfahren beschleichen.

Ko-Autor mit traurigem Mongolenschnurrbart

Der hagere, hoch gewachsene Baigent wiederum wäre mit seinem kantigen Profil und dem schulterlangen Grauhaar prächtig als Abt in einer Neuverfilmung des Romans "Im Namen der Rose" besetzt. Ko-Autor Leigh hingegen, dessen Haar fast so weit herabhängt wie sein trauriger Mongolenschnurrbart, würde gut ins Wams eines Knappen passen, der einem Tempelritter auf dem Kreuzzug die Lanze nachträgt. Leigh, der zum Prozess in brauner Lederjacke und mit übergroßer Sonnenbrille erscheint, mag zwar wie Brown US-Bürger sein. Aber er hat sich schon früh für ein Leben in Europa entschieden, weil er nur hier - wie er es nennt - seinen Lebensstil eines "vornehmen Bohemien" pflegen könne.

Mittlerweile können sich alle an dem Prozess beteiligten Parteien freilich einen Lebensstil leisten, der weit über den eines Bohemiens hinausgeht - unabhängig davon, welches Urteil Peter Smith irgendwann in den nächsten Wochen fällen wird. Denn im Kielwasser des Verfahrens und der Publicity sind die Auflagen beider Bücher noch einmal stattlich hochgeschwemmt worden.

Das Satire-Blatt Private Eye spöttelt gar schon über ein mögliches Buch zum Prozess. Im "Da Vinci-Fall" würde es um einen finsteren Geheimbund gehen, der am Ende den ganzen Schatz einstreichen werde: "Die Bruderschaft der Anwälte...und ihr jahrhundertealtes Geheimnis: Sie sind immer die Gewinner."

© SZ vom 22.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: