China:Giftige Gerüchte

Lesezeit: 2 min

In Chinas Millionenstadt Harbin ist Panik ausgebrochen, weil ein Chemieunfall die Wasserversorgung für Tage unmöglich gemacht hat.

Von Angela Köckritz

Die Stadt Harbin in der nordostchinesischen Provinz Heilongjiang liegt am Ufer des Flusses Songhua. Trotzdem mangelt es derzeit an Wasser. Die Behörden der Millionenstadt haben die Wasserversorgung für mehrere Tage einstellen lassen. Der Grund dafür ist ein zehn Tage zurück liegender Chemieunfall, der den Songhua mit dem giftigen Stoff Benzen (früher Benzol) verseucht hat.

In der Stadt ist Panik ausgebrochen. Die Menschen drängten sich am Mittwoch am Flughafen und an Bahnstationen, Zehntausende sind bereits geflohen. In den Supermärkten sind Wasser, alkoholfreie Getränke und Milch beinahe ausverkauft. Die Schulen bleiben bis zum 30. November geschlossen, Krankenhäuser bereiten sich auf den Notfall vor. In Harbin leben 3,5 Millionen Menschen, weitere 5,5 Millionen in den Vororten.

Am Dienstag hatten die Lokalbehörden angekündigt, die Wasserversorgung für vier Tage einzustellen, und dies mit Wartungsarbeiten begründet. Vielen Bewohnern erschien das nicht plausibel, Gerüchte breiteten sich aus. Einige mutmaßten, es werde ein Erdbeben geben, andere erwarteten einen terroristischen Anschlag. Wenig später räumten die Behörden ein, dass ein Chemieunglück die Ursache für den Versorgungsstopp sei.

Bereits am 13. November war es bei der Jilin Petroleum and Chemical Company zu mehreren Explosionen gekommen. Das Chemiewerk liegt mehr als 400 Kilometer flussaufwärts am Ufer des Songhua in der Nachbarprovinz Jilin. Die Fabrik, eine der größten Chinas, produziert Benzen, Anilin, Phenylazeton und andere teils hoch giftige Substanzen. Die Explosionen hatten fünf Menschen getötet, mehr als 10 000 Menschen waren aus von einer Giftwolke verseuchten Wohnvierteln in Sicherheit gebracht worden.

Immer mehr Meldungen über Umweltkatastrophen

Der Songhua sei auf einer Länge von 80 Kilometern mit Benzen vergiftet, berichtet nun die Umweltbehörde der Provinz Heilongjiang. "Der Grad an Benzen liegt 108 Mal höher als der nationale Sicherheitsgrenzwert", so ein Beamter der chinesischen Umweltschutzbehörde laut BBC. Russische Behörden fürchten, dass bald auch der Amur, der Grenzfluss zu China, verseucht werde.

Das Gift wird Harbin der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge am Donnerstagmorgen um fünf Uhr früh erreichen. Mindestens 40 Stunden soll es dauern, bis das Benzen vorbeigeflossen ist. Die Wasserwerke stellten die Versorgung am Mittwochmorgen ein, nahmen sie jedoch am Nachmittag vorübergehend wieder auf. Derzeit wird Harbin auf dem Landweg mit Wasser versorg. Laut Xinhua wurden mehr als 16 000 Tonnen Trinkwasser geliefert - sehr viel weniger als die Einwohner sonst pro Tag verbrauchen.

Seit einiger Zeit häufen sich in China Meldungen über menschengemachte Umweltkatastrophen. Der Preis für eine Entwicklung, die sich in erster Linie auf das Wirtschaftswachstum konzentriert. Die Wasserreserven des Landes gelten gemessen an der Einwohnerzahl im internationalen Vergleich als sehr gering.

© SZ vom 24.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: