Alternativen zum Weltjugendtag:"Gott hat euch trotzdem lieb"

Lesezeit: 4 min

Heidenspaß statt Höllenqual! Sündigen - heute Gott kündigen! Zur Freiheit hat uns Gott befreit: In Köln dreht sich alles um den Weltjugendtag, aber nicht immer in dieselbe Richtung.

Eike Schrimm

Die einen nutzen den Weltjugendtag, um ihren Glauben zu festigen, die anderen treten demonstrativ aus der Kirche aus oder gehen auf die Straße und demonstrieren ihre Verachtung gegenüber Kirche und Papst. Das Ketzer-Kollektiv hat zum Beispiel am Tag der Papst-Ankunft in Köln zur Kirchenaustrittsparty geladen. Rechtspfleger des Amtsgerichts saßen bereit, um die Anträge der Austrittsbereiten entgegenzunehmen, anschließend konnte der frisch gebackene Konfessionslose anstoßen auf seine neue Glaubensfreiheit.

Eine verkleidete Nonne und ein verkleidet Kardinal posieren bei der Gegendemonstration zum Weltjugendtag in Köln vor einem Plakat. (Foto: Foto: dpa)

Das Ketzer-Kollektiv hat mit 150 Antragstellern gerechnet, deshalb ist die Polizei auch mit zehn Mann angerückt. Nicht um die Kirchen-Müden von den Kirchen-Anhängern zu trennen, sondern um "den ordnungsgemäßen Betrieb im Gericht zu gewährleisten". Sie hatten allerdings nichts zu tun, denn der Andrang blieb aus, nur zwölf Kölner haben den Antrag bis zum Nachmittag unterschrieben.

"Ich möchte nicht mehr für meine Diskriminierung zahlen", sagt der 37-Jährige Peter. Er will seinen Nachnamen nicht nennen, da er mit negativen Auswirkungen in seinem Beruf rechnet. Auch Hartmut Schwarz, Mitglied des Ketzer-Kollektivs, folgt seinem Aufruf "Sündigen! Heute Gott kündigen!"

Warum erst jetzt? Bislang war ich nicht lohnsteuerpflichtig, so dass ich keine Kirchensteuer zahlen musste. Aber ich habe mir geschworen, wenn dieser Fall jemals eintreten soll, bin ich raus aus der Kirche." Aber nicht nur der Spareffekt steht im Vordergrund. "Ich habe nichts gegen Gott, aber gegen den Fanclub", sagt Schwarz. Die konservative Einstellung der katholischen Kirche zu den Themen Abtreibung, Verhütung und Stellung der Frau seien fundamentalistisch und nicht zu akzeptieren.

Mo Lilge ist zwar schon seit Jahren aus der Kirche ausgetreten, aber sie feiert trotzdem mit. "Ich möchte einfach zeigen, dass es andere Weltanschauungen gibt als die der katholischen Kirche. Ich bin fassungslos, dass so viele Jugendliche gekommen sind, um einem Papst zu zujubeln, der diese schlimmen Dogmen vertritt."

Die Jugendlichen auf dem Weltjugendtag sind allerdings auch nicht einverstanden, mit der konservativen Einstellung des Papstes. Die verliebten Teenager Hanna (17) und Alexander (17) aus der Nähe von Ulm wünschen sich zum Beispiel, dass die Kirche moderner wird - besonders in Bezug auf Verhütung und Pille. Trotzdem jubeln sie wie hunderttausend andere Jugendlichen dem Papst zu, so dass dieser später sagen wird: "Ihr macht mir Mut, meinen weiteren Weg zu gehen."

Wollen das Jugendlichen wirklich? "Ich bewundere ihn einerseits, aber ich muss doch nicht in allen Dingen mit ihm übereinstimmen. Allerdings wäre vielleicht ein anderer Papst angebrachter, der moderner eingestellt ist", sagt Hanna. Ihr Freund Alexander erklärt: "Wenn man dem Papst nicht zu jubelt, ändert das auch nichts. Für uns ist das ein Stück Gemeinschaftsgefühl. Der Papst vereint oder repräsentiert die Kirche. Mit dem Zujubeln zeigt man, dass man dazu gehört und aktiv mitarbeiten will."

Jacques Tilly muss genau so ein junges Liebespärchen im Kopf gehabt haben, als er das "Dino-Mobil" entworfen hat. Der Bildhauer hatte schon für den diesjährigen Kölner Karneval einen Umzugswagen dekoriert: Kardinal Meisner entzündete einen Scheiterhaufen, auf dem eine Frau liegt. Auf ihrem Kleid steht "Ich habe abgetrieben."

