BSE:Kreislauf des Wahnsinns

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Britische Forscher wollen die Ursache für BSE entdeckt haben. Demnach haben sich Rinder infiziert, weil sie Futter mit menschlichen Überresten aus Indien bekamen.

Es geht um Kadaver, Hirnerweichung und Wahnsinn. Um Kühe, Wasserleichen und Knochenmehl. Die Details, die erklären könnten, wie die Rinderseuche BSE entstanden ist, waren zwar noch nie appetitlich.

Rinder sollen sich nach der Colchester-These durch Leichenteile im Futtermehl mit BSE infiziert haben. (Foto: Foto: AP)

Die Theorie, die britische Mediziner in der heutigen Ausgabe des Fachmagazins The Lancet vorstellen, ist jedoch besonders makaber: Alan und Nancy Colchester behaupten, dass BSE entstanden sei, weil britische Kühe Futter bekamen, das mit menschlichen Überresten aus Indien verunreinigt gewesen sei.

Die kühne These der Forscher von den Universitäten in Canterbury und Edinburgh ist eklig - und sie irritiert. Denn erstens verkehrt sie die bisher angenommene Infektionskette in ihr Gegenteil: Demnach stecken nicht kranke Kühe den Menschen an, sondern der Mensch selbst infiziert die Kälber.

Keine Kontrolle

Zweitens schwingt bei aller wissenschaftlichen Beweisführung die kulturell-religiöse Kritik mit, die Bestattungsrituale der Hindus seien für den Ausbruch der Seuche im Westen verantwortlich.

Die britischen Ärzte bieten schlüssige Belege für ihre Hypothese an: In den sechziger und siebziger Jahren seien Hunderttausende Tonnen ganzer Tierknochen, zerstampfter Knochen und andere Kadaverteile aus Indien nach Großbritannien importiert worden.

Angeblich waren auch menschliche Leichenteile dabei. Tierfutter und Düngemittel wurden daraus hergestellt. Der ebenso unübersichtliche wie unappetitliche Handel wurde kaum überwacht. Keine Behörde kontrollierte, ob die Überbleibsel der Lebewesen sterilisiert wurden.

Unverbrannte Leichen in den Flüssen

An Flussufern und auf dem Land Knochen und Kadaver einzusammeln, sei für einige indische Bauern ein Zuerwerb, so die Lancet-Autoren. Da es sich nur eine Minderheit der Inder leisten könne, ihre Toten nach hinduistischem Brauch vollständig zu verbrennen, würden viele Leichen unverbrannt in Flüsse geworfen.

Allein in der heiligen Stadt Varanasi am Ganges werden jährlich etwa 40000 Tote bestattet. Vergangenes Jahr fanden Umweltschützer in zwei Tagen mehr als 60 Leichen an einem zehn Kilometer langen Ufer des Ganges.

Heilige Tiere

"Dass menschliche Überreste an Tierverwertungsanstalten und Futtermühlen in Europa geliefert wurden, ist belegt", schreiben die Colchesters. Der Rest ist Statistik: Etwa 150 Inder würden jährlich an der herkömmlichen Form der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (CJD) sterben, unter ihnen 120 Hindus. Aus der herkömmlichen kann die für Menschen besonders gefährliche Creutzfeld-Jakob-Variante (vCJD) entstehen. Sie entspricht BSE bei Rindern.

Einige der Creutzfeld-Jakob-Toten in Indien seien - über Umwege und in Einzelteilen - in europäischen Futterfabriken gelandet. Mit der Nahrung hätten britische Kühe die infizierte Kost aufgenommen, die bei ihnen BSE auslöste. Seit 1986 gab es allein in Großbritannien 180 000 BSE-Fälle. Weltweit wurden bisher 164 vCJD-Erkrankungen bei Menschen registriert.

Die indische Neuropathologin Susarla Shankar weist im Lancet die Hypothese der Colchesters zurück: In Indien sei "kein einziger BSE-Fall dokumentiert". Das spricht aber nicht gegen die Infektionstheorie. Schließlich sind Kühe in Indien heilig. Die wiederkäuenden Vegetarier werden dort nicht mit Tiermehl aus geschredderten Kadaverteilen gefüttert und zwangsweise zu Fleischfressern gemacht.

© SZ vom 2.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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