Brustkrebsvorsorge:Pfusch bei Mammografien im Ruhrgebiet

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Die Bildschirmdarstellung einer Magnetresonanz-Mammografie kann winzig Tumoren aufzeigen. (Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)

2,7 Millionen Frauen nehmen jährlich an einem Brustkrebsvorsorge-Programm teil. Nach Recherchen von SZ, WDR und NDR hat ein Essener Radiologe das teure Programm im Ruhrgebiet jahrelang ohne erforderliche Qualifikation geleitet - es könnte zu schweren Fehlern gekommen sein.

Ein Essener Radiologe hat über Jahre das Brustkrebs-Vorsorgeprogramm für die Region Essen/Mülheim/Oberhausen ohne eine erforderliche Qualifikation geleitet. Der Verantwortliche für das Mammografie-Screening in der oben genannten Region, der Arzt K., konnte nach Recherchen von NDR/WDR und Süddeutscher Zeitung wiederholt nicht die geforderte Anzahl Biopsien (Entnahme und Untersuchung von Gewebeproben) nachweisen. Das bemängelte mehrfach das Referenzzentrum Münster als zuständige Kontrolleinrichtung.

Seit Ende 2010 wiesen auch mehrere Ärzte aus der betroffenen Region bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein auf die Mängel hin und beschwerten sich über mögliche Fehldiagnosen des Arztes. Der jährliche Nachweis von mindestens 50 Biopsien ist Voraussetzung für die Leitung einer Screening-Einheit in dem bundesweiten Vorsorgeprogramm.

"Gefahr für die Frauen"

Doch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein ließ K. bis Herbst 2013 weitermachen. "Man hätte viel früher eingreifen müssen", sagte die renommierte Hamburger Radiologin Ingrid Schreer, die Fortsetzung des Screenings habe eine "Gefahr für die Frauen" dargestellt. K., das Referenzzentrum und die Kassenärztliche Vereinigung wollten Fragen zu den Vorwürfen nicht beantworten.

K.s mangelnde Erfahrung wurde ab 2010 deutlich, als er anstelle seines ausgeschiedenen Praxispartners die Biopsien nun eigenhändig durchführen musste. Nach Aussagen von Mitarbeiterinnen beherrschte er die vorgeschriebenen Methoden nicht, musste Unterstützung von anderen Ärzten und Gerätetechnikern anfordern. Dabei soll es mehrfach zu Fehlern bei Biopsien gekommen sein, durch die verdächtige Befunde abgeklärt werden.

Die Vorsitzenden und Justitiare der Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein wurden seit 2010 immer wieder von alarmierten Ärzten aus der Region auf mögliche Diagnosefehler und das Fehlen der Qualifikationen K.s aufmerksam gemacht. Das Referenzzentrum stellte Mängel fest, ließ K. aber unter Auflagen zunächst weitermachen.

Erst im Mai 2013 entzog die Kassenärztliche Vereinigung dem Radiologen zwar die Genehmigung wegen gravierender Mängel und Gefährdung des Patientenwohls mit sofortiger Wirkung. Doch K. durfte wenige Tage später seine Tätigkeit wieder aufnehmen. Die KV bewertete das öffentliche Interesse an einer Fortsetzung des Screenings höher als die "möglicherweise für eine kurze Zeit gegebene Gefahr für Patienten", geht aus einem Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf hervor. Erst Ende 2013 gab K. die Verantwortung für das Screening ab, praktiziert aber weiter als Radiologe.

Erfolg des Screenings umstritten

Man hätte aus den festgestellten Mängeln Konsequenzen ziehen müssen, sagte Schreer NDR/WDR und SZ mit Bezug auf die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein und das Referenzzentrum Münster. Nun sei nicht klar, ob über Jahre hinweg die notwendigen Biopsien in der Region durchgeführt wurden.

Eine Alternative, etwa die Übernahme des Screenings durch benachbarte Einheiten, "wäre sicherlich gefunden worden, wenn man es denn gewollt hätte", sagte die Professorin und Ehrenpräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Senologie. Schreer sprach von einem "Einzelfall" im insgesamt sehr gut kontrollierten Mammographie-Screening, den sie nie für möglich gehalten hätte und der nun das Vertrauen der Frauen in das Vorsorgeprogramm schädigen werde.

Der Erfolg des 2005 bundesweit eingeführten Mammografie-Screenings ist unter Experten seit Jahren umstritten. An dem Brustkrebs-Vorsorge-Programm nehmen in Deutschland jährlich 2,7 Millionen Frauen zwischen 50 und 69 teil. Die gesetzlichen Krankenversicherungen wenden dafür nach eigenen Angaben 220 Millionen Euro im Jahr (Stand 2012) auf.

© SZ vom 15. Mai 2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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