Cannabis-Anbau in Deutschland:Es grünt so grün

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Über Nordrhein-Westfalen versorgen niederländische Drogendealer ganz Westeuropa, aber auch hierzulande florieren Hanfplantagen. Angebaut wird fast überall und auch schon mal im Hochhaus.

Von Michael Kläsgen und Johannes Nitschmann

Die Fahnder trauten ihren Augen nicht. Bei ihrer Razzia im Keller einer Lagerhalle des Kölner Großmarkts standen sie plötzlich inmitten einer Hanfplantage.

Teilnehmer einer Hanf-Parade. (Foto: Foto: dpa)

"Ausgesprochen professionell" seien dort jahrelang Cannabispflanzen aufgezogen worden, sagt der Kölner Staatsanwalt Siegmar Raupach. Künstliches Licht, eine Dauerberieselung und ständige Belüftung sorgten für tropisches Klima.

Gnadenloser Machtkampf

Bei den Köpfen der Dealerbande handelt es sich um zwei Söhne einer tunesischen Marktfrau, die einen bundesweit verzweigten Drogenhändlerring mit 140 Helfern geführt haben sollen. In Norddeutschland registrierten die Ermittler einen regelrechten "Boom" von illegalen Cannabis-Züchtungen.

Das Kieler Landeskriminalamt zählte in diesem Jahr allein 21 Hanfplantagen, 50 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. In Hamburg hatte ein Dealer eine Plantage in einer Hochhauswohnung angelegt.

In Mönchengladbach spürten die Fahnder einen Mann auf, der zentnerweise Ecstasy, Kokain und Amphetamine im Stile eines Pizza-Services verkauft haben soll. Ein Anruf genügte und schon wurden die Bestellungen per Kurier frei Haus geliefert. In Schweinfurt kamen die Ermittler zwei Drogenkurieren nur per Röntgenuntersuchung auf die Schliche.

Die beiden Männer hatten Heroin und Ecstasy in Kondome verpackt, geschluckt und so transportiert. Die Drogenhändler in Deutschland werden nach Einschätzung von Polizei und Staatsanwaltschaft immer dreister. Und brutaler. Weil Gewinnmargen wie sonst nur im Waffen- und Menschenhandel locken, ist der Machtkampf im Milieu gnadenlos.

Dealerbanden schrecken vor Mord nicht zurück

In Bochum steht derzeit eine Dealerbande von Deutsch-Russen wegen sieben Morden vor Gericht, in Stuttgart wird über einen Dreifach-Mord verhandelt. Auffällig ist: Fast immer kommen die Drogen aus den Niederlanden nach Deutschland.

Für Sonderermittler Thomas Wache von der Düsseldorfer Kripo ist Holland das europäische Drehkreuz des Drogenhandels. Selbst Heroin aus Afghanistan und Ware aus Südamerika werde über Spanien an die Nordsee geliefert, bevor es an den Endverbraucher in anderen EU-Ländern verkauft wird. Auch die Anbau- und Schmuggel-Methoden exportiert das Tulpenland.

Die Cannabis-Plantagen ähneln in der Regel den in Holland großflächig in Eigenregie angelegten Nederwiet-Feldern, und das Patent auf das Beutelschlucken dürfen die "bolletjesslikkers" von den niederländischen Antillen für sich reklamieren. Von dort gelangen jedes Jahr tonnenweise Kokain über den Amsterdamer Flughafen Schiphol nach Europa.

Mehr als 40 Kuriere pro Flug

Auf manchen Flügen aus der Karibik sitzen mehr als 40 Kuriere. Inzwischen verschärfte Den Haag die Kontrollen, aber trotzdem gilt: Wer weniger als drei Kilo transportiert, braucht nichts zu befürchten. Weil die Gefängnisse überfüllt sind, sehen die Niederlande von einer Strafe ab. Wohl gemerkt: Das Kilo Kokain ist zur Zeit etwa 30000 Euro wert.

Allerdings schwanken die Preise im Bundesgebiet für Drogen stark. Je größer die Gefahr, erwischt zu werden, desto höher die Preise. Bayern gilt deswegen als teuer, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als günstig. Der Leiter der zuständigen Arbeitsgruppe beim Bundeskriminalamt, Carl-Ernst Brisach, sieht Deutschland vor einem wachsenden Problem.

Und der Präsident des Zollkriminalamtes, Karl-Heinz Matthias, sagt: "Die Niederlande sind Einfuhrland, um ganz Westeuropa zu beliefern." Das Einfallstor für Amphetamine, Ecstasy und Kokain ist Nordrhein-Westfalen. Tag und Nacht patrouillieren 150 Zollfahnder entlang der 350 Kilometer langen Grenze.

Jede Stichprobe hat Erfolg

So gut wie jede Stichprobe hat Erfolg. Seit der verstärkten Kontrolle stieg die Zahl der festgestellten Rauschgift-Delikte binnen Jahresfrist um fast die Hälfte, zeigt die Statistik des Landeskriminalamts.

"Das ist gigantisch, was da passiert", resümiert Thomas Wache, der Leiter der Düsseldorfer Rauschgift-Ermittlungskommission. An der Wand seines Büros ist ein von Hand gefertigtes, fein verästeltes Diagramm mit fremdländischen Namen und exotischen Telefonnummern zu sehen.

Das Netz einer 120-köpfigen zum großen Teil aus Schwarzafrikanern bestehenden Dealerbande, die Waches Truppe und der Zoll vor einem Monat auffliegen ließen. Nach einem Jahr harter Ermittlungsarbeit eigentlich ein Grund zur Freude, doch Wache sagt: "Das Geschäft wird wohl weiter gehen."

Für ihn ist der von Holland aus gesteuerte Drogenhandel in Europa ein politisches Problem. Innenminister Otto Schily zitierte seinen niederländischen Kollegen bereits im vergangenen Jahr nach Berlin, auch die EU macht Druck. Geschehen ist seither wenig, außer dass viele Koffie-Shops sich inzwischen direkt an die deutsche Grenze verlagert haben.

© SZ vom 20.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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