Briefbomber:"Der arme Hansi!"

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Wer war Johann L.? Nach dem spektakulären Selbstmord des Briefbombers rätselt man in seiner Heimatgemeinde Hutthurm über die Motive des 22-Jährigen.

Von Hans Kratzer

Was den 22-jährigen Johann L. dazu getrieben hat, Menschen mit Briefbomben zu bedrohen, wird nach seinem Selbstmord kaum noch herauszufinden sein.

Ein von der Kriminalpolizei Passau zur Verfügung gestelltes Foto zeigt einen Karton mit Bombenbau-Utensilien, die bei Johann L. sichergestellt wurden. (Foto: Foto: AP)

Nach dem bisherigen Ermittlungsstand hat er nichts hinterlassen, was auf ein Motiv hindeuten könnte.

Nur eines steht wohl fest: Nachdem ihm die Vorladung zum Gentest ins Haus geflattert war, wusste er, dass er in der Falle saß. Er hatte nur noch eine Hoffnung: Dass möglichst wenig Hutthurmer zum Speicheltest erschienen und damit die Bemühungen der Polizei, den Täterkreis möglichst eng zu fassen, vergeblich seien.

Es spricht einiges dafür, dass sich der junge Mann am Freitag Mittag zur Hutthurmer Schulturnhalle begab, um sich ein Bild von der Aktion zu machen.

Er wusste, dass er verloren hatte

Als dort um die Mittagszeit mehr als 60 Beamte des Landeskriminalamts (LKA) und der Kripo Passau den Startschuss für einen der größten DNS-Tests in der bayerischen Kriminalgeschichte gaben, standen die Männer aus Hutthurm bereits Schlange. Johann L. wusste, dass er verloren hatte.

Nach Angaben zweier Augenzeugen war er gegen 14 Uhr zu Fuß von Hutthurm über die Felder in Richtung des zwei Kilometer entfernten Auretzdorf unterwegs. Etwas später teilte ein Landwirt seinem Nachbarn mit, dass auf dessen Wiese am Dachsberg-Wald Rauch aufsteige.

Stutzig geworden, begaben sich der Bauer und seine Frau sofort dorthin und machten eine grausige Entdeckung. Vor ihnen lag die Leiche des jungen Mannes, das Gesicht rot, der Körper rußschwarz, die Beine eigenartig verdreht.

Er hatte sich mit einer selbst gebastelten Gaskartusche in die Luft gesprengt - wobei er von der Anhöhe, die er als Todesort gewählt hatte, einen letzten Blick auf sein Heimatdorf Ramling richten konnte.

Nach einem DNS-Vergleich des Leichengewebes mit Speichelresten von den Kuverts der Briefbomben stand fest: Johann L. war der Mann, der seit April insgesamt neun Sprengsätze an Politiker und Behördenleiter in Bayern verschickt hatte, wobei in einem Fall eine Sekretärin leicht verletzt worden war.

Die Mutter stirbt

Bis zuletzt hatte es kaum jemand aus der 6000 Einwohner zählenden Bayerwald-Gemeinde Hutthurm für möglich gehalten, dass der Attentäter aus ihren Reihen komme. Als Mitarbeiter des LKA am Freitag Abend mit einem Foto des Toten durch den Ort zogen und um Hinweise baten, hatten sie nur wenig Erfolg.

So gut wie niemand kannte den Mann, dessen Identität und tragische Geschichte sich erst am Samstag nach und nach herausschälten. Und die wenigen, die von ihm wussten, verteidigten zwar die Person, aber nicht die Tat. "Der arme Hansi!"

Der 22 Jahre alte Johann L. aus Niederbayern, der sich am Freitag auf einem Feld in der Gemeinde Hutthurm in die Luft gesprengt hat. (Foto: Foto: AP)

Ein Schlüssel für seine tragische Entwicklung ist wohl der frühe Tod der Mutter. Im Jahre 1990 war sie nach einem harmlosen Unfall auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Tittling jäh gestorben. Der achtjährige Johann saß damals auf dem Rücksitz ihres Autos.

"Bei der Beerdigung hab ich den Buben zum letzten Mal gesehen", sagt Anna Wagner, die hier seit mehr als 50 Jahren ein Wirtshaus betreibt und jeden Hutthurmer persönlich kennt. Für die meisten Einheimischen aber war Johann L. ein Unbekannter.

"Man hat ihn nie gesehen"

Das liegt daran, dass er zurückgezogen in dem rund drei Kilometer von Hutthurm entfernten Dorf Ramling lebte. Zusammen mit Vater und Tante hauste er auf dem etwas heruntergekommenen Wirtshansl-Anwesen. "Man hat ihn nie gesehen, er hatte mit niemanden Kontakt", erzählt die 16-jährige Eva, die sich am Samstag Abend mit ihren Freunden am Buswartehäuschen die Zeit vertreibt. Von ihrer älteren Schwester weiß sie jedoch, dass Johann L. schon als Schüler ein Außenseiter war.

