Brust-OP:Gut gefüllt ins Wasser

Lesezeit: 6 min

Brustimplantationen gelten heute für viele Frauen als normale Option. Doch noch immer haben sie zuweilen böse Folgen.

Alexa Hennig von Lange

Im siebten Jahrhundert vor Christus fing es in Indien mit der plastischen Chirurgie an - aus einer Not heraus. Per Gesetz verurteilten Dieben und Ehebrechern wurde die Nase abgeschnitten. Mit so einer Verstümmelung sahen die Delinquenten nicht gut aus; sie fielen durchs soziale Netz. Um sie zu resozialisieren, spezialisierte sich der Arzt Sishruta auf die Wiederherstellung des entfernten Gesichtsteils, indem er Hautlappen aus der Stirn mit Hilfe eines blutversorgenden Gefäßstiels aus dem Nasen-Augen-Winkel zu provisorischen Riechorganen formte. Der Eingriff erfolgte selbstverständlich ohne Betäubung und Desinfektion.

Eine Art Pionierin beim Unterfüttern von Brüsten: Pamela Anderson. (Foto: Foto: AP)

Glücklicherweise wurden die OP-Techniken über die Jahrtausende verfeinert; heute verlaufen die Eingriffe sehr viel schonender als dazumal. Was allerdings nicht bedeutet, dass sie keine schlimmen Folgen nach sich ziehen können. Ende der achtziger Jahre gab es eine US-Fernsehtalkshow, "Sally", die in Deutschland über Kabel zu empfangen war. In einer dieser Sendungen saßen nur Frauen mit unglücklichen Gesichtern auf der Bühne.

Sie alle hatten Pech mit ihrer Brustvergrößerung. Einer von ihnen war sogar das Implantat implodiert. Weinend hielt sie ein Foto in die Kamera, auf der eine Art zerbombte Hügellandschaft zu sehen war. Sally tröstete: "Danke, Monica. Wir fühlen alle mit dir. Weißt du, es ist wichtig, dass alle Frauen der Welt wissen, was passieren kann, wenn sie sich auf Brustimplantate einlassen."

Schier endloser Aufschwung

Trotz der Risiken erlebt die Beauty-Medizin seit Anfang der neunziger Jahre einen schier endlosen Aufschwung. In Deutschland hat sich die Zahl der Brustvergrößerungen in den vergangenen fünfzehn Jahren verzehnfacht. "Die Leute wollen sich im Hier und Jetzt belohnen. Sie suchen das Glück im Diesseits, warten nicht mehr geduldig auf die Erlösung im Jenseits, wie das noch vor 50 Jahren der Fall war." So begründet Marita Eisenmann-Klein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirugie den Wunsch nach einer perfekten Oberweite.

"Über die Medien", sagt Eisenmann-Klein, "wird das eigene Körpergefühl gefördert. Das heißt, die Kritik am eigenen Aussehen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Menschen sind bereit ein gewisses Risiko einzugehen, um ihre persönliche Identität zu entwickeln." Und die orientiert sich bekanntermaßen an bereits operierten Prominenten, die gerade aufgrund ihrer künstlichen Formen Berühmtheit erlangten.

Als eine Art Pionierin unter diesen Berühmtheiten gilt Pamela Anderson. Sie war jedoch keineswegs die erste Frau, die sich die Brüste unterfüttern ließ. Schon Anfang der sechziger Jahre gelang dem US-Amerikaner Thomas Cronin mit gelgefüllten Silikonprothesen die erste Brustvergrößerung. Diese Möglichkeit, über die sich damals vor allem Brustkrebspatientinnen freuten, wurde zusehends von komplexbehafteten Privilegierten genutzt.

Höhere Lebensqualität mit größeren Brüsten

Speziell in Amerika ließ, wer genug auf der hohen Kante hatte, in vielen Fällen an sich herumschnippeln. Doch längst pochen auch in Europa weniger Begüterte auf ihr Brustgestaltungs-Recht. Schließlich gilt, wie es in einer Broschüre des Schweizer Bundesgesundheitsamtes heißt, "die weibliche Brust als Zeichen weiblicher Identität", die "eine wichtige Aufgabe im Leben einer Frau erfüllt".

Eine neue Brust, diagnostiziert Marita Eisenmann-Klein, koste heute nicht mehr als den Gegenwert von "ein bis zwei Urlauben". Dafür gewinne die Operierte an Lebensqualität: "Sie traut sich ins Freibad."

