Zehnte Liga:Ein Präsident greift ein

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Dem SV Istiklal droht in dieser Saison gleich ein doppelter Abstieg - aber sie wehren sich: mit viel Kampfgeist und noch mehr Geschrei.

Marc Baumann

Erinnern Sie sich an das Sanostol-Kind? An den kleinen Junge aus dem Werbefernsehen der achtziger Jahre? Der Fernsehspot lief über Jahre, und er ging so: Ein Bub steht verloren im Regen, mit traurigem Gesicht, noch dazu in einer Pfütze, und niemand spielt mit ihm. Dann kommt die Mutter, gibt ihm Sanostol (soll die Abwehrkräfte stärken), undder Junge wird fröhlich, hüpft durchdie Pfützen und läuft zu den anderen Kindern. Damit nun zum Torwart des SV Istiklal.

Fast wie in einer Loge: Zwei U-Bahn-Fahrer bestaunen, wie Munzir Alhameid, der Torwart von Istiklal, einen Ball holt. (Foto: Foto: Christina Pahnke)

Denn Schlussmann Munzir Alhameid hatte am Sonntag um 12.11 Uhr große Ähnlichkeit mit dem Sanostol-Jungen: Alhameid stand verloren im Regen, mit traurigem Gesicht, noch dazu in einer Torraumpfütze, und seine Vorderleute hätten am liebsten ohne ihn weitergespielt. Denn um 12.10 Uhr hatte Istiklals Keeper ein Distanzschüsschen zur allgemeinen Überraschung NICHT gefangen.

Er wollte den Ball wegfausten, so weit der Plan, nur flog die Faust am Ball vorbei ins Nichts. So eine Aktion sieht nie gut aus, aber der Zeitpunkt war ungünstig: Istiklal, der Tabellenletzte, hatte aus einem 0:1 eben ein 1:1 gemacht.

Und das in diesem "Sechs-Punkte-Spiel", wie Spieler beider Teams mathematisch nicht korrekt, aber von der Einstellung her richtig sagten.

Ein Schlückchen Sanostol hätte der Mannschaft jetzt gut getan: Abwehrkräfte hatten sie nötig. Denn erfolgloser als der SV Istiklal ist in dieser Saison nur eine Mannschaft: der SV Istiklal selber. In der Kreisklasse Gruppe 2 waren sie vor diesem Wochenende Letzter. Noch weniger Punkte hatte nur ihre zweite Mannschaft, in der Kreisklasse Gruppe 4.

"Zwei Teams in der gleichen Klasse, das ist einfach zu viel", hat Ahmet Gündogar, ihr Pressesprecher, gemerkt, "wir konzentrieren uns jetzt auf die erste Mannschaft." Die Zweite hat ab sofort Narrenfreiheit, die Erste soll mit aller Kraft die Klasse halten. Und wenn sich der Vereinspräsident persönlich das Trikot überziehen muss! Genau das hat er an diesem Sonntag übrigens gemacht. Zum ersten Mal in der Saison.

Mitte der zweiten Spielhälfte ließ Mustafa Bas die lange Hose und die warme Jacke fallen, die Entpuppung dauert nur einige Sekunden, hervor kam kein Schmetterling, eher das Gegenteil: ein Kampfstier von einem Mann - hoch gewachsen, kräftig gebaut. Das ganze Spiel über hatte Mustafa Bas Anweisungen vom Spielfeldrand gerufen, im 15-Sekunden-Takt, jetzt bezog er Position in der Abwehr.

Noch schien der VfB Sparta als der wahrscheinlichere Sieger, das verdankte die Studentenmannschaft vor allem Patrick Schärfl. Die Nummer 11 hatte einen schönen Spielzug mit einem harten Flachschuss zum 1:0 vollendet und nach dem 1:1 noch das 2:1 für Sparta erzielt. "Wir hoffen, dass sie sich bei Istiklal gegen Ende streiten, das ist bei türkischen Mannschaften oft so", sagte ein Sparta-Spieler zur Pause.

Aber er täuschte sich. Denn er hatte nicht die Halbzeitansprache von Präsident Mustafa Bas erlebt: "Ihr braucht Herz!", hatte der seinen Spielern gesagt, nein, befohlen - und sie hielten sich daran.

Freundlich unterstützt von Spartas unschlüssiger Abwehr traf Erkan Gultekin zum 2:2, ein Freistoß von Istiklals Cueneyt Seletli fand einen freistehenden Stürmer, der zum 3:2 köpfte, Maximilian Reimschüssel vollendete per Konter zum 4:2. Sogar Istiklals Torwart wuchs über sich hinaus, bei einem platzierten Freistoß von Spartas Nummer 11 hob Munzir Alhameid auf einmal ab, ein kurzer, aber erfolgreicher Flug, den Ball faustete er unterwegs am Pfosten vorbei ins Aus. Istiklals Anhang klatschte erleichtert.

"Jetzt haben wir eine 90-prozentige Chance, nicht abzusteigen, hätten wir verloren, wäre unsere Chance auf den Klassenerhalt bei 30 Prozent gewesen", rechnete Pressesprecher Gündogar vor. Vier Mannschaften stehen mit je elf Punkten am Tabellenende - Istiklal, Sparta, Garching II und Rot-Weiß Tunesien.

Nach dem 2:4 ist nun auch Sparta ganz unten. Eine angekündigte Katastrophe: "Auf der Weihnachtsfeier hat der Vorstand es einfach mal ausgesprochen, dass es gegen den Abstieg geht", sagte Abteilungsleiter Michael Nickmann. "Man merkt die gedrückte Stimmung, die Verkrampfung", fand Nickmann.

Sie haben vorne zu selten auf Istiklals anfälligen Torwart geschossen und hinten fehlte die Entschlossenheit. Nickmann würde gerne wie Istiklals Präsident mitspielen, Nickmann ist erst 23 Jahre alt, aber die Ausbildung lässt es nicht zu. Dabei könnten sie gerade ihn brauchen: Nickmann ist angehender Berufsfeuerwehrmann.

© SZ vom 31.03.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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