Anti-Stress:Wo man Wind und Wasser tankt

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Ausfahrt Gruibingen: Die erste Feng-Shui-Autobahnraststätte soll die Fahrer mit neuer Gelassenheit in den Verkehr zurückschicken.

Von Dagmar Deckstein

Gruibingen, im Juli - Besonders weit reichen kann der positive Energiefluss nicht. Schon zwei Kilometer nach Verlassen der Raststätte beginnt wieder die übliche Verkehrshölle: schwerer Unfall, Vollsperrung der A 8 Richtung Stuttgart, die nächsten 40 Kilometer kosten dann zwei Stunden verbummelter Lebenszeit.

Aber immerhin, die innere Gelassenheit überwiegt diesmal eindeutig den Ärger. Vielleicht wirkt es ja doch irgendwie nach, das Feng Shui. "Fang was?" Carla Wiegand aus Worms ist mit ihrem weinroten A-Klasse-Mercedes unterwegs Richtung Starnberg.

Eben noch haben wir sie vor dem Rasthaus Gruibingen gefragt, ob sie etwas vom Feng Shui gespürt habe. "Hab' ich noch nie was von gehört."

Obwohl das doch unübersehbar mit weißer Kreide auf schwarzer Schiefertafel neben dem geschwungenen Eingangsbereich steht: "Willkommen im ersten Feng-Shui-Rasthaus Europas." Frau Wiegand schaut etwas ungläubig: "Na ja, es ist ja nun alles hier recht farbenfroh und irgendwie rundlich gestaltet." Scharfe Kanten und grelle Farben vertragen sich auch überhaupt nicht mit der Harmonielehre des Feng Shui (wörtlich: "Wind und Wasser") der 3000 Jahre alten chinesischen Philosophie vom Wohnen und Leben im Einklang mit der Umgebung.

Licht, Farben, Formen und Strukturen sollen den Fluss der lebensspendenden Energie des Chi fördern und das böse Sha aussperren. Und in diesem Fall den gestressten Kilometerfressern auf der vielbefahrenen Rennstrecke gen Bayern und Italien in wohltuender Atmosphäre neue Kraft verleihen.

Wenn sie sich dann noch von Küchenchef Manfred Gunsilius beraten lassen, ob sie ein Yin-Typ ("eher sanft und ruhig, friert schnell") oder ein Yang-Typ ("schnell gereizt, schwitzt stark") sind und sich von ihm ein spezielles asiatisches Gericht mit thermischer Wirkung zusammenstellen lassen, dann sollten sie gerüstet sein für den nächsten Stau spätestens am Brunnthal-Dreieck. Aber für Ahnungslose hält Gunsilius selbstredend auch Pasta, Pommes und Königsberger Klopse bereit.

Pächter Erich Kaul hat ja nun nicht von ungefähr 300 000 Euro von den drei Millionen, die das neue Rasthaus an der A 8 zwischen Stuttgart und Ulm gekostet hat, für die Feng-Shui-Extras aus eigener Tasche draufgeblättert.

Eigentümer ist die "Tank und Rast GmbH", die allein 340 von den 389 Raststätten an bundesdeutschen Autobahnen verpachtet und mit 450 Millionen Kunden im letzten Jahr 3,3 Milliarden Euro umsetzte.

Kaul hofft natürlich, dass der positive Energiefluss auch den einen oder anderen Zusatz-Euro der Kunden in die Geldecken der Anlage lotst.

Unterstützt durch die Chi-fördernden Brünnchen, die wellenförmig schwebenden Lattenkonstruktionen aus Holz an den hohen, lichten Decken, die Farbgebung der Einrichtung in zartem Grün, warmem Sonnengelb, blassem Orangerot, Babyblau und schlichtem Weiß als Repräsentanten der fünf Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Pächter Kaul ist da insofern äußerst hoffnungsfroh, als er, der Feng-Shui-Fan, die Wirkung der fernöstlichen Energieströme schon in seinem privaten Heim bei Rottweil erfahren konnte.

"Irgendwann stellten wir fest: Wir haben viel mehr Besuch." Wenn es auch nicht jedermanns Sache sein dürfte, sein Wohnzimmer in eine Art Rasthaus zu verwandeln, kann es umgekehrt einem Rasthauspächter nur recht sein, wenn die Besucher in seine gute Stube an der Autobahn strömen.

In der vorigen Woche wurde das wellenförmig aus gelbgetöntem Holz konstruierte Wohlfühl-Gebäude mit den 500 Parkplätzen davor offiziell eingeweiht und vom baden-württembergischen Verkehrsminister Ulrich Müller sogleich in den Rang einer globalen Großtat gehoben.

Als Beweis dafür, "dass wenn wir in Baden-Württemberg was machen, dann mit Weltgeltung". Nun muss sich Kaul erst einmal in Geduld üben, bis die Energieströme ihre segensreiche Wirkung entfalten. Einer seiner Feng-Shui-Berater, Helmut Boerner aus Konstanz, gibt zu bedenken: "Man darf keine Wunder erwarten." Die Raststättenbesucher strömen allerdings, von den Energiewellen wie magisch angezogen, schon reichlich in den Raststättenshop.

Der hält - ebenfalls ungewöhnlich - auch modische Damenkleider, Designerschmuck und Feng-Shui-Mobiles nebst Feng-Shui-Öl feil. Dort bedient Petra Bäuerle an der geschwungenen Kaffeetheke, einem der kommunikativen Chi-Zentren. Sie hat schon im alten Rasthaus gearbeitet, das früher hier stand. Wie schaut es mit den neuen Schwingungen denn aus? "Ha, was soll i sage, schee isch's do und do."

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