Errungene Lebensqualität durch Freibadbesuche ist offenbar ein nicht zu unterschätzender Aspekt im Leben vieler Frauen. In nahezu jeder Fernsehsendung über Brustvergrößerungen taucht tatsächlich jene clusterhafte Begründung auf: "Ich wollte endlich Lebensqualität. Ich wollte endlich einen Badeanzug anziehen können und ins Freibad gehen."

Allerdings wird nicht jede Frau auf diese Weise glücklich. Ende 2002 erschütterte die britische Zeitung News of the World mit der Nachricht, Courtney Loves Hund sei an einem ihrer Brustimplantate erstickt - und zwar an dem wieder herausoperierten, das sie - warum auch immer - mit nach Hause genommen hatte.

Lolo Ferrari, Brustumfang: 130 cm - sie starb bereits im Alter von 30 Jahren. (Foto: Foto: dpa)

Sogar die sogenannte XXL-Blondine Pamela Anderson schockierte die Welt vor einigen Jahren mit der Entnahme ihrer Implantate, und die Fans fragten sich: "Was bleibt dann noch von ihr übrig?" Offenbar nicht viel. Denn mittlerweile ist Pamela Anderson wieder gut gefüllt - so gut, dass ihre neue, extrem künstlich aussehende Brust als Bekleidungsstück ausreichen muss: Kürzlich gab sie auf einer Yacht vor St. Tropez ihrem Verlobten Kid Rock das Jawort - mit nichts als einem microkleinen weißen Bikini bedeckt.

Gut, könnte man sagen, Pamela Anderson ist eben irgenwie "camp" oder sogar "porno". Victoria Beckham hingegen ist nur "posh". Dennoch scheint auch sie die Auffassung zu vertreten, dass die künstlich gefüllte Brust an sich schon ein Outfit darstelle. So lief sie vor einigen Wochen, mit ihrem David an der Hand, am Hafenbecken von St. Tropez dem Sonnenuntergang entgegen. Notdürftig bekleidet.

Aber ist das noch Mensch?

Lediglich eine Art Satinstreifen umwand aufs Transparenteste ihre Oberweite. Zeuge des Abendspaziergangs wurde mit den kräftig knipsenden Paparazzi auch der Rest der Welt. Die Fotografen werden sich gefreut und gedacht haben: Man sieht ja alles! Nur: was? Sundashgebräunte Haut, unter der zwei große Kissen klemmten. Aber ist das noch Mensch?

Silikon ist ein sehr stabiler, chemisch wenig reagierender Kunststoff. Nach erfolgter Implantation können dennoch Gedächtnis- und Orientierungsprobleme, Schlafstörungen, Atemnot, außergewöhnliche Müdigkeit und Erschöpfung bei der Patientin auftreten, heißt es in der erwähnten Broschüre des Schweizer Bundesgesundheitsamtes. Ohnehin erzeugt jedes eingesetzte Implantat eine sogenannte Fremdkörperreaktion. Diese kann zu schmerzhaften Verhärtungen und Formveränderungen führen, die eine Entfernung oder einen Ersatz des Implantates notwendig machen.

"Jede dritte Frau wird im Laufe ihres Lebens nachoperiert", gibt auch die Ärztin Eisenmann-Klein zu. Wobei eine neue Langzeitstudie aus den USA beweist, dass die Verkapselungen, auch Kapselfibrose genannt, weniger mit dem Silikonkissen oder der Operation an sich zu tun haben. Viel eher stehen sie in Zusammenhang mit der Oberflächenbeschaffenheit der Implantate.

Die Studie betrifft fast dreieinhalbtausend Implantate unterschiedlicher Typen, die zwischen 1979 und 2004 bei 1529 Frauen eingesetzt wurden. Dabei zeigte sich, dass unter Berücksichtigung einer Implantationszeit von zehn Jahren Patientinnen mit Mikropolyurethan-Schaum beschichteten Implantaten wesentlich geringere Kapselfibrose aufwiesen als Patientinnen mit glattwandigen oder silikontexturierten Kissen.

Dennoch: Implantate altern und nützen sich ab. Ein Silikonbeutel kann reißen und das Füllmaterial ins umliegende Gewebe austreten. Umgekehrt kann aber auch Gewebsflüssigkeit durch den Beutel in das Implantat eindringen, was zu einer schmerzhaften Vergrößerung des Implantates führen wird. Diese Tatsachen scheinen dennoch die wenigsten Entschlossenen von ihrem Vorhaben abzuhalten.

