Zweite Pisa-Studie:Münchner Kinder: Ohne Dialekt leichter zum Abi

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Fachleute debattieren darüber, warum Schüler auf dem Land seltener auf das Gymnasium wechseln. Eine erneute Studie zeigt Differenzen zwischen Arbeitern und Akademikern.

Christoph Hickmann

Für besonderes Aufsehen sorgt in Bayern vor allem ein Ergebnis der zweiten Pisa-Studie: Dass Kinder aus Arbeiterfamilien das Gymnasium besuchen, kommt im Freistaat deutlich seltener vor als im Bundesgebiet. Zwar gibt es für München keine entsprechenden Zahlen, doch vermuten Bildungsexperten, dass solche Effekte in der Landeshauptstadt weniger stark sind.

Viele Eltern haben Angst, ihren Kindern in der Schule nicht mehr helfen zu können. (Foto: Foto: AP)

So nennt Josef Tress, Vertreter der Stadtschulrätin, den Anteil ausländischer Kinder an allen Gymnasiasten eine "Hilfsgröße", mit der sich zumindest abschätzen lasse, wie hoch die Hürde für den Besuch eines Gymnasiums liege. An den Münchner Gymnasien liege der Anteil ausländischer Kinder bei insgesamt 10,3, an den städtischen Gymnasien bei 13,7 Prozent.

In ganz Bayern waren im Schuljahr 2003/2004 nur drei Prozent aller Gymnasiasten Ausländer. "Nun kann man natürlich einwenden, dass es auf dem Land nicht so viele Ausländerkinder gibt", so Tress. "Aber ich glaube dennoch, dass in München die Trennung zwischen so genannten bildungsfernen und bildungsnahen Schichten nicht so scharf ist wie in Bayern insgesamt."

Starker Dialekt reduziert Sprachkompetenz

Nach der am Donnerstag veröffentlichten zweiten Pisa-Studie ist die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, für Kinder von Akademikern in Bayern 6,6 mal höher als für Kinder von Facharbeitern, die in Lesen und Mathematik genauso gut sind wie die Akademikerkinder.

Werden diese Fähigkeiten nicht berücksichtigt, liegt die Wahrscheinlichkeit sogar 7,8 mal höher. Bundesweit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit gleicher Lese- und Rechenkompetenz auf ein Gymnasium wechselt, in Akademikerfamilien dagegen nur viermal höher als in Arbeiterfamilien.

Auf einen entscheidenden Unterschied zwischen Land und Großstadt weist Max Schmidt hin, Vorsitzender des bayerischen Philologenverbandes: "In München ist vor allem unter jungen Leuten der Dialekt weggefallen." In ländlichen Gebieten hingegen schränke ein starker Dialekt teilweise die Sprachkompetenz von Kindern ein.

Auf Wunsch der Eltern nicht aufs Gymnasium

Für die Diskrepanz zwischen Bayern und dem übrigen Bundesgebiet sieht Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des deutschen Philologenverbandes, mehrere Gründe. So komme es vor allem in landwirtschaftlich geprägten Gegenden häufiger vor, dass Jugendliche auf Wunsch ihrer Eltern entweder selbst in die Landwirtschaft einstiegen oder in einer anderen Branche möglichst schnell ihr eigenes Geld verdienten.

In manchen Regionen, etwa dem bayerischen Wald oder der Rhön, gebe es Schulen, an denen 30 Prozent der für die höhere Schullaufbahn geeigneten Kinder trotz ihrer Fähigkeiten kein Gymnasium besuchten. "Zusätzlich haben dort viele Eltern Angst, ihren Kindern auf dem Gymnasium nicht mehr helfen zu können", so Meidinger.

Ludwig Unger dagegen, Sprecher des bayerischen Kultusministeriums, verweist darauf, dass es in Bayern auch ohne Abitur vergleichsweise gute Berufsaussichten gebe. "Wir glauben deshalb, dass in Bayern das Gymnasium nicht allein als Königsweg angesehen wird."

Rigide Auslese, zu wenig Förderung

Vor allem in ländlichen Gegenden komme hinzu, dass junge Menschen weniger mobil seien. "Da gibt es schon die Haltung, dass gesagt wird: Wir wollen, dass unsere Leute hier bleiben." Für junge Leute etwa aus kleineren Gemeinden komme ein Studium dann kaum noch in Betracht.

Oskar Brückner allerdings, bayerischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sieht den Grund für die neuesten PISA-Ergebnisse eher im Schulsystem selbst: "In unseren Augen ist vor allem die in Bayern besonders rigide Auslese schuld daran."

Außerdem würden Schüler aus bildungsferneren Schichten nicht genügend gefördert, ebenso wenig wie Kinder mit Migrationshintergrund. Dies ist, so die Ansicht des Stadtschulrat-Sprechers Tress, in München weniger der Fall.

© SZ vom 5.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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