Berlin:In schmieriger Lage

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Auf dem Anti-Graffiti-Kongress diskutieren Experten Maßnahmen gegen Sprayer, Politiker fordern schärfere Gesetze.

Von Juan Moreno und Bernd Oswald

In der Psychologie nennt man das Habituation - Gewöhnung. Ein Reiz, der im Augenblick keine nützliche Information enthält, wird vom Gehirn unterdrückt.

Ist es Kunst, oder ist's Schmiererei? Graffiti in Berlin. (Foto: Foto: dpa)

Das kann das Ticken einer Uhr sein, das Rauschen des Meeres oder die Standpauke des Chefs.

Die Psyche versucht, eine Reizüberflutung zu vermeiden und die Aufmerksamkeit auf Wichtigeres zu lenken.

Vermutlich hilft dieses Phänomen vielen Berlinern dabei, die tausenden Graffiti an den Fassaden ihrer Stadt nicht mehr wahrzunehmen, während dieselben Graffiti für ganze Bundestags-Besuchergruppen das Hauptgesprächsthema auf ihrer Berlinreise sind.

Karl Henning, Vorsitzender des Vereins "Noffiti", ist zwar Berliner, aber er wird sich nie an die Graffiti gewöhnen. Er könne sich noch immer jeden Tag darüber ärgern, sagt er. Das sei Schmiererei, nicht Kunst, sondern Vandalismus.

Harte Strafen in Dänemark und Norwegen

Und Sprayer hält Karl Henning für Kriminelle oder Sachbeschädiger. Darum hat er den ersten "Internationalen Anti-Graffiti-Kongress" in Berlin organisiert. 300 Menschen sind gekommen, um zu hören, was man gegen Graffiti tun kann.

"Eine Menge", versichert Haantie Kauka, vom Anti-Graffiti-Projekt Helsinki. Seit Jahren gingen die Sprayerattacken in der finnischen Hauptstadt zurück, sagt er. "Unser Ansatz: Keine Toleranz! Das bedeutet: keine legalen Sprayflächen, die dienen eh nur als Übungsfläche für illegale Aktionen. Härtere Strafen und sofortige Entfernung der Schmierereien."

Die Vertreter aus Dänemark und Norwegen stimmen dem zu. In Dänemark kann man für Schmierereien zu einer Geldstrafe von 300000 Euro verurteilt werden, oder zu sechs Jahren Gefängnis. In Norwegen sind es vier Jahre.

Bosbach: Wir brauchen eine starken Staat

Martha Vaca von "Operation Clean Sweep", einer Abteilung der Stadtverwaltung von Los Angeles, stellt in Berlin sogar eine Art Zeugenschutzprogramm für Bürger vor, die Sprayer anzeigen. "Manche Nachbarn haben Angst vor Repressionen, daher müssen sie nicht öffentlich vor Gericht aussagen."

Wolfgang Bosbach, Vize-Fraktionschef der Union im Bundestag, schätzt den Schaden durch Graffiti allein in Berlin auf jährlich 50Millionen Euro. "Wir brauchen einen starken Staat, der sich dagegen zu wehren weiß." Weitere Zahlen hat der Städtetag ermittelt: Jährlich kostet Graffiti-Beseitigung in Deutschland rund 200 Millionen Euro.

Auf dem Kongress sind viele Vorschläge zu hören, von Videoüberwachung über leicht zu reinigende Spezialbeschichtungen für Gebäude bis hin zu Präventionskampagnen für Kinder im Vorschulalter. Den drastischsten Vorschlag aber ließ der nicht anwesende Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verlauten.

Hubschrauber-Einsatz

Er forderte, bundesweit mit Hubschraubern und Wärmekameras des Bundesgrenzschutzes (BGS) gegen Graffiti-Sprayer vorzugehen. Hintergrund war eine Aktion in der Nacht zum Freitag. Mit Hilfe eines BGS-Hubschraubers waren in Berlin vier Sprayer gefasst worden, acht weitere konnten am Sprayen gehindert werden.

Allerdings relativierte ein Sprecher Schilys Aussagen gestern wieder. "Es werden jetzt keine Mückenschwärme von Hubschraubern über Deutschland in der Nacht hinweg schweben." Es habe einen konkreten Hinweis auf eine groß angelegte Szene-Aktion gegeben. "In diesem Fall war der Einsatz der Hubschrauber zu vertreten".

Eine Flugstunde des bei der Graffiti-Bekämpfung eingesetzten Hubschraubers vom Typ Eurocopter 155 kostet 1190 Euro. "Das sind aber keine zusätzlichen Kosten, da der Hubschrauber ja auch sonst eingesetzt würde," so der Sprecher.

Beschwerden wegen Fluglärm

Der Berliner Anti-Graffiti-Kongress scheint aber nicht nur bei Schily Wirkung zu zeigen. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht sich nun in dem Vorhaben bestärkt, den Paragrafen des Strafgesetzbuches, in dem die Sachbeschädigung geregelt ist, zu erweitern.

Bislang sind Graffiti nur strafbar, wenn die Substanz etwa eines Gebäudes beschädigt wird. Nach einem Gesetzentwurf, der von fast allen Bundestagsabgeordneten unterstützt wird, sollen Graffiti künftig auch strafbar sein, wenn sie das Erscheinungsbild erheblich verändern.

Sollte die Idee des Innenministers mit den Hubschraubern aber doch Realität werden, droht den Behörden anderer Ärger. Viele Anwohner des Villenviertels Grunewald haben sich gestern bei der Polizei, beim BGS und beim Innenministerium über den Fluglärm beschwert. Es liegen zahlreiche Anzeigen wegen Ruhestörung vor.

© SZ vom 9.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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