Bundesregierung bemüht sich weiter:Sache der Justiz, nicht der Regierung

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Nach dem Treffen von Steinmeier mit Außenminister Gül steht fest: Die türkische Regierung wird sich nicht in das Verfahren gegen Marco W. einmischen.

Nach einem Treffen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeyer mit dem türkischen Minister Abdullah Gül hat die türkische Regierung Hoffnungen auf eine rasche Freilassung Marco W.s gedämpft. "Als Regierungsvertreter können und wollen wir uns nicht einmischen in das Rechtsverfahren", erklärte Staatsminister Ali Babacan im Namen Güls.

Marco W. (Foto: Foto:)

Marco W. sitzt seit zehn Wochen hinter Gittern, weil er eine 13-jährige Britin sexuell missbraucht haben soll. Er erklärte, es sei zwar zu Zärtlichkeiten gekommen, aber nicht zum Sex.

Dass die türkische Regierung alles tun werde, damit der Jugendliche ein faires Verfahren bekommt, versicherte Staatsminister Babacan.

Steinmeier erklärte, er habe bei dem Treffen mit Babacan und einem Telefonat mit Außenminister Abdullah Gül die türkischen Behörden gebeten "mitzuhelfen, dass eine Lösung gefunden wird, damit der Jugendliche baldmöglichst wieder bei seinen Eltern sein kann".

"Ein wichtiger europäischer Grundsatz"

In den Gesprächen habe er auch die Haftbedingungen angesprochen, sagte der Bundesaußenminister. Er betonte aber: "Wir respektieren die Unabhängigkeit der türkischen Justiz."

Steinmeier und Babacan erörterten den Fall Marco W. am Rande von Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei in Brüssel. Babacan wies darauf hin, es sei "ein wichtiger europäischer Grundsatz", dass sich die Regierung in die Arbeit der Justiz nicht einmischen könne.

Die Staatsanwaltschaft in Antalya habe aber zugestanden, dass Marco W. "mit seiner Familie zusammenkommen kann". Die nächste Anhörung des Jugendlichen sei für den 6. Juli geplant.

Der 17-jährige Marco W. sagte gestern der türkischen Zeitung Hürriyet, dass er im Gefängnis von Antalya nicht schlecht behandelt werde.

Im Gefängnis habe er keinerlei Schläge oder Misshandlungen erlebt, sagte Marco der Hürriyet. Auch das Essen sei gut. Allerdings wäre es nicht schlecht, wenn es auch einmal "Pommes und Steak" geben würde.

Auch bei seinen Eltern, die er einmal die Woche sehen könne, habe er sich nicht über die Haftbedingungen beschwert. Allerdings habe er ihnen erzählt, wie schwierig es sei, mit so vielen Leuten einen Saal, eine Dusche und eine Toilette zu teilen.

Gut sei, dass es einen Innenhof gebe, der von morgens sieben bis abends acht Uhr geöffnet sei. Allerdings sei es in Antalya im Moment so heiß, dass man keine Lust habe hinauszugehen. Die Häftlinge könnten aber duschen, wann immer sie wollten.

Eine angebotene Verlegung in ein neues Gefängnis habe er abgelehnt. Im jetzigen Gefängnissaal habe er Freundschaften geschlossen. "Es gibt keinen anderen Deutschen, aber einen aus dem Kosovo, der Deutsch kann."

Er hoffe, sagte Marco der Hürriyet, dass die Wahrheit ans Licht komme und das Verfahren gegen ihn eingestellt werde. Er würde sich wünschen, dass die 13-jährige Engländerin die Wahrheit erzähle und die Anzeige zurückgezogen werde.

"Sie hat mehr erwartet"

Nach seinen Worten ging die Initiative von dem Mädchen aus. Die Engländerin habe ihn nachts in ihr Hotelzimmer gerufen. "Sie hat mich zuerst geküsst", sagte Marco.

Zum Geschlechtsverkehr sei es nicht gekommen. Als er das Zimmer verlassen habe, habe sie ihn böse angesehen. "Sie hat mehr von mir erwartet."

Da sich das Mädchen als 15-Jährige ausgegeben habe, habe er "einen Schock bekommen", als er später erfahren habe, dass sie erst 13 sei. "Wenn ich das gewusst hätte, wäre es ganz sicher nicht so weit gekommen."

Die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) warnte indes vor übertriebenem Druck auf die Türkei. Je mehr Druck auf die Justiz dort ausgeübt werde, desto mehr beharrt sie auf ihrer Unabhängigkeit, sagte Akgün am Dienstag dem Fernsehsender n-tv.

Druck ist ein schlechtes Mittel

"Druck ist immer ein schlechtes Mittel, wenn man etwas haben möchte, was nicht unbedingt den Regeln des Landes entspricht." Aber auf der anderen Seite müsse man natürlich auch der Türkei klar und deutlich sagen, dass eine Unverhältnismäßigkeit der Mittel vorherrsche. Deswegen müsse die Türkei auch ein Stück nachgeben.

Der Trierer Rechtswissenschaftler Hans-Heiner Kühne warnte davor, von deutscher Seite zu dominant aufzutreten. Sachlich völlig unangemessen sei es, der Türkei wegen der Inhaftierung des Schülers mit Sanktionen bei den EU- Beitrittsverhandlungen zu drohen. Derselbe Fall hätte auch in anderen EU-Ländern geschehen können.

Kühne rechnet mit einer schnellen Lösung des Falles. Weder die türkische Regierung noch die türkische Justiz seien daran interessiert, dass hier wirkliche Probleme entstünden, sagte Kühne am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. Der Wissenschaftler ist auch Berater des türkischen Außenministeriums in Menschenrechtsfragen.

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