Alfred Drees:Vom Elektriker zum Klinikchef

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Nach dem Krieg auf sich allein gestellt arbeitete der gelernte Elektriker am Theater. Bald erkannte er jedoch, dass noch viel mehr in ihm steckte. Doch dann wurde Alfred Drees erst einmal Bergmann und Arzt in Nigeria.

Warum sollte gerade dieses Leben verfilmt werden?

Als kleiner Junge wuchs Alfred Drees in anderen Familien auf, ohne Vater und Mutter viel zu sehen. (Foto: Foto: privat)

Es soll zeigen, wie ein Leben sich entfalten kann.

Biografie

Ich wurde 1930 in Osnabrück geboren. Als Einzelkind in einer Unterschichts-Mietskaserne aufgewachsen, erlebte ich frühzeitig die Hilfsbereitschaft kinderreicher Familien, die mich versorgten, nach dem meine Mutter bereits in meinem ersten Lebensjahr für zwei Jahre in ein Tuberkuloseheim musste und mein Vater in meinem dritten Lebensjahr aus politischen Gründen für zwei Jahre in ein Konzentrationslager verschleppt wurde, in sogenannte Schutzhaft.

Ich war Hitlerjunge. Die illegalen Aktivitäten meines Vaters in der Nazizeit wurden mir deshalb verschwiegen, so dass ich mich 1945 völlig neu orientieren musste. Mit 14 Jahren lernte ich den Beruf eines Elektrikers und bekam 1948 meinen Gesellenbrief.

Die Währungsreform machte mich jedoch kurz danach arbeitslos. Damit begann meine erste Wanderschaft. Sie führte mich nach Frankreich, in die Kohlegruben von Pas-de-Calais. Hier lebte ich in einem Barackenlager mit algerianischen und italienischen Kumpeln. Die harte Arbeit "unter Tage" sowie die kulturelle Vielfalt Frankreichs und die der fremdländischen Kumpel halfen mir meine Vorstellungswelt weiter anzureichern.

Von 1950 bis 1952 arbeitete ich als Fahrradbote in einer Wäscherei in Osnabrück und suchte Halt in links-politischen Gruppierungen. Als das auf Grund meiner bizarren Einstellungen zusammenbrach, ging ich erneut in ein Bergwerk ins Ruhrgebiet, um danach eine längere Wanderschaft zu beginnen, den Rhein entlang und dann quer durch den Schwarzwald und durchs Allgäu.

Hier begann schließlich ein neuer Lebensabschnitt. Die "Freiburger Musikbühne zur Pflege von Oper und Operette" entdeckte mich als Elektriker. Ich wurde Bühnenbeleuchter und kam über das Osnabrücker Theater an die Oper nach Frankfurt. Mein Schichtzugehörigkeitsgefühl veränderte sich.

Die Aufnahmeprüfung in einer Schauspielschule endete jedoch mit der Bemerkung, ich solle doch lieber bei meinem Beleuchten bleiben. Im Theater lernte ich Darsteller in ihren jeweils wechselnden Identitäten auf der Bühne und in der Kantine kennen.

Bei der Ausleuchtung von Szenen sowie in der anfangs bedrängenden Vielfalt von Tönen, Kompositionen und Tänzen begann ich die Welt in ihrem kulturellen Gewordensein und in ihrer Vielfarbigkeit in neuer Weise zu erleben. Da reifte in mir, inzwischen 27 Jahre alt, die Idee, mein Abitur zu machen.

Mein Medizinstudium in den sechziger Jahren war politisch garniert. Nach dem Examen erprobte ich in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus partnerschaftliche Kommunikationsformen zwischen Mitarbeitern und Patienten. Anschließend ging ich im Biafrakonflikt als Rotkreuzdoktor nach Nigeria.

Hier sollte ich erneut ein fremde Welt kennen lernen. Grausame Stammeskriege und die von mir mit Neugier und Erstaunen erlebten Verhaltensweisen und Einstellungen der Nigerianer halfen mir, meine Einsichten in die Vielfarbigkeit menschlicher Erlebens- und Reak-tionsmöglichkeiten weiter zu vertiefen.

Danach begann mein Weg in psychiatrische, psychosoziale und psychotherapeutische Betätigungsfelder. In der Medizinischen Hochschule Hannover fand ich 1969 Kampfgefährten, mit denen ich mich für die Humanisierung der Psychiatrie einsetzten lernte.

Wir entwickelten gemeinde-psychiatrische Betreuungsformen und erprobten hierarchiefreie Klinikstrukturen sowie partnerschaftliche Behandlungsmethoden und politische Durchsetzungsstrategien. Hier konnte ich meinen psychiatrischen Facharzt sowie meine psychoanalytische Ausbildung abschließen.

Nach meiner Tätigkeit in der Psychosomatik als Oberarzt mit abschließender Habilitation und anschließender Lehrzeit als Chefarzt im Rhönklinikum konnte ich schließlich von 1982 bis zu meiner Pensionierung 1995 in der psychiatrischen und psychosomatischen Klinik in Duisburg/Rheinhausen als leitender Arzt meine Erfahrungen einbringen.

In dieser Klinik wurden weitgehend hierarchiefrei, sozial engagiert und gemeinde-orientiert partnerschaftliche Gespräche erprobt. Hier entwickelte sich eine für Patienten und Therapeuten entlastende prismatische Kommunikationsform, die ich in 160 wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschrieb und auf zahlreichen Kongressen im In- und Ausland vorstellen konnte.

Prismatisieren lässt sich im Vergleich zum Sonnenlicht, als die Freisetzung der farbigen Vielfalt unterschiedlicher Identitäts- und Erlebensbereiche des Menschen verstehen. Die defokussierende Funktion prismatischer Kommunikation mit psychotischen, gefolterten und sterbenden Patienten sowie die prismatische Supervision in entsprechenden Behandlungs-, Betreuungs- und Balint-gruppen fanden großes Interesse. Erwähnenswert ist wohl auch, dass ich für meine sozial-psychiatrischen Aktivitäten 1995 das Bundesverdienstkreuz überreicht bekam.

Hiermit sollte die Entwicklung eines Elektrikers beschrieben sein, der als Bergarbeiter, Wanderbursche und Bühnenbeleuchter einen Weg fand, mit 29 Jahren sein Abitur machte und über unterschiedliche ärztliche Funktionen schließlich 13 Jahre eine sozialpsychiatrische Klinik leitete und der in der Weiterbildung und Supervision von Ärzten, Pflegekräften, Sozialpädagogen, Sondertherapeuten, Seelsorgern und Lehrern weiterhin seine Erfahrungen zu vermitteln sucht. [...]

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