Brustkrebs:Kurzsichtige Röntgenärzte

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Radiologen empfehlen Mammographie, der Nutzen ist allerdings fraglich.

Von Werner Bartens

Es ist ein ungedeckter Scheck, den Deutschlands Röntgenärzte am Freitag ausgestellt haben: Auf ihrem Kongress in Wiesbaden prophezeiten sie, dass durch die Einführung des Mammographie-Screenings im kommenden Jahr große Fortschritte in der Früherkennung von Brustkrebs zu erwarten seien.

Gegen bessere Chancen auf Heilung kann niemand etwas haben: Brustkrebs ist das häufigste Tumorleiden bei Frauen; pro Jahr erkranken hier zu Lande 48000 Frauen neu an dem Tumor, fast 18000 sterben daran. Doch die Erwartung der Radiologen leuchtet bei näherer Betrachtung nicht ein.

Sterblichkeit sinkt "nur" um 0,1 Prozent

Zwar gingen Fachleute bis vor kurzem davon aus, dass durch eine Reihenuntersuchung der Brust vom 50. Lebensjahr an die Sterblichkeit sinkt. Nach ihrer Schätzung reduziert sich die Zahl der Todesfälle bei flächendeckender Mammographie um 25 Prozent. Aber diese 25 Prozent geben nur die "relative Risikoreduktion" wieder - und führen deshalb in die Irre.

Ein Zahlenbeispiel belegt dies: Von 1000 Frauen sterben ohne Mammographie-Screening in den kommenden zehn Jahren vier an Brustkrebs. Mit Screening würden im selben Zeitraum drei von 1000 an Brustkrebs sterben. Zwar bedeutet "drei statt vier" tatsächlich eine Senkung um 25 Prozent.

Absolut aber, also auf die Zahl der 1000 untersuchten Frauen bezogen, sinkt die Sterblichkeit durch Mammographie "nur" um 0,1 Prozent. Das muss abgewogen werden gegen mögliche Nachteile der Untersuchung wie die Strahlenbelastung und gegen die unnötigen Ängste, denen man viele gesunde Frauen aussetzt.

996 von 1000 Frauen bringt Mammographie nichts

Denn umgekehrt bedeuten diese Zahlen auch: 996 von 1000 Frauen profitieren nicht unmittelbar von der Mammographie, weil sie in den nächsten zehn Jahren auch ohne die Untersuchung nicht an Brustkrebs sterben würden. Manche von ihnen kommen durch das Screening sogar zu Schaden.

Denn selbst mit Mammographie werden auf der einen Seite immer wieder Tumoren übersehen und auf der anderen Seite Gewebe-Veränderungen gefunden, die sich nach weiterer Diagnostik dann doch als harmlos herausstellen. In diesem Fall muss den Frauen eine Gewebeprobe entnommen werden - insgesamt etwa 200000 Mal pro Jahr.

Heikle Bilanz

Zudem deckt die Mammographie auch "Mikroverkalkungen" auf, von denen sich viele nicht zu einem Tumor entwickeln. Manche wachsen nie oder so langsam zu einem gefährlichen Geschwür heran, dass die Frauen im Alter nicht an, sondern mit den Zellveränderungen sterben. Diese Entwicklung aber lässt sich nicht genau vorhersagen.

Deshalb werden die Frauen im Zweifelsfalle aggressiv behandelt. Manchen wird dadurch zwar geholfen, andere aber müssen Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapien über sich ergehen lassen, die nicht ihr Leben, sondern ihr Leiden verlängern. Vorsorge kann eben leider auch bedeuten, dass Sorgen vorverlegt werden.

Die Bilanz der Mammographie ist daher heikel: Dänische Forscher haben in den vergangenen Jahren alle bisherigen Studien dazu ausgewertet. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Nutzen der Röntgenreihenuntersuchung womöglich deutlich überschätzt wird. Wenn Radiologen dennoch optimistische Prognosen stellen, ist das ein frommer Wunsch, wissenschaftlich abgesichert ist er bisher nicht.

© SZ vom 22.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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