Astronomie:Das einäugige Blinzeln des Superteleskops

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Wann wurde es Licht im All? Diese fast biblische Frage bewegt die Menschen seit Urzeiten. Schon bald können sie auf eine Antwort hoffen, denn am Samstag wird der erste Lichtstrahl aus den Weiten des Alls in das größte Teleskop der Welt fallen, das Large Binocular Telescope (LBT) auf dem 3190 Meter hohen Mount Graham in Arizona.

Von Jan Oliver Löfken

"Es ist unser Traum, die erste Sterngeneration zu beobachten und zu analysieren", sagt Hans-Walter Rix, Direktor des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg.

Und mit dem gigantischen, 120 Millionen Dollar teuren Feldstecher haben sie dafür sogar eine reelle Chance.

Denn das neue Observatorium, ein gemeinsames Projekt von amerikanischen, italienischen und deutschen Forschungsinstituten, wird gleich mit zwei mehr als acht Meter großen Sammelspiegeln das extrem schwache Sternenleuchten aus rund 14 Milliarden Lichtjahren Entfernung erkennen können.

Zeitsprung in die Frühzeit des Universums

Damit entspricht dieser Blick des kosmischen Doppelauges einem Zeitsprung in die Frühzeit des Universums. Nur etwa hundert Millionen Jahre nach dem Urknall sollen diese ersten Sterne ihr Sonnenfeuer gezündet haben.

Genau dieses Licht lässt sich heute, nach einer 14 Milliarden Jahren langen Reise durchs All vom ultravioletten ins infrarote Spektrum verschoben, auf der Erde beobachten.

Doch so sehr Rix und seine Kollegen dem morgigen "First Light" entgegenfiebern, entspricht dieser Startschuss nur einem einäugigen Blinzeln des Superteleskops. Denn bisher ist nur einer der knapp 16 Tonnen schweren Spiegel aus Borsilikatglas montiert.

Der zweite folgt im kommenden Jahr, sobald seine Oberfläche im Steward Observatory Mirror Lab bis auf 20 Millionstel Millimeter (Nanometer) genau poliert sein wird.

So liefern die Amerikaner die derzeit größten Teleskopspiegel der Welt, die Italiener dagegen die filigrane Mechanik, um das insgesamt 850 Tonnen schwere Observatorium hydraulisch auf einem dünnen Ölfilm mit höchster Präzision auf jeden Himmelskörper ausrichten zu können.

Für die Netzhaut des Augenpaares zuständig

Die Deutschen schließlich sind für "die Netzhaut des Augenpaares und das Gehirn" zuständig, erklärt Axel Quetz vom Heidelberger Max-Planck-Institut.

Kein marginaler Beitrag, denn erst das Zusammenspiel der beiden Spiegel, die im Abstand von gut 14 Metern nebeneinander montiert werden, verleiht dem Teleskop ein Auflösungsvermögen, das dem eines einzelnen Fernrohrs mit einem 23-Meter-Spiegel entspräche.

Für diese volle Leistung werden die von jedem Einzelspiegel reflektierten Lichtstrahlen mit dem in Heidelberg gebauten Instrument "Linc-Nirvana" überlagert, einem so genannten Interferometer. Damit erlangt das Doppelauge bis Ende 2006 seinen scharfen Blick und ein dafür bisher unerreicht großes Gesichtsfeld von zehn Bogensekunden.

Das entspricht etwa dem von der Erde sichtbaren Durchmesser des Planeten Saturn. Die Genauigkeit ist dabei so groß, dass sich auf dem Mond noch ein 20 Meter großer Fels ausmachen ließe. Auch die Lichtstärke ist beachtlich: Rein rechnerisch könnte das LBT das Licht einer brennenden Kerze in 2,5 Millionen Kilometer Entfernung noch erkennen.

Soweit die Theorie. Doch so klar und trocken der Nachthimmel über dem Mount Graham an rund 250 Tagen im Jahr auch sein mag, die turbulente Erdatmosphäre trübt mit ihren wabernden Luftschichten den Blick des schärfsten Astroauges. Chaotisch verbiegt sie die einfallenden Lichtstrahlen und verursacht so auch das typische "Flimmern" der Sterne.

Linc-Nivrana mit intelligenter Optik

Um diese Bildstörungen zu kompensieren, verfügt das Linc-Nirvana über eine intelligente Optik, die die Lichtstrahlen wieder richten kann. Dazu trennt ein Strahlteiler das von den Hauptspiegeln gesammelte und verwackelte Lichtsignal in zwei Bündel auf. Eins davon gelangt auf einen speziellen Detektor, der den Grad der Verbiegung bestimmt.

Diese Information läuft rund tausendmal pro Sekunde zu einem verformbaren Sekundärspiegel, der quasi zeitgleich das zweite Lichtbündel reflektiert.

Dabei passt sich die variable Form dieses Spiegels genau den verbogenen Lichtstrahlen an und richtet sie wieder parallel aus. Das Ergebnis ist ein Lichtsignal ohne Störeffekt der Erdatmosphäre. Erst dann gelangt es zur Aufzeichnung auf einen vier mal vier Zentimeter großen 4-Megapixel-Chip.

"Mit diesem Schritt erreicht das LBT eine bis zu zehnmal so große Bildschärfe wie das Weltraumteleskop Hubble", sagt Rix.

Neben dem Blick auf das schwache Glimmen der allerersten Sterne haben die Astronomen noch weitere Pläne für ihr Doppelauge. Auch in der direkten kosmischen Nachbarschaft, unserer Milchstraße, wollen sie Planeten außerhalb unseres Sonnensystems untersuchen.

Obwohl bisher etwa 140 Sterne mit solchen Exoplaneten bekannt sind, wurden sie bisher wegen ihres schwachen Lichts noch nie direkt beobachtet. Genau das könnte LBT leisten und vielleicht einen Einblick in den Aufbau dieser Planeten liefern.

Damit soll das neue Teleskop die nächste Runde auf der Suche nach einer "zweiten Erde" einläuten - ein Rennen, für das die deutschen Astronomen mit einem Viertel der kostbaren Beobachtungszeit am LBT eine gute Startposition haben.

© SZ vom 15.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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