"In den letzten Jahren hat sich die Brustvergrößerungsrate auf einem relativ hohen Niveau eingependelt", weiß Eisenmann-Klein. Und noch nie habe sie erlebt, dass eine Kundin das Implantat plötzlich wieder loswerden wollte, obwohl so "eine Operation die eigene Identität verändert." Der Ego-Kick nach erfolgter Operation muss also enorm sein, wenn er dazu führt, dass die Betroffenen zwei Fremdkörper unter der eigenen Haut akzeptieren.

So gehört zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung der Silikonbusen immer noch zur Standardausstattung einer modernen Sexbombe. Und so eine möchte offenbar jede gern sein: begehrt, umworben, nie mehr allein. Sollte man denken. Die Tatsachen könnten uns allerdings eines Besseren belehren: Mindestens ein weiblicher Sexstar musste die massive Vergrößerung seiner Oberweite mit seinem Leben bezahlen.

130 Zentimeter Brustumfang

Die bedauernswerte Lolo Ferrari, die ihre Ballon-Brüste auf 130 Zentimeter Umfang aufpumpen ließ, was ihr den Beinamen "Miss Airbag" einbrachte, starb Anfang März 2000, mit noch nicht einmal 30 Jahren. Ihr Ehemann, der Schrotthändler Eric Vigne, hatte Lolo in ihrem Vorhaben unterstützt, in die Porno-Branche einzusteigen. Zu diesem Zweck entwickelte er am Computer aus Jayne Mansfield, Brigitte Bardot, Ursula Andress und Barbie eine von ihm als sexy empfundene Kunstfigur, nach deren Vorbild Lolo sich umoperieren ließ.

Bald verfielen die beiden in eine Art Vergrößerungsrausch, der Lolo nicht nur ins Grab, sondern vorher noch ins Guinness-Buch der Rekorde brachte. Weil sich am Ende kein Schönheitschirurg mehr fand, der die Verantwortung für die finale Vergrößerung übernehmen wollte, engagierte der Ehemann einen Flugzeugingenieur, der für Lolo die Maximum-Oberweite von 130 Zentimetern konstruierte und sie bis zum Platzen mit Kochsalzfüllung füllte. Das Gewicht der Füllmasse drückte auf die Lunge.

So stand Lolos Körper in seinen überdimensionierten Proportionen für eine Grenzüberschreitung, die den verfrühten Tod ebenso von Anfang an in sich einschloss wie die Einsamkeit einer Frau, die offenkundig zum willenlosen Fetisch ihres Mannes geworden war.

Doch solche Obsessionen sind eher selten. Marita Eisenmann-Klein glaubt: "Der Wunsch nach einer überdimensionierten Brust kommt in Deutschland kaum vor. Die Frauen wissen, was sie wollen. Sie brauchen keinen Mann, der die Größe vorgibt." Ohnehin wird die Patientin vor der Operation dazu angehalten, sich der Wunschgröße entsprechende Kissen in den BH zu stecken, um sich daran zu gewöhnen. Das dringende Bedürfnis nach Verkleinerung soll mit diesem Trick minimiert werden. In den USA ist man noch nicht soweit. Zwanzig Prozent der operierten Frauen lassen ihre Brüste anschließend wieder verkleinern.

Quer durch alle sozialen Schichten

Tatsächlich gelang es dem Kunstbrust-Wahnsinn über all die Jahre nicht, die Menschheit in Angst und Schrecken zu versetzen. Viele Frauen akzeptieren und wünschen sich diese abnormen Veränderungen, sind davon begeistert, geradezu angetörnt. Und es gibt offenbar sogar Männer, die silikongefüllte Brüste gerne betasten.

Überhaupt entspricht das Schönheitsideal des Menschen seit jeher dem Unerreichbaren. In den Teilen der Welt, in denen das Sattwerden nicht als Selbstverständlichkeit empfunden wird, gelten nach wie vor dicke Frauen als schön.

Die Schönheits-Chirurgie macht zu unserem Erstaunen und zu unserer Begeisterung vieles möglich. Frauen, die sich zu einer Operation entschließen, entstammen sämtlichen gesellschaftlichen Schichten. Und dennoch kann einen schon das Gruseln ankommen angesichts des leicht panischen Tons, in dem sich das Schweizer Gesundheitsamt an diejenigen wendet, die nach einer Brustimplantation die ersten Beschwerden verspüren: "Melden Sie sich unverzüglich bei Ihrem Operateur oder allenfalls bei anderen Spezialistinnen und Spezialisten und bestehen Sie auf eine sofortige Abklärung!"

© SZ am Wochenende vom 9. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: