"Bist du verstrahlt, oder was?":Sport-Sponsering beim TuS Gorleben

Lesezeit: 3 min

Der Fußballverein lässt sich vom Betreiber des Atommüll-Zwischenlagers unterstützen - nicht allen Dorfbewohnern passt das.

Arne Boecker

Gorleben - Eine gnädige Novembersonne begrüßt die Kicker des TuS Gorleben und des SV Karwitz, als sie aus dem Sporthaus trotten, um ihre Sehnen zu dehnen. Der schlammige Boden färbt das orangefarbene Trikot des Gorlebener Torwart Fabian Herter schon vor Spielbeginn schwarz.

Der TuS Gorleben und der SV Karwitz dümpeln im Niemandsland der Tabelle, wo man vom Titel nicht träumen darf, den Abstieg aber auch nicht fürchten muss. Sonntag ist Kreisliga-Tag in Deutschland; Hunderte Spiele wurden um 14 Uhr angepfiffen, so auch im ostniedersächsischen Gorleben.

Jedes Jahr im November geistert das Dorf durch die Nachrichten, weil hier Atommüll zwischengelagert wird. Wütend rennen viele Wendländer gegen den Castortransport an, der die strahlende Fracht auch an diesem Montag wieder in ihre Heimat bringen wird. Keinen lässt der heiße Müll kalt, auch die Fußballer nicht.

Seit Jahren sponsert die Firma, die das Zwischenlager betreibt, den TuS Gorleben. Das BLG auf den Trikots steht für "Brennelementlager Gorleben GmbH". Die Firma hat zudem eine Bande auf dem Sportplatz gemietet. Zwischen "Autohaus Teschner" und "Café Eismacher" steht: "Sichere Entsorgung zum Schutz der Umwelt - BLG". Würden nicht Kiefernwälder das Kreisliga-Idyll säumen, könnte man das Lager vom Anstoßpunkt aus sehen.

Ausgerechnet Gorleben weicht seit Jahren von der Anti-Atom-Linie ab, hinter der sich die Region versammelt zu haben scheint. Während in den Dörfern rundum seit Tagen schwarze Fahnen wehen, auf denen das gelbe Atomzeichen prangt, ist in Gorleben nicht mal das gelbe Sperrholz-X zu sehen, das zum Markenzeichen des Widerstands geworden ist.

"Das hat natürlich auch mit dem Geld zu tun, das in den Ort geflossen ist", sagt Reno Lange, Vorsitzender des TuS Gorleben mit 345 Mitgliedern. "Strukturhilfegeld" heißt es offiziell, "Judaslohn" sagen Atomgegner dazu. So kam die 860-Seelen-Gemeinde etwa zu einer schicken Mehrzweckhalle.

Atomkraft spaltet die Gemeinde

Die BLG sponsert Handballer, Gewichtheber, Fußballer. "Wir reden hier aber von einem Satz Trikots oder ein paar Kisten Bier", relativiert Lange. "Ich rate jedem Vorsitzenden, das Sponsoring gründlich im Verein zu diskutieren", sagt BLG-Sprecher Jürgen Auer. Es hat Fälle wie den des SSV Gusborn gegeben, bei denen die BLG ihre Scheine nicht los wurde, weil Vereinsmitglieder rebellierten; Gusborn liegt direkt an der Strecke der Castortransporte.

Die frühere TuS-Vorsitzende Gisela Köthke, 81, erinnert sich daran, dass 1970, als alles anfing, der Sport noch nicht mit Politik kontaminiert war. "Einmal die Woche haben sich die 'Turnfruuns' zum Sport getroffen, und hinterher ging es in die Kneipe nach Meetschow."

1989 fädelten die Fußballer stiekum den Deal mit der BLG ein, was den TuS in den Grundfesten erschütterte. 33 der 40 Turnfrauen wollten damals nicht für die BLG werben. Also gründete Gisela Köthke einen Konkurrenzklub, den TV Gorleben; auch Fußballer verließen damals den TuS.

Heute führt Gisela Köthke mit ihrem Protest in Gorleben eine Minderheit an. Wenn sie den Castor mit Plakaten begrüßen will, hängen die nicht lange. Seit fast 30 Jahren ist Gorleben als Standort von Atomanlagen im Gespräch. Das Thema hat Ehen geschieden und Freunde entzweit. "Hier kommt jeder irgendwann an den Punkt, an dem er sich entscheiden muss: Für oder gegen Atomkraft?", sagt Gisela Köthke.

Jeder hat seine Kneipen, die von den anderen gemieden werden. "Atomkraftgegner brauche ich nicht zu fragen, ob sie zu uns wechseln wollen", sagt TuS-Chef Lange. Zuweilen werden TuS-Spieler von Fans oder Spielgegnern als "Castorkicker" verhöhnt oder bekommen zu hören: "Bist du verstrahlt, oder was?" Vereinsboss Lange vermutet, dass Fußballverband und Schiedsrichter den TuS gezielt benachteiligen, weil er Geld von der Atomindustrie nimmt. Ganz sicher ist er, dass sich die Gegner besonders ins Zeug legen, wenn sie das BLG-Logo sehen.

An diesem Sonntag setzen sich die BLG-Atommüllmänner gegen den Quelle-Shop Dannenberg mit 3:1 durch, für den der SV Karwitz Reklame läuft. Vielleicht hätte man noch höher gewonnen, wenn mit Libero Mark Pauliks nicht einer der Besten gefehlt hätte. Der Polizist schiebt Dienst. Der Castortransport ist bereits auf dem Weg durch Deutschland. Während des gesamten Spiels fahren Mannschaftswagen der Polizei am Sportplatz vorbei.

© SZ vom 21. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: