Bruchlandung in Toronto:"Als wir das erste Mal aufsetzten, gab es sogar Applaus"

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Beim Landeanflug der Unglücksmaschine von Toronto war trotz des starken Regens niemand beunruhigt. Erst danach geriet der Airbus ins Schleudern und schoss 200 Meter über die Landebahn hinaus, wo er zerbrach und verbrannte. Die Passagiere hatten enormes Glück.

Eine große Passagiermaschine steht in Flammen, schwarzer Rauch steigt vom Flughafen der kanadischen Metropole Toronto in den Himmel. Auf dem nur wenige Meter entfernten Highway staut sich der Verkehr.

Passagier Johnny Abedrabbo erzählt den Hergang des Unfalls aus seiner Sicht. (Foto: Foto: AP)

Als die Fernsehbilder von der Notlandung des Airbus A340 am späten Dienstagabend um die Welt gingen, befürchteten viele das Schlimmste. Doch wie durch ein Wunder gelang es allen 309 Insassen, sich rechtzeitig aus dem brennenden Flieger zu retten. "Wir sind um unser Leben gerannt", berichtete der Passagier Olivier Dubois. "Es war schrecklich."

Zunächst alles nach Plan

Wegen schwerer Unwetter waren am Dienstag die Starts und Landungen am Pearson International Airport in Toronto bereits zeitweise abgesagt worden. Als der aus Paris kommende Jet der Air France mit der Flugnummer 358 um 16.00 Uhr Ortszeit (22.00 MESZ) dann schließlich doch zur Landung ansetzte, schien zunächst alles nach Plan zu verlaufen.

"Das Flugzeug näherte sich zuerst normal der Landebahn", sagte Corey Marx, der die Ereignisse vom Boden beobachtete. Irgendwann heulten jedoch die Motoren auf und der Airbus raste über die Landebahn hinweg in eine Senke, die das Flughafengelände von dem viel befahrenen Highway 401 trennt. Dort brach die Maschine auseinander.

"Wir wollten schon hinüberlaufen um zu helfen, da schossen auch schon die Flammen hoch." Passagiere und Crew des Airbusses erlebten innerhalb der wenigen Minuten zwischen Landeanflug, Bruchlandung und Flucht ein Drama.

Ruhiger Flug

Dabei war der Flug zunächst ruhig verlaufen, wie der französische Zeitungsjournalist Gilles Medioni berichtete, der als Passagier in Reihe 34 saß. "Der Pilot sagte nur an, dass sich die Landung wegen Gewittern um rund zwanzig Minuten verzögern werde."

Als die Maschine dann zur Landung ansetzte, war trotz des starken Regens niemand beunruhigt. "Als wir das erste Mal aufsetzten, gab es sogar vereinzelt Applaus. Das war wohl verfrüht", sagte Medioni.

Erst als die Maschine nach mehreren heftigen Stößen ins Schleudern geriet, wurden Schreie laut. "Die Leute haben erst da gemerkt, dass wir abstürzen." Dem Piloten gelang es nicht, die Maschine zum Halten zu bringen.

"Die waren genauso überrascht wie wir"

"Wie auf einer Achterbahnfahrt" sei der Airbus in die rund 200 Meter hinter der Landebahn gelegene Senke gerast, berichtete der Passagier Roel Bramar. "Dann kam das Flugzeug abrupt zum Stehen." Notanweisungen der Crew habe es während des Anflugs nicht gegeben. "Die waren genauso überrascht wie wir."

Doch nach der Bruchlandung sei alles sehr schnell gegangen, erzählte Medioni. "Wir wurden angewiesen, ins Heck des Flugzeuges zu gehen, wo eine Notrutsche war." Im Innern des Flugzeuges habe sich Rauch ausgebreitet, es roch nach Kerosin. "Das Kabinenpersonal wies uns an zu springen, und wir sind alle losgesprungen und weggerannt", berichtete der Passagier Olivier Dubois im Fernsehsender CNN.

