Neues Buchprojekt:Die schöne Nachbarin

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Ein Jahr lang hat Matthias Gangkofner Tag für Tag die Benediktenwand porträtiert. Der Schriftsteller Lukas Hammerstein hat sich dazu seine eigenen Gedanken gemacht

Stephanie Schwaderer

Die Benediktenwand, das führt einem Gangkofner auf 160 Seiten vor Augen, ist mehr als ein gelungener Faltenwurf der Plattentektonik. Sie wandelt permanent ihr Gesicht, kann eiskalt, rotglühend oder auch regelrecht aufgewühlt sein. (Foto: N/A)

Matthias Gangkofner leistet sich als Künstler gern opulente Geliebte. Zuletzt huldigte der am Boschhof lebende Maler einer Mühle. Nun hat er sich einen Berg ausgesucht: die Benediktenwand. Die ist seit zehn Jahren eine markante Konstante in seinem Leben. Wenn der 52-Jährige aus seinem Atelier hinaus in die kühle Moorluft tritt, dann liegt sie da, erhaben leuchtend oder von Wolken umspielt, rotglühend oder kalt wie Eis. Gangkofner hat ihr viele, innige, bisweilen auch schweißtreibende Stunden gewidmet und sein neustes Buch: "Benediktenwand/09".

Das Konzept des 160 Seiten starken, hochwertig aufgemachten Werks ist rasch erklärt: Ein Jahr lang stellte sich Gangkofner tagtäglich der Herausforderung, seine majestätische Nachbarin zu porträtieren. Von unten, von oben und von der Seite. Bei Regen, Sonne, Sturm und Schnee. Mit Kühen oder ohne. Über den Rücken seiner Partygäste hinweg, aus dem Schilf oder dem Autofenster heraus. Und so ist dieses Buch wieder ein sehr persönliches, bisweilen geradezu intimes geworden.

Wer will, kann es mühelos belanglos finden und auf Daumenkino schalten. Wer genauer hinsieht, bekommt frische Luft um die Nase, kann in Himmel und Weiten eintauchen - und macht die Bekanntschaft eines sehr lebendigen Stückchens Ewigkeit. Die Benediktenwand, das führt einem Gangkofner Seite für Seite vor Augen, ist nicht einfach ein gelungener Faltenwurf der Plattentektonik. Die Benediktenwand gibt es gar nicht.

Mit seiner "Morphologie" knüpft der Maler und Bildhauer, der an der Kunstakademie München studiert hat, an die Tradition der Landschaftsmalerei an, die sich vom Spätmittelalter über den Barock bis hin zu den Impressionisten zieht. Zugleich bemüht er sich, diese zu brechen, indem er seine zeitlosen Naturstudien mit ironischen Szenen von Grattler-Bauern und Golfplatz-Grazien torpediert, die im Vergleich aber eher blass bleiben.

Am stärksten sind jene Bilder, in denen die Wasserfarbe von selbst aus dem Pinsel zu fließen scheint und Gangkofner - darin liegt eine seiner Stärken - die Formen bis zur Essenz reduziert. Das kann am Lainbach der Fall sein oder am "Telefonierplatz", wie Gangkofner eine scheinbar unspektakuläre Stelle zwischen Atelier, Kuhweide und Wassergraben getauft hat, an der sein Handy Empfang hat.

So gut wie kein dritter kennt diesen wilden Kommunikationsplatz Lukas Hammerstein, der ebenfalls zum Telefonieren seinen Schreibtisch am Boschhof verlassen und ins Moor spazieren muss. Hammerstein, gebürtiger Freiburger, Autor mehrerer Romane und zahlreicher Essays zu Ästhetik und Politik, hat ein gespaltenes Verhältnis zu Bergen und ein inniges zu seinem Nachbarn. Deshalb hat er zu dessen Buch, das fast ohne Worte auskommt, einen einleitenden Essay geschrieben: "Gute Berge, böse Berge".

Der geistreiche Aufsatz handelt von Platzwunden und Zarathustra, streift den Obersalzberg und die Eiger-Nordwand und endet - natürlich - im Künstlerhaus am Boschhof. "Ich werfe alle paar Stunden einen Blick aus dem Fenster, um zu sehen, ob die Wand grollt oder strahlt oder glüht, ob sie finster oder freundlich oder romantisch wirkt, welche Farbe sie gerade hat, ob sie noch da ist", schreibt Hammerstein, der unter anderem das politische Feuilleton "Jazz und Politik" auf Bayern 2 moderiert. Seine Betrachtung der Benediktenwand endet mit den Worten: "Ich habe gelernt, unten zu bleiben. Ich kann das ganze Jahr hier unten bleiben und fühle mich von ihr getragen. Da fängt das Mysterium an."

Matthias Gangkofner: Benediktenwand/09, Reiterverlag, ISBN 978-3-981 4528-2-2

© SZ vom 05.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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