Augenzeugen berichten:"Ich kann vor dieser Crew nur den Hut ziehen"

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Die geretteten Passagiere der Air-France-Maschine, die in Toronto verunglückt ist, sind nur knapp einer Todesfalle entkommen. Der Besatzung des Flugzeuges zollten sie großes Lob.

"In unserem gesamten Netz gibt es keine besonderen Vorkommnisse." Noch etliche Stunden nach dem schaurigen Ende des Unglücksflugs AF 358 stand das so auf der Nordamerika-Webpage der Air France.

Das Wrack der verunglückten Air France-Maschine brannte vollständig aus. (Foto: Foto: Reuters)

Kein Wort von dem, was sich am Dienstagnachmittag vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern auf dem Flugplatz der kanadischen Metropole Toronto abgespielt hatte.

Kein Wort über das schier unbegreifliche Wunder. Keine Silbe über die furchtbare Angst von 309 Insassen jenes Airbus A 340, der für diese Menschen um ein Haar zur Todesfalle geworden wäre.

Flammen vom hinteren Teil

"Die Flammen kamen vom hinteren Teil", sagt Corey Marx, einer der Passagiere. Aber da seien die meisten Leute schon in Sicherheit gewesen. Es sei falsch, was einige Sender behaupteten, nämlich dass das Flugzeug schon lichterloh brannte, als die Evakuierung begann.

"Das Feuer ging erst nach 15 Minuten oder so los. Am schlimmsten war nach dem Krach und Gerüttel der Bruchlandung zunächst, dass ich das Cockpit nicht mehr sehen konnte. Es war nach unten weggebrochen."

Roel Bramer war als einer der allerersten auf die Rettungsrutsche am Notausgang gesprungen. Danach gab er mit Siegerpose Interviews. "Champagner", sagt er am späten Abend mit heiserer, ein wenig trunkener Stimme, als er Larry King von CNN am Telefon hat. "Wir feiern mit Champagner!".

"Einziges großes Mirakel"

Auch sein Sohn sei dabei, der ihn vom Flughafen abgeholt habe. "Würden Sie morgen wieder fliegen?", fragt Larry King. Bramer zögert keine Sekunde: "Na klar!" "Was wir hier erlebt haben", sagt Bruce Farr, der Chef des Rettungsdienstes von Toronto, "das ist nichts geringeres als ein einziges großes Mirakel."

Farr ist nicht der einzige, der den 2. August 2005 für den Tag hält, an dem sich das bislang größte Wunder in der Geschichte der zivilen Luftfahrt ereignet hat.

Ein Mirakel freilich, bei dem nicht nur wahnsinnig viel Glück, sondern auch großes Können und enorme Beherztheit einer gut geschulten Besatzung zu den Zutaten gehörte. "Ich kann vor dieser Crew nur den Hut ziehen", sagt Jennie Ziesenhenne.

Ernstfall ist doch etwas anderes

Sie war einst bei der US-Fluggesellschaft Delta verantwortlich für die Notfall-Schulung der Besatzungen. "Bei allen großen Airlines wird die Evakuierung über die Notausgänge wieder und wieder trainiert, aber der Ernstfall ist doch etwas anderes. Die Air-France-Besatzung hat Großartiges geleistet."

"Unwahrscheinlich schnell" habe die Crew reagiert, berichtete der Fluggast Olivier Dubois. "Sobald die Maschine zum Halten gekommen war, haben sie alle Ausgänge aufgemacht. Wir sahen nicht viel, aber sie befahlen uns zu springen und zu rennen."

Dennoch: Ob hier nicht menschliche Größe und menschliches Versagen dicht beieinander lagen, dürfte erst eine Untersuchung des "Wunders von Toronto" klären.

Bohrende Fragen

Experten aus Kanada und Frankreich werden bohrende Fragen stellen, darunter diese: Sind die schweren Gewitter mit gefährlich starken Blitzen im Luftraum von Toronto auf die leichte Schulter genommen worden? War die Landebahn viel zu rutschig? Hat der Pilot eine zu schnell landende Maschine nicht mehr zum Halten bringen können?

Vielleicht sollte es noch eine andere Untersuchung geben. Eine, die fragt, ob es nicht leichtfertig von den Journalisten mancher Fernsehsender war, tausende Angehörige und Freunde der 309 Insassen des Air-France-Fluges schon auf den sicheren Tod ihrer Lieben einzustimmen. "Da kann wohl kaum jemand überlebt haben", war zu den Schreckensbildern des zerbrochenen und brennenden Flugzeugs zu hören.

Als ob es heutzutage keine Wunder mehr gäbe.

© Von Thomas Burmeister - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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