Netzwerk "Tauschring":Bügeln oder Pferdemist gegen Cabriofahrt

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Im Netzwerk "Tauschring" handeln 55 Wolfratshauser mit Fähigkeiten, Waren und Dienstleistungen - und liegen voll im Trend.

Marlene Weiss

Cabriofahren, das kann bei schönem Wetter eine feine Sache sein. Wenn man denn ein Cabrio hat. Gabriele Pankofer hat keines, aber von einer Spritztour am Starnberger See träumte sie schon lange. Martin Summer hat ein Cabrio. Dafür könnte er manchmal Hilfe bei seiner Steuererklärung brauchen. Damit kennt sich Gabriele Pankofer nicht speziell aus, aber sie macht wunderbare Himbeer-Zartbitter-Trüffel. Dass Gabriele Pankofer dennoch zu ihrer Cabriofahrt kam, Martin Summer zu seiner Steuererklärung und dass auch die Trüffel immer Abnehmer finden, liegt an einer Einrichtung, die sich immer größerer Beliebtheit erfreut - dem Tauschring.

Spritztour um den Starnberger See: Gabriele Pankofer löst bei Martin Summer einen Gutschein für eine Fahrt im Cabrio ein. Martin Summer bekommt dafür Hilfe bei der Steuererklärung - allerdings nicht von Gabriele Pankofer. Diese setzt ihre Pralinen aus Eigenherstellung ein. Die beiden sind im Tauschring. (Foto: WOR)

Das Prinzip: Statt für Waren oder Dienstleistungen Geld zu bezahlen, setzt jedes Tauschring-Mitglied seine Zeit ein. Wer bei jemandem eine Stunde lang die Fenster streicht, bekommt in seinem Tauschheft eine Stunde gutgeschrieben, die er wiederum bei jemand anderem gegen einige Gläser Bärlauchpesto eintauschen kann.

Martin Summer ist Sprecher des Wolfratshauser Tauschrings, auch für seine Organisationsarbeit bekommt er Tauschzeit gutgeschrieben. Diese Regelung ist einer der fünf Grundsätze, die der US-amerikanische Unternehmer und Begründer der Tauschring-Idee Michael Linton 1983 aufstellte: Die administrative Arbeit in seinem sogenannten Lets-Tauschringmodell (Local Exchange Trading System) sollte angemessen in Tauschzeit bezahlt werden, denn sonst werde das System schlecht verwaltet und möglicherweise von besser organisierten, aber weniger am Gemeinwohl orientierten Netzwerken verdrängt.

Außerdem sollte der Handel freiwillig, öffentlich und zinsfrei sein, und schließlich sollte die Tauschzeit an die offizielle Währung gekoppelt sein. Dieser Grundsatz ist allerdings umstritten, viele Tauschnetzwerke haben keinen festen Wechselkurs von Tauschzeit in Euro.

In der Region um München ist das Lets-Netzwerk stark vertreten, es gibt Lets-Tauschnetze in München, Fürstenfeldbruck und im Hachinger Tal. Daneben gibt es einen weiteren Tauschring in München und im hiesigen Landkreis die Tauschringe Wolfratshausen, Fünf- Seen-Land, Lenggries, Benediktbeuern und Bad Tölz - ihre Tauschzeiten erkennen sie gegenseitig an.

"Purer Luxus"

"Wenn man davon erzählt, schaut erstmal jeder komisch", sagt Martin Summer. Aber dann lassen sich doch viele überzeugen: Etwa 20 Bekannte habe er in den Ring gebracht, 55 Mitglieder sind es insgesamt. "Wir könnten aber mehr Leute brauchen, dann wäre es umso lebhafter", sagt Summer. Zu den monatlichen Treffen kommen derzeit meist fünf bis zehn Mitglieder.

Die meisten Tauschgeschäfte laufen über die Tauschzeitung, die Summer zweimal im Jahr herausgibt. Darin werden Gesuche und Angebote veröffentlicht. Näharbeiten und Bügeln bieten viele an, manche suchen Mitessgelegenheiten. Skiservice, Elektroinstallationen und Fahrradreparaturen tauchen ebenso auf wie "frischer Bio-Pferdemist, auf Wunsch sauber abgepackt", "Zuhören" und schamanische Selbstheilungsmethoden. Im bunten Tauschuniversum ist für alle Platz.

"Das ist purer Luxus", sagt Gabriele Pankofer. Wenn sie mehr Zeit hätte, würde sie sich noch mehr Angebote gönnen, vielleicht eine Massage oder eine Maniküre. Bisher nutze sie vor allem Handwerksleistungen, Gardinenstangen anbringen etwa. Natürlich könnte sie auch einen Freund darum bitten. "Aber man will sich ja erkenntlich zeigen", sagt sie. "Sonst würde ich vielleicht eine Flasche Schnaps mitbringen, so schreibt man es einfach ins Tauschheft."

Das System entspricht einer Alternativwährung, ähnlich etwa dem Oberland-Regio. Für die lokale Wirtschaft können derartige Systeme unter Umständen sehr belebend wirken. Der Gedanke, der dahinter steht: Auch wenn in Krisenzeiten das Geld knapp wird, verfügt jeder Mensch über 24 Stunden am Tag, von denen nach Abzug von Arbeits-, Schlaf- und Essenszeiten meist noch die eine oder andere Stunde übrigbleibt und sich zur Entfaltung persönlicher Talente nutzen lässt.

Nur bei der Bewertung der Dienstleistungen sind die meisten der rund 300 Tauschnetzwerke in Deutschland sehr strikt: Lebenszeit ist Lebenszeit und als solche immer gleich viel wert. So bekommen Putzfrau und Steuerberater exakt den gleichen Stundenlohn: eine Stunde Tauschzeit.

© SZ vom 30.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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