Zeichnen mit Zucker:"sugar stuff" - Süßes für die Wand

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Süßes ist ja bekanntlich gut für die Nerven. Doch das ist nicht der Grund, warum Ai Kanayas Bilder von Küchen aus Zucker sind. Für ihren psychischen Ausgleich zieht die japanische Künstlerin das Zeichnen von Mangas vor. Da darf es ruhig mal ein wenig düster sein.

Interview: Franziska Schwarz

Als Ai Kanaya den Flug nach Tokio gebucht hatte, fragte sie sich, ob sie ihre Bilder wohl in der Maschine unterbringen würde, oder sie wegwerfen müsste. Gut, dass die japanische Künstlerin darüber laut nachdachte. Günther Huinink hörte zu und verhinderte ein "kulturelles Verbrechen", indem er ihre Bilder in München ausstellt. Kanayas Bilder hängen nun im "Weltraum". Das ist nicht im All, sondern ein Projektraum in der Rumfordstraße.

Die 32-Jährige ist in Tokio geboren und hat dort vier Jahre Radierung an einer Kunsthochschule studiert. Am Ende ihrer Ausbildung hatte die Japanerin sich eine besondere Technik angeeignet. Das Ergebnis bezeichnet sie gern als "sugar stuff". Süß, aber oberflächlich? Fehlanzeige!

sueddeutsche.de: Sie nennen Ihre Zeichnungen "Zucker-Bilder". Was ist damit gemeint? Kanaya: Ich habe sie per Sugar Aquatint hergestellt - eine spezielle Technik, bei der Zucker Zum Einsatz kommt. Kein normaler Haushaltszucker, sondern eher eine Art Sirup. Den gibt es so nur in Japan. Ich mag die Linie, die so entsteht, viel lieber - sie ist weicher. Ich kann sehr frei und sorglos mit Zucker zeichnen. Oft nimmt man für Radierungen Nadeln - und die kratzen. Den Zucker trage ich mit dem Pinsel auf. Mit der weichen Linie kann man viel malerischer umgehen, und mehr ausdrücken.

sueddeutsche.de: Ist das typisch japanisch - mit Zucker zeichnen? Kanaya: Nein, ich glaube sogar, das kommt ursprünglich aus Deutschland. Ich habe sehr viel mit Radierung experimentiert, und bin dann bei Zucker als Material geblieben.

sueddeutsche.de: Flüssiger Zucker an den Händen - ist man da während des Arbeitens nicht ständig am Naschen? Kanaya: Nun ja, als ich an der Supermarktkasse mit dem ganzen Zucker stand, haben die Leute bestimmt gedacht, ich würde ihn aufessen. Doch ich lecke nur manchmal einen Finger ab, während des Zeichnens... Das Zeug ist sehr klebrig und abartig süss.

sueddeutsche.de: Warum zeigen Sie so viele Küchen-Ansichten? Kanaya: Das ist eine sehr persönliche Sache: Immer, wenn ich meine Freunde besuche, bitte ich sie, mir die Küche oder das Badezimmer ansehen zu dürfen. Das ist ein sehr spezieller Platz. Auch wenn es unaufgeräumt oder sogar schmutzig ist - das macht es um so spannender für mich. Für ein gutes Bild spioniere ich sie manchmal sogar aus (lacht). Dann skizziere ich das Chaos heimlich ganz schnell. Später setze ich die Skizze in eine Radierung um.

sueddeutsche.de: Muss man als Gastgeber also befürchten, dass Sie heimlich in die Kühlschränke und Medizinschränkchen gucken? Kanaya: Nein, nein. Und kleine Räume interessieren mich auch nicht. In einem Kühlschrank ist es nicht sonderlich aufregend. Es geht mir um eine bestimmte Atmosphäre. In einer Küche fliegen Teekannen, Mikrowellen, Brotkrumen durcheinander, man kennt das ja. Alles ist offen zu sehen, die Küchen-Arbeitsfläche zeigt alles. Vor allem, nachdem meine Freunde gegessen haben. Wenn ich dann das Geschirr auf der Spüle sehe, die Reste entdecke - dann sehe ich die Vergangenheit. Hier haben sie also gegessen, hier haben sie etwas angefasst. Sie haben ihr Geschirr nicht gewaschen, sich vielleicht gesagt: Das mache ich später. Diese Dinge interessieren mich. Nur ein Kühlschrank, das reicht nicht für ein Bild. Ich muss mehr Raum sehen.

sueddeutsche.de: Hat es eine spezielle Bedeutung für Sie, mit einem Lebensmittel zu zeichnen? Kanaya: Mir ist bewusst, dass die die Idee mit dem Zucker vielleicht ein wenig effekthascherisch anmutet. Aber darauf kommt es mir nicht an. Ich liebe einfach diese weiche "sugar line". Die kann man auf keine andere Weise so hinbekommen, nicht mal, wenn man mit Öl zeichnet. Zugegeben, es ist schon komisch, dass ich gerade Küchen mit Zucker zeichne. Aber das ist eher Zufall. Es geht nicht ums Naschen, oder darum, dass Zucker zu Küchen passt. Wenn ich zum Beispiel Chips gegessen habe, dann denke ich automatisch daran, dass ich jetzt auch mit den fettigen Fingern zeichnen könnte. Das Ganze ist sehr körperlich.

sueddeutsche.de: Können Sie sich auch etwas anderes als Zuckerbilder vorstellen? Kanaya: Ich würde mich gerne wieder mehr mit Mangas beschäftigen. Seit zwei Jahren mache ich das, und ich bin ziemlich gut. Deshalb würde ich es gerne zu meinem Beruf machen.

sueddeutsche.de: Zeichnen Sie Mangas für Mädchen oder für Jungen? Die sind ja immer sehr unterschiedlich. Kanaya: Momentan versuche ich für Mädchen zu zeichnen - kitschig und rührend. Aber ich mache auch die Variante für Jungen. Das kommt von meiner dunklen Seite: Alpträume, Frust oder Stress. Es funktioniert wie Psychotherapie. Deshalb habe ich zwei Typen von Geschichten: düstere und niedliche.

sueddeutsche.de:Was haben die Mangas, was Zucker nicht hat? Kanaya: Bei den Küchen-Zeichnungen denke ich mehr über die Atmosphäre nach. Aber die Herausforderung ist, die Geschichte dazu zu erschaffen. Nun möchte ich Comics entwerfen, denn die besitzen immer auch eine Handlung.

Die Ausstellung im Atelier "Weltraum", Rumfordstraße 26, ist bis Sonntag, 13. August gelaufen.

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