Anti-Mafia-Organisation:Pasta Nostra

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"Libera Terra" nennt sich eine italienische Organisation, die auf den sizilianischen Feldern der einstigen Mafia-Bosse Pasta, Wein und Olivenöl produziert.

Günther Fischer

Plötzlich liegen sie da. Einfach so und inmitten all der anderen Pastasorten, die italienische Supermärkte wie Coop anbieten und die sonst "Tosca" (natürlich: nur mit Zutaten aus der Provinz Toskana), "Agnesi" oder eben "Barilla" heißen. Diese Marke aber nennt sich "Libera Terra" und ist mit einem ungewohnten Zusatz versehen: "dalle terre liberate dalla mafia". Kurz gesagt: mafiafreie Nudeln.

"dalle terre liberate dalla mafia": Der Weizen für diese Pasta wurde auf beschlagnahmtem Mafia-Land angebaut. (Foto: Foto: Jörg Buschmann)

Eine Aufschrift, die wie ein Qualitätssiegel wirkt. So wie bei uns "Bio nach EG-Öko-Verordnung" oder "DLG-prämiert". Natürlich sind diese Nudeln auch bio, aber das entsprechende Siegel, das sich in Italien "Agricultura biologica" nennt, wird auf der Packung fast versteckt. Mafiafrei ist wichtiger. Was zunächst wie ein schlechter Witz anmutet, ist bitterernst gemeint: Es sind die Felder der einstigen Mafiabosse, auf denen heute Pasta, Wein und Olivenöl produziert werden.

Corleone heißt die sizilianische Stadt, die in erster Linie für Mafia und Mafiaverbrechen steht, die Stadt, aus der auch meist die wichtigsten Mafia-Bosse kamen. Corleone ist aber auch die Stadt, in der sich 2002 die Landwirtschaftskooperative "Placido Rizzotto - Libera Terra" gegründet hat und die anfangs gegen alle Widerstände ökologische Landwirtschaft betrieb.

Ausgerechnet am Tag nach der italienischen Wahl und der Niederlage Berlusconis am 11. April 2006 ging einer der letzten "großen" Bosse, Bernardo Provenzano, der Polizei nach jahrzehntelanger Suche ins Netz. Was er hinterließ, sind nicht nur die mafiösen Strukturen der Stadt, sondern auch über 400 Hektar Land, das beschlagnahmt wurde - was dem italienischen Staat seit 1982 erlaubt ist. Dieses Land nun wird von "Libera Terra" - inzwischen längst eine Art Anti-Mafia-Initiative, der sich bereits mehr als 1200 Bauern, Genossenschaften und Firmen angeschlossen haben - bewirtschaftet.

Es war die Idee des Pfarrers Don Luigi Ciotti, die vom Staat konfiszierten und oft brachliegenden Mafia-Besitztümer wieder ihrem ursprünglichen Nutzen zuzuführen. Stück für Stück, so Ciotto, könne Sizilien so wieder in die Legalität zurückgeführt werden. Auch dauerhafte Arbeitsplätze könne man so schaffen.

Doch die Anti-Mafia-Bewegung hatte es nicht leicht. Mal wurde die Saat auf ihren Feldern zerstört, dann ein Traktor geklaut oder ein Hund erhängt. Doch diesmal verfingen die jahrzehntelang eingeübten Drohgebärden nicht mehr. Als die Initiative wenige Tage vor der ersten Ernte ohne Traktor dastand und ihnen niemand aus der Umgebung einen leihen wollte, sprang ausgerechnet die Polizei ein - die Felder konnten abgeerntet werden.

Inzwischen gewinnt "Libera Terra" weiter an Boden: Die Kooperative wird in Sizilien als Arbeitgeber zunehmend wichtiger, aus dem selbst angebauten Weizen stellt man die eigene Pasta her und verkauft sie in ganz Italien unter dem eingetragenen Namen "Libera Terra". In der gegenüberliegenden Provinz Kalabrien will man auf ganz ähnliche Weise das Land der 'Ndrangheta "legalisieren" und nutzen - die ersten Felder werden bereits bewirtschaftet.

Seit vergangenem Sommer gibt es sogar einen eigenen Wein: Er heißt "I cento passi" (100 Schritte). Auf dem Etikett ist allerdings ein anderer Zusatz vermerkt: "Prodotto su terre confiscate alla mafia" - was übersetzt so viel heißt wie: "Hergestellt auf den beschlagnahmten Feldern der Mafia". Der Name des Weins wurde mit Bedacht gewählt: "I cento passi" heißt ein Spielfilm des Regisseurs Marco Tullio Giordana aus dem Jahr 2000, der das Leben des italienischen Politikers und Anti-Mafia-Kämpfers Giuseppe "Peppino" Impastato (1948 bis 1978) schildert.

Impastato war Sohn eines Mafioso in Cinisi, der allerdings schon als Jugendlicher gegen den Vater und die Machenschaften der Mafia rebellierte, sich den Kommunisten anschloss und den Widerstand gegen die Enteignung der Bauern unterstützte, als für den Flughafen Palermo eine weitere Start- und Landebahn geplant wurde. Er organisierte kulturelle Veranstaltungen und gründete einen Radiosender. Über diesen berichtete er von den Vergehen der Mafia und verspottete öffentlich seinen Onkel, einen damals führenden Mafiaboss. Damit war sein Todesurteil gefällt. Als Impastato 1978 bei den sizilianischen Kommunalwahlen kandidierte, wurde er während des Wahlkampfs von der Mafia ermordet. Der Filmtitel und der Weinname beziehen sich auf die rund 100 Schritte, die zwischen dem Elternhaus Impastatos und dem Haus seines Onkels lagen.

Tempi passati: Inzwischen machen auch Händler gegen die Mafia mobil. In der sizilianischen Metropole Palermo eröffnet am Wochenende der erste "schutzgeldfreie Supermarkt": Es werden Waren von rund 30 Geschäftsleuten und Handwerkern angeboten, die sich rigoros gegen das organisierte Verbrechen zur Wehr setzen, wie die italienische Zeitung La Repubblica berichtet. Neben Holz und Keramik sind das eben auch die Produkte von "Libera Terra".

Selbst wer in Sizilien Urlaub auf dem Bauernhof machen möchte, kann das inzwischen getrost tun: In der Nähe von Corleone wurde gerade ein Gutshof des 1993 verhafteten Mafia-Bosses Totò Riina umgebaut und steht von diesem Sommer an mit 16 Betten für "Agriturismo" zur Verfügung. Und beim Spaziergang über die Felder der Umgebung werden die Bauern voll neuem Stolz erzählen, dass sich "in unseren Tomaten Vitamin L" befindet - "L wie legal".

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