Selbst an den Stammtischen der Hutthurmer Wirtshäuser ist der Informationsfluss spärlich. Die Männer reden mehr über den FC Bayern als über den spektakulären Fall, der ihren beschaulichen Markt in die Schlagzeilen katapultiert hat. Seine Urlaubsgäste aus Köln hätten angerufen und gefragt, ob er schon eingesperrt sei, erzählt Hermann H., langsam bricht das Eis am Stammtisch des Bräustüberls.

Dass er kein Auto besessen habe, weiß einer, und dass er nicht einmal "ein gscheits Gewand" gehabt habe. Und auch keine Arbeit. Nach Schule und Zivildienst in einem Pflegeheim sei er nur noch zuhause vor dem Fernseher gehockt.

Er habe jeglichen Kontakt vermieden, nur mit Kindern habe er öfter gespielt. Und auf seinen Wanderungen durch die Wälder habe er einen mit Steinen beladenen Rucksack mitgeschleppt, habe man gehört.

Auch der Passauer Oberstaatsanwalt Wolfgang Neuefeind beschreibt Johann L. auf einer Pressekonferenz als Einzelgänger, der sich oft im Wald aufgehalten habe und bastlerisches Geschick besaß.

Bei der Durchsuchung des Zimmers staunten die Beamten nicht schlecht: Der Raum wollte so gar nicht zum sonstigen Erscheinungsbild des Hauses passen. "Da war alles picobello aufgeräumt." Penibel waren in Kisten, Schachteln und Schubläden Utensilien für das Bombenbasteln aufbewahrt: Gaskartuschen, Klebebänder, Schrauben, Knopfzellen, Draht, Batterien und Nägel. "Das war eine voll funktionsfähige Bombenwerkstatt", sagt Detlef Puchelt vom LKA.

In einer Schachtel lagen außerdem Zeitungsartikel, mit denen Johann L. offensichtlich Textbausteine fertigen wollte. Am Sonntag stand dann fest, dass er die nächste Bombe schon gebaut hatte. Dazu hatte er ein Glühlämpchen präpariert, die Drähte waren schon angelötet. Zündschnur und Sprengpulver waren vorbereitet.

Josef Geißdörfer, der Leiter der Ermittlungsbehörde beim LKA, warnte deshalb alle Politiker und Behörden davor, sich bereits in Sicherheit zu wiegen. "Wir können nicht ausschließen, dass der Täter vor seinem Ableben noch Briefbomben auf den Weg gebracht hat."

Der Vater konnte bisher noch nicht vernommen werden. Er war nach der Todesnachricht zusammengebrochen und wird psychologisch betreut. Eine überraschende Antwort aber fanden die Ermittler bereits auf die Frage, auf welche Weise der Täter die Adressen seiner Opfer recherchiert hatte.

Das Versagen der Profiler

Zugang zum Internet hatte er demnach nicht, denn im Haus wurden weder Computer noch Internetanschlüsse entdeckt. "Aber er besaß den Oeckl", sagt Detlef Puchelt. Jenes 70 Euro teure Taschenbuch des öffentlichen Lebens also, das Tausende von Adressen enthält und zum Standardwerkzeug eines jeden Journalisten gehört.

Zu all diesen Überraschungen gesellte sich im Laufe der Ermittlungen aber auch die schmerzliche Feststellung, dass die so genannte "operative Fallanalyse", das Zaubermittel der polizeilichen Ermittlungsarbeit, im Fall des Briefbomben-Attentäters versagt hat.

"Älterer Mann von 40-60 Jahren, politikverdrossen", so lautete das Ergebnis des so genannten Profilings. Dafür führte die nur in spektakulären Kriminalfällen angewendete DNS-Analyse zum Erfolg.

Dem Täter war zum Verhängnis geworden, dass er im Jahre 2002 bei einem Einbruch in ein Nachbarhaus einen Handschuh mit Blutspuren verloren hatte.

Nur ein Einheimischer kam wegen der offensichtlichen Ortskenntnisse als Täter in Frage. Weil die DNS-Spuren am Tatort und an den Briefbomben übereinstimmten, musste der Briefbomben-Attentäter mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Hutthurm stammen.

Bürgermeister Hermann Baumann, schwer mitgenommen vom Trubel der vergangenen Tage und von der Tragik des Falles, aber auch der Mensch mit den besten Einblicken in das schwierige Milieu der Familie L., vermutet, dass der Außenseiter Johann L. mit seinen Taten Aufsehen erregen wollte. "Leute, da schaut her, ich kann doch auch etwas."

© SZ vom 29.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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