Bandenkrieg:Abrechnen auf Neapolitanisch

Lesezeit: 3 min

Die Machtkämpfe organisierter Krimineller haben in Neapel dieses Jahr schon 114 Menschen das Leben gekostet. Trotz der höchsten Polizeidichte Italiens scheinen die Ordnungshüter machtlos zu sein.

Von Christiane Kohl

Neapel/Rom - Eine "unbescholtene" junge Frau sei sie gewesen, wiederholen die Nachrichtensprecher in allen Sendungen. Warum es Gelsomina Verde trotzdem erwischt hat, und offensichtlich keineswegs zufällig, kann keiner so recht sagen.

Ein Bandenkrieg alle gegen alle: Francesco Tortora hatte im Auto Zeitung gelesen, als er erschossen wurde. Die Leiche wurde am Sonntag im brennenden Wrack des Wagens gefunden. (Foto: Foto: AP)

Nachts um zwölf wurde die 22-Jährige in einem Vorort Neapels gefunden, verbrannt in einem Fiat 600. Ihr verkohlter Leichnam wies Schusswunden auf - man hatte die junge Frau mit mehreren Schüssen niedergestreckt, ehe ihr Auto angezündet wurde. Gelsomina Verde war nur einer von sechs Menschen, die am Wochenende in Neapel zu Tode kamen. Ein siebtes Opfer liegt im Koma - der Mann war fast zu Tode geprügelt worden von Unbekannten, die seinen Sohn suchten.

In der Stadt am Golf liefern sich seit Monaten verfehdete Banden einen blutigen Krieg, 114 Todesopfer wurden bis Anfang dieser Woche allein im Jahr 2004 gezählt, ein Jahr zuvor waren "nur" 81 vergleichbare Morde registriert worden.

Der vorige Sonntag war in Neapel lediglich ein besonders blutiger Tag gewesen - und die Polizei scheint machtlos zu sein. Morgens gegen halb zehn waren zuerst zwei Männer in einem Tabakladen getötet worden. Wenig später fanden Polizeipatrouillen einen brennenden Ford Fiesta, in dem eine verrußte Leiche lag - der Mann war kurz zuvor ein paar Straßen weiter auf einem Parkplatz niedergestreckt worden, als er im Auto Zeitung las.

Francesco Tortora hieß er, 63 Jahre alt, auch dieser Mann soll "unbescholten" gewesen sein. Freilich wohnte Tortora in einem Häuserblock, den sie in Neapel "Terzo Mondo" nennen - die "Dritte Welt" liegt in einem der nördlichen Vororte von Neapel und ist das Zentrum des Bandenkampfes.

Einst residierte hier Paolo di Lauro, ein mächtiger Boss der Camorra, wie die Mafia von Neapel bezeichnet wird. "Ciruzzo o' millionario", wurde der 51-Jährige genannt, Ciruzzo, der Millionär. Allein an einem Tag soll er 500 Millionen Euro verdient haben. Entsprechend war seine Wohnung alles andere als eine Dritte-Welt-Behausung: luxuriöse Möbel, eine Bibliothek und ein bestens ausgestattetes Schlafzimmer - in dem di Lauro freilich nie geschlafen haben soll.

Aus reiner Vorsicht: Schließlich mochte er weder von der Polizei noch von Rivalen im Schlaf überrascht werden. Der Camorra-Boss verdiente sein Geld vor allem mit Drogenhandel, überdies soll er an Kasinos in Osteuropa beteiligt sein, Immobilien in Spanien und Monaco besitzen.

Jahrelang führte di Lauro im "Terzo Mondo" offenbar ein mehr oder weniger ungestörtes Gangsterleben, das sich auf ein Heer Getreuer stützte. Vor zwei Jahren aber gelang der Polizei ein Volltreffer gegen den Lauro-Clan, 27 von di Lauros Mitarbeitern wurden festgenommen und sitzen im Gefängnis.

Daraufhin floh der Mafia-Boss ins Ausland. Sein Sohn Cosimo, 25, übernahm die Geschäfte. Doch der ging, wie es scheint, etwas nassforsch vor. Statt wie sein Vater den "Mitarbeitern" ihre Freiheiten zu lassen, nahm der Sohn seine Camorristi der Zeitung Repubblica zufolge offenbar zu sehr an die Kandare. Aus der kriminellen "Holding von frei arbeitenden Profis", in welcher der Boss vor allem auf die Kasse sah, habe der Sohn "eine Firma" gemacht, schreibt Repubblica, "in der die Mitarbeiter mehr gehorchen, als verdienen sollten".

Wie auch immer der junge Camorra-Boss agierte, bald meldeten sich die ersten Profis aus seinen Diensten ab, und Zug um Zug verlor der Lauro-Clan nach Beobachtung der Polizei an Autorität. Mittlerweile kämpfen alle gegen alle, einstige Lauro-Anhänger befehden ihren Ex-Boss, auch andere Camorra-Gruppen mischen mit, die von der Schwäche der di Lauros profitieren wollen - "das Gleichgewicht" im Gefüge der organisierten Kriminalität Neapels ist nach der Arbeit der Strafverfolger gestört.

Innenminister Giuseppe Pisanu hat mit verstärkter Polizeiaktivität reagiert, 12 969 Ordnungshüter schieben nun in der Hafenstadt Wache, auf 238 Bürger kommt ein Sicherheitsmann - eine Polizeidichte wie in keiner anderen Stadt Italiens. Und doch haben die Camorristi kürzlich einen Mann direkt vor einem nagelneuen Polizeirevier erschossen.

Die Ordnungshüter allein könnten das Problem auch nicht lösen, hat Innenminister Pisanu jetzt in einer Fragestunde vor dem Parlament bekannt. Wichtig sei vor allem, dass die Institutionen auf eine "offene Unterstützung der Gesellschaft" in Neapel bauen könnten.

Dazu hat die Präfektur in Neapel als Vertreterin des Innenministeriums jetzt mit der Stadtverwaltung einen "Vertrag für die städtische Sicherheit" geschlossen, der die Bildung von Stadtteilkomitees fördern soll.

Wenn die Polizisten wie im Fall von Gelsomina Verde freilich ermitteln wollen, treffen sie oft auf angstvolles Schweigen. Einen Erfolg kann Pisanu immerhin verzeichnen: Die Zahl der Handtaschendiebstähle ist klar rückläufig in Neapel.

© SZ vom 24.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: