70 Jahre Vespa:Blechsehnsucht

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Die Vespa ist ein Kultobjekt. Aber welches Lebensgefühl vermittelt sie eigentlich? Eine Würdigung zum 70. Geburtstag des einzig wahren italienischen Volksgefährts.

Von Oliver Meiler

Wenn es von einem Motorroller heißt, er vermittle ein Lebensgefühl, dann muss man sich vielleicht einmal fragen, was da schiefgelaufen ist mit dem Leben im Allgemeinen. Aber das ein anderes Mal.

Die Welt, und Italien im Besonderen, feiert an diesem Wochenende den 70. Geburtstag der Vespa, der wunderbaren Wespe, eines Fahrzeugs mit dem Ruf einer ewig schönen Stilikone. Natürlich war alles noch viel schöner, als beim Fahren die Haare lose im Wind wehen durften, im Säuseln der Freiheit. Ohne Helm, aber mit Sonnenbrille. Das war wie Fliegen. Und wenn es dann auch noch an der Küstenstraße von Viareggio passierte, wenigstens in der Vorstellung, ganz zu schweigen von der Costiera Amalfitana, der Piazza San Carlo in Turin oder der Via Veneto in Rom, umweht von einer späten Welle der Dolce Vita, dann schwang im lauten Schwirren und Surren des Motors die ganze Italianità mit. Oder nicht?

Für die Italiener ist die Vespa zunächst ein Stück Industriegeschichte. Nach dem Krieg fragte sich Enrico Piaggio, ein Großindustrieller aus Genua, womit er seine Fabrikarbeiter in Pontedera fortan beschäftigen könnte. Sie hatten Militärflugzeuge gebaut. Piaggio erkannte die Zukunftschancen des Individualverkehrs auf zwei Rädern, wies seine Ingenieure an, den Prototypen eines Scooters anzufertigen. Dabei kam "Paperino" heraus, so nennen die Italiener sonst Donald Duck. Piaggio gefiel das Modell nicht. Er trug dem Designer Corradino D' Ascanio auf, ein neues zu zeichnen. Der mochte zwar Motorräder nicht, hielt sie für unbequem, ließ sich aber überzeugen und erfand einen leichten Zweitakter mit feinen Linien. Als Piaggio den Roller zum ersten Mal sah, soll er gesagt haben: "Der sieht aus wie eine Wespe, mit diesem runden Hintern." Das Patent für die Vespa 98 wurde am 23. April 1946 hinterlegt.

Die Firma hatte Mühe, die ersten paar Tausend zu verkaufen, obschon sie damit warb, dass der Benzinkonsum ja unschlagbar tief war: nur ein Liter für 50 Kilometer. Ausgerechnet im selben Jahr, im Herbst, lancierte auch Innocenti ein Motorrad für die Massen, die Lambretta. Sie sollte der Vespa Konkurrenz machen, brachte es aber nie zum selben Kult. Und das zweite und potentere Modell von Piaggio, die Vespa 125, lief ja dann spektakulär gut. Nach vier Jahren wurde der "Ciclomotore" aus Pontedera schon in 114 Ländern verkauft. Es folgten 150 weitere Modelle, viel Blech und Chrom für Sammler und Fanclubs überall. Bis heute ist es die nostalgisch durchsetzte Sehnsucht, diese Liebe zu den eleganten Retrolinien, die den Verkauf treibt, zuletzt wieder üppig.

In Italien fuhren sie immer schon alle Vespa: Politiker und Arbeiter, Professoren und Studenten, Manager, Briefträger, Dorfpfarrer. Die Vespa war sozial und erschwinglich, ein Volksroller - er motorisierte die Jugend. Und die Vespa beschleunigte ganz nebenbei die Emanzipation der Frau. In den Anfängen saßen die Italienerinnen noch vor allem seitwärts und hinten auf den Sätteln, hinter Vätern, Brüdern, Verlobten. Aber da waren sie nun plötzlich und endlich mittendrin im fröhlichen Leben des Wirtschaftsbooms, die Haare im Wind. Bald schon rutschten sie nach vorn, ans Steuer. Die unprätentiöse und doch glamouröse Vespa wurde zur Ikone jener Zeit.

Das Kino half bei der Verklärung. Als Audrey Hepburn und Gregory Peck 1953 in "Roman Holiday" auf einer weißen Vespa durch Rom gondelten, war das wie ein langer, schöner, internationaler Werbespot für das leichtfüßige Italien der Nachkriegszeit, für Rom, für Piaggio. Alberto Sordi, "Romano de Roma", wie die Römer die geliebten Söhne der Stadt nennen, fuhr 1956 in der Komödie "Mi permette, babbo!" Vespa, was sie in Italien selbst zum Kult erhob. Und dann gibt es da die schöne Episode in Nanni Morettis Film "Caro Diario" von 1993, gewissermaßen eine Hommage an das Gefährt und an dessen Symbiose mit der Stadt: Der Regisseur und Schauspieler fährt durch die menschenleeren und chaosfreien Straßen Roms im August, vorbei an allen Monumenten. Es ist so viel Platz, dass er den runden, tiefen Hintern seiner Vespa in weiten Schlaufen wiegen lässt. Es ist ein Schweben, ganz bestimmt.

Und so eilen heutzutage die Touristen, kaum sind sie in Rom angekommen, zu einem der vielen Leihdienste für Vespas und mieten sich ein paar Stunden von diesem ominösen Lebensgefühl. Sie sitzen dann steif auf dem Sattel, man sieht sie von Weitem. Sie meiden opulente Schlaufen, fürchten sich (durchaus zu Recht) vor den vielen Löchern im Kopfsteinpflaster, lassen sich überholen von genervten Lebensgefühlroutinierten, von ganzen Schwärmen von Wespen, die sie da von allen Seiten bedrängen, laut und mittlerweile ganz unromantisch.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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