China:"Es war eine einzige Vertuschungsaktion"

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Der chinesische Autor Zhou Qing spricht über den Milchpulver-Skandal und mangelnde Kontrollen in seiner Heimat.

Janis Vougioukas

Chinesische Familien sind nach dem Milchpulver-Skandal in großer Sorge um ihre Kinder, in vielen Krankenhäusern des Landes werden erkrankte Babys behandelt. Zhou Qing, geboren 1965, ist Journalist und Autor in Peking - er hat schon lange vor der Gefahr gewarnt. Nach den Studentenprotesten des Jahres 1989 verbrachte er zwei Jahre im Gefängnis. 2004 erschien seine Studie "What Kind of God" - ein Buch über Lebensmittelsicherheit in China, das dort inzwischen verboten ist.

Autor Zhou Qing: Sein Buch über Lebensmittelsicherheit in China ist in seiner Heimat verboten. (Foto: Foto: oH)

SZ: Die ganze Welt fürchtet sich plötzlich vor verseuchter Milch aus China. Hat der Skandal Sie überrascht?

Quing: Nicht im Geringsten! Ich habe vorhergesagt, dass unsere Lebensmittel in Zukunft noch unsicherer werden.

SZ: Ging es in Ihrem Buch auch um Babynahrung?

Quing: Tatsächlich hatten wir schon Skandale um Milchpulver. 2004 erkrankten Säuglinge in Fuyang in der Provinz Henan, weil sie mit nährwertfreiem Milchpulver gefüttert worden waren. Erst bekamen sie einen Wasserkopf. Mehrere Kinder verhungerten sogar.

SZ: Damals war eine Provinz betroffen. Dieses Mal das ganze Land ...

Quing: Im Kern haben beide Skandale die gleiche Ursache. Der Fehler liegt im System. Nur sind dieses Mal nicht nur arme Bauern in Henan betroffen, sondern 22 Firmen, die ihre Produkte quasi in jeder Stadt verkaufen.

SZ: Wo genau liegt der Fehler?

Qing: Alle teilen die Verantwortung: Wenn einer einen Fehler macht, sind alle betroffen. Viele Milchkonzerne hatten außerdem eine Qualitätsbescheinigung von der Regierung, die sie von weiteren Tests befreit. Das sind völlig bedeutungslose Zertifikate, die viele Firmen einfach kaufen. Die Behörden sollten lieber ihre Arbeit erledigen, dafür werden sie von den Steuerzahlern bezahlt.

SZ: Wenn jetzt sogar Babynahrung verschmutzt ist - gibt es überhaupt noch Lebensmittel, denen die chinesischen Verbraucher vertrauen können?

Qing: Ich rate den Menschen: Je einfacher, desto besser. Kauft keine zu billigen und keine zu teuren Lebensmittel!

SZ: Warum muss man bei teuren Lebensmitteln vorsichtig sein?

Qing: Weil da die Profitmargen größer sind. Wenn man viel Geld damit verdienen kann, einem Produkt eine giftige Chemikalie beizufügen, dann wird es Leute geben, die das machen. In China muss man auch aufpassen, dass man nicht in zu großen Supermärkten einkauft. Je einflussreicher Konzerne sind, desto mehr Möglichkeiten haben sie, Verbraucher zu manipulieren. Und noch eine Faustregel: Am besten sind die Produkte, die am wenigsten verarbeitet wurden.

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SZ: Wie reagieren denn die Verbraucher in China? Sind die Menschen vorsichtiger geworden?

Eine Mutter wartet mit ihrem erkrankten Baby auf Behandlung in einem Krankenhaus in Shanghai. (Foto: Foto: dpa)

Qing: Die einfachen Menschen haben im Moment viele Sorgen. Etliche haben viel Geld an der Börse verloren, die Immobilienpreise fallen - Lebensmittel sind da nur ein zusätzliches Problem. Und manchmal nutzt die Regierung die Lebensmittelskandale auch nur, um von anderen Problemen abzulenken.

SZ: Auch bei diesem Skandal?

Qing: Erst wurden 19 Bauern festgenommen - nur um zu vertuschen, wer tatsächlich die Verantwortung trägt. Später wurden zwölf Molkereistationen geschlossen. Auch das war nicht genug. Dann ist ein Vizebürgermeister zurückgetreten, ein Bürgermeister, zuletzt kam der Skandal bei den Milchkonzernen an. Der ganze Skandal war eine einzige Vertuschungsaktion. Was lernen wir daraus? Die Firmen sind mächtig und kaufen sich Schutz von den lokalen Regierungen.

SZ: Was können die Verbraucher in China dagegen tun?

Qing: Zunächst müssen sie sich darüber klar werden, dass sie sich selbst schützen müssen. Das wird ein langwieriger Prozess sein. Letztlich muss die Regierung Macht abgeben. Die chinesischen Medien müssen eine zentrale Rolle dabei spielen - sie sind unsere einzige Waffe im Kampf gegen die Konzerne.

SZ: Kann es im heutigen China denn überhaut sichere Lebensmittel geben?

Qing: Das größte Problem sind die Kontrollen! Ich glaube, dass die Situation viel schlimmer ist als das, was wir bereits über die Milchpulverindustrie wissen. Säuglingsnahrung wird ja auf der ganzen Welt am strengsten überwacht.

SZ: Der erste bekannte Todesfall passierte bereits im Februar. Warum hat das Krankenhaus damals nicht Alarm geschlagen, wenn die Lebensmittelkontrollen versagt hatten?

Qing: Der Skandal ist überhaupt nur durch einen Zufall an die Öffentlichkeit gelangt. Ich glaube nicht, dass die Medien offen über das ganze Ausmaß berichten. Das erste Opfer stammte aus der Provinz Gansu. Wäre der Skandal in einer der Olympia-Städte passiert, verspreche ich Ihnen: Wir hätten nie davon erfahren.

© SZ vom 24.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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