Die Leute seien in Panik gewesen, weil sie Angst gehabt hätten, dass das Flugzeug explodiert.

"Alle hatten Angst"

"Wir kletterten durch den Schlamm die Senke hinauf. Viele Leute verloren ihre Schuhe", berichtete Medioni. "Wir fanden uns auf einer Autobahn wieder. Das Flugzeug brannte, und wir waren noch nicht sehr weit weg. Alle hatten Angst."

Noch mehr als eine Stunde nach dem Absturz kämpften die Feuerwehrleute gegen die lodernden Flammen.

Der Airbus A340 gilt als eines der sichersten Flugzeuge weltweit. Technisches oder menschliches Versagen wurden als Unfallursache denn auch zunächst ausgeschlossen.

Windstoß oder Aquaplaning als Unfallursache möglich

Mehrere Passagiere berichteten, die Maschine sei von einem Blitz getroffen worden. Experten hielten es auch für möglich, dass der Airbus möglicherweise von einem Windstoß erfasst worden sei oder wegen Aquaplanings die Spur verloren habe.

Nachdem in ersten Berichten von mehr als 200 möglichen Todesopfern die Rede gewesen war, zeigte sich der kanadische Verkehrsminister Jean Lapierre erleichtert: Die Rettung aller 297 Passagieren und zwölf Crewmitglieder grenze an "ein Wunder".

Nur 43 Menschen mussten wegen leichter Verletzungen behandelt werden. Die "besonnene Reaktion" der Crew habe dazu beigetragen, eine Katastrophe zu verhindern, lobte "Air France"-Direktor Jean-Francois Colin in Paris.

Faradayscher Käfig

Über die Unglücksursache sagte der weitere Air-France-Direktor Pierre-Henri Gourgeon auf einer Pressekonferenz in Paris, dass es auf der Piste sehr viel Regenwasser und starke Windböen gegeben habe. Für wenig wahrscheinlich halte er dagegen wegen des so genannten Faradayschen Käfigs, der Flugzeuge umgibt, dass ein Blitz in eine Tragfläche eingeschlagen habe und das Unglück auslöste.

Auch der kanadische Meteorologe und Pilot Nick Czernkovich glaubt, dass Aquaplaning eine Rolle beim Unglück gespielt hat. Zudem hat es laut Czernkovich bei der Landung auch eine dramatische Änderung in der Windrichtung gegeben. Der Gegenwind wurde zum Rückenwind.

"Flugzeuge landen in der Regel in den Gegenwind hinein", erklärte er dem kanadischen Fernsehen CBC. Rückenwind schiebe die Maschine dagegen "viel schneller den Boden entlang". Experten sprechen in dem Fall von "Schwerwinden", die das Flugzeug nach unten drücken.

"Schlimme Achterbahnfahrt"

Das deckt sich mit der Zeugenaussage von Roel Bramer, der in der letzten Reihe des Flugzeugs saß und dem US-Sender CNN sagte: "Der Landeanflug war eine schlimme Achterbahnfahrt."

Beobachter halten es für möglich, dass Informationen über den Windwechsel zu spät für die Piloten des Flugs AF 358 kam. Tatsächlich hatte der Copilot, der am Steuer saß, wegen starker Windböen einen ersten Landeversuch abgebrochen und war wieder durchgestartet. Als er zum zweiten Landeversuch ansetzte, fiel nach Angaben des Passagiers Bramer in der Maschine das Licht aus.

Der Aviatikexperte Joseph de Cruz geht davon aus, dass die Untersuchung einige Zeit dauern und zu dem Ergebnis kommen wird, dass nicht nur ein einziger Faktor, sondern ein Bündel von Ursachen das Unglück auslösten. Auch de Cruz sagt, dass ein Blitzschlag allein sicher nicht zu einem Unglück dieser Tragweite führe, da die Metallhülle der Maschine und die Gummipneus die Passagiere schützten.

© SZ vom 04.08.05/sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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