Zehntausende protestieren:"Die größte politische Kundgebung seit Jahrzehnten"

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Beim DGB-Aktionstag auf dem Marienplatz hagelt es Kritik an der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung.

Mehr als 30000 Menschen laut DGB, 20000 laut Polizei haben am Samstag beim DGB-Aktionstag ,,Deutschland sozial gestalten - das geht besser'' gegen die Reformpläne der großen Koalition protestiert und ein Ende der ,,Politik für Millionäre'' gefordert. Rente mit 67, Mini-Jobs und Niedriglohnarbeit waren einige der angeprangerten ,,Fehlentscheidungen''.

Protest in München: "Die größte politische Kundgebung seit Jahrzehnten" (Foto: Foto: AP)

,,Die größte politische Kundgebung seit Jahrzehnten in München'' sei dieser Aufmarsch, freute sich die stellvertretende Vorsitzende des DGB Bayern, Heide Langguth. Immer wieder mussten die Teilnehmer auf dem Marienplatz gebeten werden, noch etwas zusammen zu rücken, um Platz für die nach dem Zug vom DGB-Haus durch die Innenstadt eintreffenden Demonstranten zu machen. ,,Schwarz und Rot ist unser Tod'', ,,Merkels Reformen sind unverschämt'' und ,,Von Arbeit muss man leben können'' lauteten Appelle auf den zahlreichen Transparenten.

,,Ich bin stolz auf euch'', sagte Hauptredner Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). ,,Und wenn wir noch mehr werden, schaffen wir auch eine bessere Politik.'' Man werde nicht länger zusehen, wie ,,Manager raffgierig sind und Politiker dabei zusehen'', erklärte er unter Jubel und Applaus der aus ganz Bayern angereisten Gewerkschafter. ,,Wir sind es leid, dass immer auf den Ärmsten der Gesellschaft rumgeknüppelt wird.'' Man kenne durchaus ökonomische Notwendigkeiten. Wenn jedoch Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagerten, solle man sie ,,zur Kasse bitten, denn die Werte sind von uns erwirtschaftet worden''. Als ,,Schwachsinn'' bezeichnete Möllenberg die Rente mit 67. Auch der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer hatte bereits in seiner Rede während der Auftaktkundgebung vor dem DGB-Haus gefordert, ,,diese Fehlentscheidung rückgängig zu machen''. Angesichts der 4,3 Millionen Arbeitslosen solle man eher über eine Verkürzung der Arbeitszeit und flexible Ausstiegsmöglichkeiten nachdenken. ,,Es mag ja sein'', so Neugebauer, ,,dass Politiker erst mit 60 Jahren ihre Arbeitstemperatur erreicht haben. Aber wer 40 Jahre lang am Band gestanden hat, weiß, was er getan hat.'' Die Rente solle nicht am Lebensalter festgemacht werden, sondern an der Zahl der gearbeiteten Jahre, forderten auch andere Redner.

,,Wir sind für Reformen, aber Reformen mit falschem Ansatz müssen vom Tisch'', forderte Möllenberg. Dazu gehörten unter anderem die Mini-Jobs. Im übrigen fordere man den gesetzlich geschützten Mindestlohn von 7,50 Euro. 18 Länder der Europäischen Gemeinschaft hätten bereits einen gesetzlich geschützten Mindestlohn, betonte er.Die besonderen Missstände im Freistaat stellte der bayerische DGB-Chef Fritz Schösser heraus. ,,Wo steckt der bayerische Ministerpräsident, wenn es darum geht, der Allianz, Siemens, Telekom und anderen Konzernchefs den Marsch zu blasen, wenn sie Arbeitsplätze leichtfertig vernichten und die Produktion wichtiger Technologien am Standort Bayern eliminieren, wie zuletzt bei BenQ?'', fragte er und erntete Zustimmung nicht nur bei den zahlreichen anwesenden BenQ-Mitarbeitern in blauen Firmen-T-Shirts. ,,Das wars. Aber nur für heute'', verkündete Ingrid Sehrbrock, stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bundesvorstandes, zum Abschluss. Nur ein kleiner Zwischenfall beschäftigte die Polizei. Eine Gruppe schwarz gekleideter Demonstranten legte sich mit Beamten an, trat auf sie ein. Eine 29-Jährige wurde festgenommen.

© SZ vom 23.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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