In diesem Sinne fährt seit Beginn des Weltjugendtags ein LKW durch die Kölner Innenstadt, auf seiner Ladenfläche folgen zwölf weiße Schäfchen einem zahnlosen, pinkfarbigen Dinosaurier mit Papsthut. Nur ein Schaf, schwarz bepelzt, flüchtet in die andere Richtung.

"Bei den Kölnern kommen wir gut an, aber am Dienstag sind wir in eine brenzlige Situation gekommen. Pilger des Weltjugendtages haben den Wagen aufgehalten, auf das Blech eingeschlagen zu den Schlachtrufen: Be-ne-det-to", sagt Tilly. ´

Er gehört der Vereinigung "Religionsfreie Zone" an, die wenige Wochen vor dem Weltjugendtag von Kölner Privatleuten und Institutionen wie der Giordano Bruno Stiftung ins Leben gerufen wurde. "Wir waren schockiert, dass es zu dieser Propaganda-Show keinen Gegenpol zu geben scheint", sagt Michael Schmidt-Salomon, Vorsitzender der "Religionsfreien Zone" und der Giordano Bruno Stiftung.

Unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual" hat die "Religionsfreie Zone" zu einer Demonstration - besser gesagt zu einer "alternativen Prozession" - aufgerufen. Vorneweg natürlich das "Dino-Mobil", um die 80 Kirchen-Gegner hinterher.

Inken Boje hat sich als Päpstin verkleidet. Für sie ist es eine Pflichtveranstaltung: "Unmöglich, wie die katholische Kirche gegen Homosexuelle vorgeht. Außerdem ist es doch ein Himmelfahrtskommando, wenn der Papst angesichts der Aids-Tragödie in Afrika Kondome verbietet."

Mehrere Male kreuzen sich die Wege von Pilgern des Weltjugendtages und der Demonstranten. Daniel Wagner (16) aus Ingolstadt traut seinen Augen nicht. "Ich finde das nur provokant und unpassend, gerade wenn der Papst zu Besuch ist und die ganze Welt auf Köln schaut", sagt der 16-Jährige. Eine andere Pilgerin singt ihnen entgegen "Ihr seid so wenige, wir sind so viele. Gott hat euch trotzdem lieb". "Fahr zur Hölle" verwünscht sie ein Demonstrant.

Während an vielen katholischen Kirchen das Motto des Weltjugendtages "Wir sind gekommen, um ihn anzubeten" hängt, hat Pfarrer Bertold Höcker das Plakat mit dem Bibelzitat "Zur Freiheit hat uns Christus befreit" an seiner evangelische AntoniterCityKirche anbringen lassen. Darunter stehen Stehtische, beflaggt mit Regenbogen-Fahnen - das Symbol für Schwule und Lesbische.

In Zusammenarbeit mit der Melanchthon-Akademie und Rubicon, dem Beratungszentrum für Schwule und Lesbische, bietet die AntoniterCityKirche in der Kölner Fußgängerzone einen Anlaufpunkt für schwule und lesbische Jugendliche. "Wir sind keine Gegenveranstaltung zum Weltjugendtag, sondern eine Ergänzung", sagt Pfarrer Höcker.

"Wir möchten den Jugendlichen zeigen, dass ihnen aufgrund ihrer Homosexualität nicht das christliche Fundament weggerissen wird. Vielmehr gibt es eine Vielfalt in der Theologie, die Sexualität nicht auf Biologie reduziert."

Manfred Loevenich nimmt an den Stehtischen vor der Kirche den ersten Kontakt auf mit Jugendlichen. "Wir sprechen niemanden an, sondern warten bis sie fragen", sagt Loevenich.

"Das Beratungsangebot wurde allerdings nicht genutzt, aber das Informationsbedürfnis war sehr groß. Viele Jugendlichen haben sich aus ihren Pilgergruppen gelöst, sind zurückgekommen, um sich unauffällig den Flyer zu schnappen. "Unser Ziel haben wir erreicht. Wir sind von den Jugendlichen wahrgenommen worden. Und wer Rat braucht, weiß nun, wo er ihn bekommen kann", sagt Loevenich. Aber manchem Pilger gefiel das Angebot gar nicht.

"Als ein junges Pärchen vorbei kam, schimpfte sie mit dem Bibelzitat 'Der Mann darf nicht bei einem Mann schlafen wie bei einer Frau'. Ich entgegnete ihr 'Und das Weib schweige in der Gemeinde'. Natürlich führt diese wörtliche Bibelauslegung ins Leere, aber ich wollte ihr klar machen, dass die Bibel oft widersprüchlich ist und man die Zitate nicht immer wörtlich nehmen darf", sagt Loevenich.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: