Autobahn:Gefahrgut im Rückspiegel

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Dixi-Klos, Sofas, Garagentore: Der Frankfurter Robert Heret listet im Internet auf, was auf Autobahnen in Hessen so alles vom Laster fällt.

Von Nadeschda Scharfenberg

Am komischsten war die Sache mit den Sofas. Es war ein lauer Juniabend, zwei Jahre ist das her, da unterbrach der Hessische Rundfunk sein Programm. "Achtung, Autofahrer aufgepasst. Auf der A3 Würzburg Richtung Frankfurt zwischen Offenbacher Kreuz und Frankfurt-Süd befinden sich Gegenstände auf der Fahrbahn." I

Feuerwehrmänner untersuchen Fässer, die ein LKW verloren hat, auf gefährliche Chemikalien. (Foto: Foto: dpa)

Irgendjemandem waren dort gleich zwei Sofas abhanden gekommen. Ein Ladungsverlust von vielen; wenngleich nicht alle Dinge, die im Verkehrsfunk gemeldet werden, derart kurios sind wie die Sofas - oder Badewannen, Rasenmäher und Dixi-Klos, die auch noch von irgendeinem Laster oder Autohänger gefallen sind.

Satellitenschüssel und Kartoffelsack

Robert Heret fragt sich oft, wo all die Sachen herkommen, die sich auf Autobahnen sammeln. Wer sie so schlecht festgezurrt hat und was die Leute denken, wenn sie merken, dass ihr Weihnachtsbaum gerade vom Dach gefallen ist. Er hat schon immer die Ohren gespitzt, wenn sich mit einem Piep der Verkehrsfunk ankündigte, sagt Heret. Er liebte es, wenn es hieß: Satellitenschüssel auf der A3 oder Kartoffelsack auf der A5 entdeckt. Irgendwann fing Heret an zu sammeln.

Die ersten beiden Tage, im März 2003 war das, klickte sich Robert Heret, 33, im Internet alle paar Minuten durch die Verkehrsseiten des Hessischen Rundfunks und trug die Gegenstände in Tabellen ein. Aber er musste feststellen: Das ist nicht zu schaffen. Auf den 957 hessischen Autobahnkilometern fliegt einfach zu viel herum.

Immer wieder donnerstags

Zum Glück ist Heret Programmierer von Beruf, so war es für ihn eine leichte Übung, das Sammeln seinem Computer im Frankfurter Vorort Liederbach zu überlassen. In zweieinhalb Jahren hat sein Rechner eine wunderbare Liste von 15933 Fundstücken zusammengestellt, nachzulesen im Internet auf der Website www.ladungsverlust.de.

Hauptsächlich sind Auto- oder Reifenteile aufgeführt, aber auch Möbel, Gartengeräte, Heimwerkerzubehör. Die meisten Dinge verlieren die Leute donnerstags, Heret hat keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil da viele Lkws unterwegs sind? Er hätte eher mit Samstag gerechnet, wenn die Leute umziehen oder einkaufen. Der schlimmste Monat ist Juli. Weil da viele voll bepackt in die Ferien fahren? Kann schon sein.

So ist das mit Statistiken: Sie zählen auf, ohne Hintergründe zu erklären. Wer verliert was warum? "Da muss jeder selber philosophieren", sagt Heret. Seine Liste ist die einzige in Deutschland, die wirklich dazu einlädt. Eine offizielle Statistik über verlorene Ladung gibt es nicht, nur Bruchstücke.

"Gefährliche Aktionen"

In Baden-Württemberg etwa warnte der Verkehrsfunk laut Innenministerium 2004 genau 3763-mal vor Personen, Tieren oder Gegenständen auf der Fahrbahn. Es ist aber nicht bekannt, um was es sich da handelte. Die Polizei im Regierungsbezirk Köln fährt etwa 5000 Einsätze pro Jahr, um Krempel einzusammeln. Und Hans Gugg von der Autobahnpolizei Rosenheim erzählt, dass es kaum einen Tag gibt, an dem sie nicht ausrücken müssen. Meistens mehrmals.

Robert Heret weiß, dass seine lustige Liste einen ernsten Hintergrund hat. Er hat das auf seiner Seite auch aufgeschrieben: "Uns ist bewusst, dass diese Gegenstände schwere Unfälle verursachen können." So schnell wie möglich versucht die Polizei, die Strecke zu räumen, "das sind gefährliche Aktionen", sagt Hans Gugg, "vor allem, wenn viel Verkehr ist".

Sie müssen einen künstlichen Stau erzeugen, mit Blaulicht bremsen sie die Autos aus. "Wir dürfen nichts liegen lassen", sagt er. Auch kleine Gegenstände, etwa Müllsäcke, sind gefährlich - weil die Fahrer vor Schreck ihr Steuer herumreißen und ins Schleudern kommen könnten.

50 Euro Bußgeld

Gugg sagt, dass es meistens Lkws oder Transporter sind, denen Ladung von der Fläche fällt. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft hat festgestellt, dass nur ein Viertel der Lastwagenfahrer ihre Ladung korrekt gesichert haben. Tendenz steigend. Dabei wird, wer seine Fracht nicht richtig verstaut, mit 50 Euro Bußgeld und drei Punkten in Flensburg bestraft.

Robert Heret hat selbst noch nie etwas verloren, und meistens sieht er die Dinge auch nicht, die auf der Autobahn liegen. Jedenfalls nicht die seltsamen. Noch nie musste er einem Garagentor oder einer Waschmaschine ausweichen, höchstens mal einer herrenlosen Stoßstange.

"Komisch", sagt er. Er lacht. Wenn es überhaupt einen Sinn seiner Sammlung gibt, ist es der: dass die Leute lachen. "Das ist doch Sinn genug", sagt er. Vielleicht noch, dass sie in Zukunft daran denken, ihre Sofas ordentlich festzubinden.

© SZ vom 2.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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